Bundestagswahl in Ebersberg:"Beckstein musste bei solchen Prozenten zurücktreten"

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Christa Stewens sieht die Gründe für den Absturz der Union nicht nur im Kanzlerkandidaten. Eine Spurensuche mit CSU-Politikern von Grafing bis Brüssel.

Von Korbinian Eisenberger

Wie konnte es soweit kommen, dass die Union bei dieser Wahl das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr? Die Suche nach Antworten führt am Tag zwei nach der Wahl zu sieben CSU-Politikern aus dem Kreis Ebersberg, die sich in einer Sache einig sind: Die Art der Union-internen Auswahl des Kanzlerkandidaten sei ein zentraler Fehler gewesen, die Personalie Laschet die falsche Entscheidung. Die Ursachenforschung allerdings ist nicht so eindimensional, wie bisweilen behauptet. Über die weiteren Gründe des Absturzes von CDU und CSU geben die Perspektiven von drei Frauen und vier Männern in ihren verschiedenen Rollen bei der CSU Aufschluss.

"Fehler bei den Frauen"

Walentina Dahms, 44, Kreisvorsitzende der Frauen- und der Mittelstands-Union. Die Markt Schwabenerin äußert sich wie alle hier am Dienstag nach der Wahl auf SZ-Nachfrage am Telefon: "Frauen schauen auf Familien, Kinder und Nachhaltigkeit. Da haben wir einige Fehler gemacht, wir haben die Mütter nicht so mitgenommen. Wir konnten im Wahlkampf nicht das transportieren, was die Familien beschäftigt. Die Mittelständler fühlten sich in der Pandemiezeit ebenfalls vernachlässigt, auch da wurde viel versäumt. Zahlungen kamen zu spät, die Menschen wurden mit ihren Existenzängsten alleingelassen. Diese Leute haben uns sonst immer gewählt. Nicht wenige sind zur FDP abgewandert. Wir waren der Anwalt der Familien und der Betriebe. Es wäre gut wenn wir das wieder hinkommen. Diese Kritik gilt nicht nur der CDU."

"Viele neue junge Köpfe"

Philipp Trepte, 23-jähriger Jura-Student und Kreisvorsitzender der Jungen Union Ebersberg aus Vaterstetten: "Es reicht nicht, nur auf Kandidat Laschet zu schauen. Wir alle müssen uns inhaltlich stärker fokussieren. Die Digitalisierung an den Schulen, der flächendeckende Mobilfunknetzausbau mit 5G. Uns Jungen liegt zudem am Herzen, dass endlich Konzepte für kostengünstigen Wohnraum entstehen. Wir können nicht einfach so weiter machen, sind klar der Wahlverlierer. Beim Thema Klima glaube ich, dass wir da in der CSU in Teilen auf dem richtigem Weg sind. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es wirklich helfen würde, die 10-H-Abstandsregel für Windräder in Bayern abzuschaffen. Ich erwarte innerhalb der Partei einen Aufbruch. Das heißt auch: Viele neue junge Köpfe.

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"Die Sorge in Brüssel ist groß"

Angelika Niebler, 58, aus Vaterstetten, stellvertretende Parteivorsitzende und Mitglied des Europäischen Parlaments: "Söder hätte bei uns in Bayern ganz anders gezogen. Ich bin in der Nacht auf Dienstag wieder nach Brüssel geflogen und seither nur damit beschäftigt, den Abgeordneten das deutsche Wahlergebnis zu erklären. Die Kollegen sind megainteressiert, was sich da tut. Die Sorge vor instabilen Verhältnissen bei drei Parteien in der Koalition ist in Brüssel groß. Die Mitabgeordneten befürchten, dass der Einfluss der Franzosen und Italiener stärker werden könnte und Deutschland nicht mehr Zugpferd ist. In meiner Fraktion ist die Sorge, dass unter Kanzler Scholz die europäische Umverteilung kommt. Beispielsweise eine EU-Arbeitslosenversicherung, wo es europaweit einen Topf gibt, in den alle einzahlen. Ähnlich bei den Banken: Dass wir Deutschen auch für die Einlagen in griechischen und spanischen Banken haften, wenn es dort zu Ausfällen in den Banken kommt."

"Kein Gefühl mehr für die Leute"

Martin Lechner, 66, Landwirt aus Straußdorf bei Grafing, 48 Jahre CSU-Mitglied, seit 44 Jahren im Ebersberger Kreistag: "Man hätte bei der CSU viel mehr auf die Basis hören müssen, die eigenen Leute. Ein Scheuer darf erneut kandidieren, bei dem sich viele fragen, warum der immer noch Minister ist. Er hat als einziger weniger Punkte als bei der Zweitstimme, und das in einem so schwarzen Landkreis wie Passau. Die CSU hat kein Gefühl mehr dafür, was die Leute eigentlich denken. Viele Bauern haben sich den Freien Wählern und sogar der FDP zugewandt, weil sie nach wie vor verärgert über Söders Gesetz zur Rettung der Bienen sind. Dabei bringt das weder den Bienen noch den Bauern etwas. Klimaschutz brennt den Leuten auf den Nägeln. Es gibt so viele Fragen, und die CSU hätte Fachleute, die Antworten wüssten. Aber die werden halt nicht gehört. Die CSU nennt sich immer Mitmach-Partei, aber wehe es macht jemand mit."

"Reiner Kanzlerwahlverein"

Thomas Huber, 49, Kreisvorsitzender und Landtagsabgeordneter der CSU: "Ein desaströses, aber nicht überraschendes Ergebnis, wenn alternde CDU-Politiker meinen, sie müssen alleine im Hinterzimmer entscheiden, ohne die Basis einzubinden, wer Kanzlerkandidat wird. Die Union ist zum reinen Kanzlerwahlverein geworden, so sind in den letzten Jahren Inhalte auf der Strecke geblieben. Soziale und innere Sicherheit, Wirtschaft. Mittelstand, Handwerk, Außenpolitik. In diesen Fragen hat die Union den Erhebungen nach 25 Prozentpunkte an Kompetenz verloren, obwohl wir die Verteidigungsministerin und den Innenminister stellen. Das müsste für die Union ein Weckruf sein. Als Armin Laschet am Wahlabend sagte, er habe den klaren Auftrag zur Bildung einer Regierung, da wäre ich vor dem Fernseher am liebsten im Erdboden versunken."

"Neue Form von Wahlkampf"

Christa Stewens, 76, frühere bayerische Sozialministerin aus Poing: "Corona hat für Familien mit Kindern Nöte gebracht. Viele hatten aber das Gefühl, dass sie von der Politik übersehen werden. Das gleiche gilt bei der Jugend, die befürchtet, dass wir zu viele Ressourcen verbrauchen, die diese Erde hat. Es ist nicht nur Laschet schuld. Es hat viele Gründe. Auch in der CSU werden die Wahlergebnisse seit Jahren immer schlechter. Beckstein musste bei solchen Prozenten wie bei dieser Wahl zurücktreten. Es war eine neue Form von Wahlkampf mit einem Fehler: Verglichen mit bisherigen Bundestagswahlen wurde der Wahlkampf nicht vom Dialog mit den Bürgern sondern von Fernseh-Debatten geprägt. Dabei wurden nicht die Leute gefragt, TV-Sender bestimmten die Themen. Zentrales ist so gut wie nicht vorgekommen, etwa Asyl- oder Familienpolitik."

"Drei Fragen für den Landkreis"

Robert Niedergesäß, 50, Ebersberger Landrat aus Vaterstetten: "Für den Landkreis Ebersberg geht es mit Blick auf Berlin nun um drei zentrale Fragen - egal wer am Ende wie mit wem regiert: Wird die Energiewende vor Ort gestärkt - sodass Genossenschaften ihre Pläne umsetzen können - oder behindert? Wenn wir die Verkehrswende umsetzen wollen, brauchen wir viele Milliarden aus Berlin. Bekommen wir die? Drittes Thema ist die Finanzierung der Klinik. Hier hätte ich mit einer Regierungsbeteiligung der CSU ein sichereres Gefühl, weil ich sie als starken Anwalt der bayerischen Kliniken sehe."

© SZ vom 29.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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