Brauerei aus Grafing:Ein Mann vor dem Triple

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Gregor Schlederer und Elena Köstler zwei Tage vor ihrer Hochzeit auf einer Bierkutsche, bei der es eine Handbremse gibt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Brauereichef Gregor Schlederer hat drei Termine an einem Tag: Nach der Pandemie-Pause wird sein Bier am Freitag wieder auf dem Grafinger Volksfest ausgeschenkt. Das Datum fällt auf seinen Geburtstag - und auf seine Hochzeit.

Von Korbinian Eisenberger, Grafing

Es soll aus dreierlei Gründen ein besonderes Foto werden. Also unternimmt der junge Brauereichef Gregor Schlederer einige Anstrengungen, die Kutsche mit dem nicht kleinen Bierfass vom Schatten in die Sonne zu ziehen. Das Ding klemmt, deswegen muss ein Auto als Zuglok her. Doch das zähe Luder will immer noch nicht vom Fleck. Vielleicht bräuchte es ein Brauereiross der anderen Sorte? Stattdessen kommt eine zierliche Frau im Dirndl um die Ecke, sieht sich das Dilemma an und steigt auf den Kutschbock hinauf. Sie greift nach einem Hebel - der sich als Handbremse entpuppt. Das Gefährt samt Bierfass setzt sich in Bewegung.

Es ist Mittwoch, und in zwei Tagen ist Freitag, was in diesem Fall durchaus erwähnenswert ist. Denn das wird der Tag sein, an dem nach zwei Jahren Pandemie-Pause in Grafing wieder ein Bierzelt offen steht. Und wegen des Nebeneffekts, dass in diesem Bierzelt Menschen ohne Masken, aber mit Massen an Biertischen sitzen dürfen, erwartet der Ort Grafing bei München regelrechte Menschenmassen. Gregor Schlederer, der Bräu der zuständigen Brauerei Wildbräu, wird einige seiner Bierfässer zum Volksfestplatz hinüberfahren müssen, damit möglichst wenig Masskrüge leer bleiben. Außerdem gibt es für den 31-Jährigen an diesem Freitag, den 20. Mai, noch zwei zusätzliche Anreize, den Tag zu beginnen.

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Am 20. Mai nämlich jährt sich der Tag, an dem Gregor Schlederer zur Welt kam. Und damit Volksfesteröffnung und Geburtstagsfeier zum "Triple" werden, steht an diesem Tag auch noch Schlederers Hochzeit mit jener Frau an, die gerade die Handbremse der Bierkutsche gelöst hat.

"Zwischen uns lag nur ein Ackerfeld"

Mit Bremsen kennt Elena Köstler sich aus, das wird schnell deutlich. Denn bis die beiden ein Paar wurden, dauerte es. Köstler und Schlederer kennen sich, seit sie denken können. Grund ist nicht zuletzt, dass sie Nachbarn waren. Dennoch mochten sie sich, versichern beide. "Zwischen uns lag nur ein Ackerfeld", sagt Elena Noch-Köstler. Später vergrößerte sich die Distanz nicht unwesentlich, denn Gregor Schlederers Nachbarin zog von Neudichau bei Grafing nach Amsterdam in Holland, wo sie studierte und als Psychologin arbeitete. Nach zehn Jahren kam sie zurück - und erinnerte sich an die gute Nachbarschaft.

Für das Zeitungsfoto grinsen die beiden vom Kutschbock in die Kamera, dann geht es zu einer nicht ungemütlich wirkenden Bierbank. Elena Köstler erklärt, dass sie bald nicht mehr Köstler zu heißen gedenke. Zwei Jahre sind sie inzwischen ein Paar, und nun nur noch zwei Tage davon entfernt, Eheleute zu werden.

Gregor Schlederer trägt Lederhose, Strümpfe, die für diese Kombi erfunden wurden, und eine Trachtenweste über einem weißen Hemd. Seine Frau ist im traditionellen Dirndl gekommen - und so ähnlich, also in Tracht, wollen sie am Freitag auch vor das Standesamt treten. Die große kirchliche Hochzeit wird an einem anderen Tag folgen, weil, nun ja, am 20. Mai 2022 schon einiges ansteht.

Obwohl es derzeit Trend ist, will Wildbräu-Chef Gregor Schlederer kein Kölsch brauen. Er bleibt lieber beim hellen Bier. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Hochzeit und Geburtstag wollen Gregor und Elena - dann auch Schlederer - auf dem Volksfest ausklingen lassen, das mit dem Einzug vom Grafinger Marktplatz um 18 Uhr beginnt, ehe Bürgermeister Christian Bauer um 18.30 Uhr den Holzschlegel zum Anzapfen schwingen wird. Das Festbier vom Wildbräu wird dann zum Kernelement.

Einblicke ins Herzstück der drittältesten Brauerei Bayerns

Gregor Schlederer und Elena Köstler stehen jetzt im Sudhaus, dem Herzstück der Brauerei. Drei Braukessel verbreiten eine enorme Wärme, durch Glasfenster ist zu erkennen, dass sich da unten was zusammenbraut. 20 000 Liter sind für die Volksfestzeit zur Verköstigung vorgesehen, in etwa die Füllung eines Tanklasters. Das Festbier allerdings blubbert nicht mehr im Braukessel vor sich hin. Es halte sich seit sechs Wochen in Tank Nummer sechs auf, sagt Schlederer, zur Lagerung.

Ein Blick durchs Glasfenster ergibt, dass sich im Kessel etwas zusammenbraut. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Beim Bier kommt es bisweilen auf die Ausdauer an. Die Brauerei Wildbräu ist hierfür kein schlechtes Beispiel. Einem kürzlich aufgetauchten Schriftstück aus dem frühen Mittelalter zufolge ist die Grafinger Brauerei die drittälteste in Bayern. Demnach wird hier mindestens seit dem Jahr 1060 Bier gebraut. Laut Bernhard Schäfer, Stadtarchivar und Historiker, gibt es im Freistaat nur zwei Brauereien, für die eine längere Geschichte dokumentiert ist: Weihenstephan (1040) und Weltenburg (1050).

Wildbräu ist eine Familienbrauerei, mehrfach preisgekrönt, aber mit ihren 18 Mitarbeitern und 16 Sorten eine der kleinsten in Bayern. Gregor Schlederer ist hier seit Anfang 2019 der Chef. Nach dem Tod des Vaters leitete Schlederers Mutter den Betrieb. Drei Jahre hatte ihr Sohn Zeit, sich einzulernen, dann übernahm er in siebter Generation - und verpasste der Brauerei zusammen mit Braumeister Johannes Hartwig im Wortsinn ein neues Gesicht.

Oder besser: ein altes Gesicht. Es gehört zu einem Bären und ziert seit kurzem das Logo der Brauerei. Schlederers Opa hatte dieses Logo seinerzeit verwendet. Nun erscheint es in seiner Renaissance unter anderem auf Autos, die durch die Region fahren. An diesem Mittwoch glänzt einer dieser Bären von einem geparkten Kombi. Neben dem Wagen stehen Alois Angerer und Veronika Oswald. Angerer ist der Foliermeister, Oswald Erzieherin. Ihr Auto trägt ab jetzt eine Bären-Folie samt Wildbräu-Schriftzug.

Foliermeister Alois Angerer und Veronika Oswald vor ihrem neu beklebten Auto. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Den anderen einen Bären aufbinden, das sei sein Job hier, sagt der Foliermeister Alois Angerer, nicht ohne die Mundwinkel nach oben zu bewegen. 550 Autofahrer und Autofahrerinnen haben sich diesen Bären bisher aufbinden, besser, aufkleben lassen. Es handelt sich um einen Werbegag der Brauerei, für den jeder Bären-Chauffeur entlohnt wird. Die derzeitige Währung: fünf gefüllte Bierkisten sofort - fünf weitere nach einem halben Jahr. "Wenn man sowas Besonderes bei sich daheim hat, muss man es unterstützen", erklärt Veronika Oswald aus Alxing. Angesichts ihres gut gefüllten Kofferraums hat sie nun einiges an Arbeit vor sich.

Bier ist Alkohol, und Alkohol kann Schaden anrichten. Auch darum geht es bei diesem Treffen in der Brauerei. Elena Köstler sitzt jetzt auf einer Bierbank, die Sonne scheint ihr ins Gesicht. Sie nimmt einen Schluck Bier aus ihrem Krug. Als Neurowissenschaftlerin weiß sie genauer als die meisten, was Alkohol verursachen kann, wenn er seine Wucht entfaltet. "Es ist eine der schlimmsten Drogen überhaupt", sagt sie. Die 30-Jährige hat aber auch eine Verteidigung des Biers, seiner Hersteller und Vertilger vorzubringen: Am schlimmsten sei starker Alkohol in Einsamkeit. "Bier aber bringt die Leute zusammen", sagt sie. Dieser "psychologische Nebeneffekt", so Köstler, der werde bei der Debatte gerne unterschlagen.

Gregor Schlederer steht von der Bierbank auf. Wildbräu sei klein, bodenständig, das sei ihm wichtig, sagt Schlederer, der mit seinen 1,90 zwar nicht über die Maßen klein ist, aber fest auf dem Boden steht - beziehungsweise nun geht. Und zwar auf einen Mann zu, der hinter dem Zaun mit dem Auto hält und aussteigt. "Geht ois klar am Freitog", sagt der Mann. Es handle sich um den Vorstand der Böllerschützen, erklärt Schlederer später. Deren Schießkolben kommen am Freitag zum Einsatz. Später am Abend soll dann die Glonner Musi spielen. Mit Blasinstrumenten - und ganz sicher ohne Handbremse.

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