Musical-Weltpremiere in München:"Die Zauberflöte" als Musical, geht das?

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Mozarts "Königin der Nacht" will man bekanntlich nicht unbedingt im Mondschein begegnen, vor allem nicht, wenn sie in der Rache-Arie ihre berüchtigten hohen Fs abfeuert. Im Musical, hier Katja Berg, klingt die Dame allerdings schwer nach Doro Pesch, der Königin des Heavy Metal. (Foto: Jürgen Schall)

Komponist Frank Nimsgern, Sohn eines Opernsängers, war anfangs auch skeptisch. Dann nahm er sich die berühmte "Rache-Arie" der Königin der Nacht vor und machte einfach weiter. Das ganze Werk ist jetzt bei der Weltpremiere im Deutschen Theater zu erleben. Darf man das?

Von Jutta Czeguhn

Man wird wohl nie erfahren, wie die Bewohner ferner Galaxien auf Mozarts "Königin der Nacht" reagieren, wenn sie die Golden Record mit der Grußbotschaft der Menschheit auflegen. Der Tonträger hat im August 1977 an Bord der Raumsonde "Voyager 2" die Erde und mittlerweile auch unser Sonnensystem verlassen. Auf der Datenplatte verewigt sind Edda Mosers berüchtigte hohen Fs. Die flammenden Wuttöne stammen aus einer "Zauberflöten"-Aufnahme von 1972 mit dem Orchester der Bayerischen Staatsoper unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch. So gesehen müsste der Kosmos nun auch wissen, dass die Erdlinge da in München richtig gute Musik machen. Weltraummission accomplished.

Weshalb die Fallhöhe auch galaktisch hoch sein könnte, wenn am 11. April im Deutschen Theater bei der Vorpremiere zur Welturaufführung des Musicals "Zauberflöte" wieder "der Hölle Rache" im Herzen der Königin kocht. Für die Verfechter historisch informierter Aufführungspraxis mag die Aussicht auf diese Mozart-Variation in etwa so düster anmuten wie ein schwarzes Loch im All. Die Musical-Fans aber können es nicht erwarten, dass an der Schwanthalerstraße die Triebwerke gezündet werden.

Ok, das waren jetzt genug Metaphern aus der Nasa-Küche. Eine noch: Im Kontrollzentrum dieses Musical-Projekts sitzt einer, der vielleicht keine Goldene Schallplatte zu Hause hängen hat, dafür aber eine Goldene Europa (Fernsehpreis der ARD) und viele, viele andere Preise mehr. Und historisch informiert, was die Welt der Oper angeht, ist dieser Frank Nimsgern sowieso. "Nimsgern", bei dem Namen sollte es jetzt bei Opern-Aficionados sofort klingeln. Sein Vater Siegmund Nimsgern war als Bass-Bariton auf den Bühnen dieser Welt unterwegs; Mailänder Scala, Royal Opera House London, Metropolitan Opera New York, im Bayreuther Solti-Ring, "Walküre", sang er 1983 den Wotan.

Ob Sir Georg Solti oder Herbert von Karajan, Nimsgern Junior, Jahrgang 1969, hat viele Klassik-Gottheiten noch persönlich erlebt. Als Kind bekam er Klavier-Unterricht, später studierte er Komposition am Salzburger Mozarteum, startete seine Karriere aber, sehr jung noch, als famoser Gitarrist und Session Musiker für internationale Stars wie Chaka Khan oder Gino Vanelli, schrieb die Musik für die Daily Show von Siegfried & Roy in Las Vegas, auch für Film und Werbung. Heute ist Nimsgern einer der renommiertesten Komponisten des Musical-Theaters mit Produktionen wie "Qi", "SnoWhite", "Elements", "Hexen", "Hänsel und Gretel", "Poe", "Der Ring" oder "Jack the Ripper". Einer mit seiner Erfahrung weiß also genau, was er tut, oder wovon er besser die Finger lässt.

Weshalb er erst mal ablehnte, als Benjamin Sahler, Chef des Festspielhauses Neuschwanstein in Füssen und ausgebildeter Opernregisseur, mit der "Zauberflöten"-Idee um die Ecke bog. Sahler war, wie er jetzt bei einem Backstage-Talk im Silbersaal des Deutschen Theaters verriet, auf der Suche nach einem schönen, märchenhaft optimistischen Stoff in Krisenzeiten, nachdem auf seiner Bühne im Allgäu zuletzt doch recht viel gestorben wurde, in "Ludwig II.", "Zeppelin", oder die "Päpstin". Doch Nimsgern, mit dem er 2018 schon das Nibelungen-Musical "Der Ring" geschmiedet hatte, war mehr als skeptisch: "Ich wollte es eigentlich nicht machen." Weil Mozart für ihn "heilig" sei, geniale Musik, an der es nichts zu verbessern gebe. Dann aber verkroch er sich in seinem Studio, um ausgerechnet an der Rache-Arie der Königin der Nacht "rumzuprobieren". Das Ergebnis hat dann so begeistert, dass er das Selbstvertrauen besaß, den Vertrag mit Sahler zu unterzeichnen.

Der Komponist an der Gitarre: Frank Nimsgern mit Aino Laos als Königin der Nacht bei der Präsentation des Jahresprogramms im Deutschen Theater. (Foto: B. Lindenthaler/IMAGO)

Im Musical ist diese wohl berühmteste Koloraturarie der Operngeschichte, quasi als Verbeugung, das einzige Stück, in dem man 1:1 Mozarts Partitur und den Text seines Librettisten Emanuel Schikaneder wiedererkennt. In der CD-Fassung, die man sich schon bei den einschlägigen Streamingdiensten ziehen kann, kocht Rache der Königin mit Gitarrenbombast, und Sängerin Aino Laos klingt schwer nach Metal-Queen Doro Pesch, sinfonisch geboostert. Ansonsten aber galt für die Macher: Mozart inhalieren, aber neu interpretieren statt kopieren. Nimsgern und seine Texterin Laos haben jeder Zauberflöten-Figur, ob Tamino, Pamina, Papageno, Papagena, Sarastro oder Monostatos, "stilistisch eine neue Heimat gegeben". Mit Wiedererkennungseffekt, "Wotan-Sohn" Nimsgern hatte da schließlich einen großen Lehrmeister: "Leitmotiv"-Experte Richard Wagner.

Wie sich das live anhört? Jedenfalls nicht nach gepuderter Barockperückenmusik à la "Rondo Veneziano". Im Silbersaal des Deutschen Theaters und vor allem bei den vier Test-Previews für Publikum im Füssener Festspielhaus gab es schon mal Eindrücke der 34 Songs. Und der Musik, die in den Vorstellungen vom Band kommen wird. Bei Nimsgerns krass aufwendiger Orchestrierung mit 50 Instrumenten ist das live einfach nicht zu realisieren. Dafür wird der Komponist höchstselbst bei den Premieren dem Chor die Einsätze geben, und natürlich seinen Solistinnen und Solisten.

Der Einflüsterer: Chris Murray (re.) als Monostatos mit seinem Boss Sarastro (Christian Schöne). (Foto: Michael Böhmländer)

Papageno Tim Wilhelm ist auch hier stets lustig heissa hopsasa, ein schräger Buffo-Vogel, noch durchgeknallter als bei Mozart. Er darf mit den Füßen stampfen, zu Irish-Folk-Gefiedel, ab und an winzige Spurenelemente des berühmten Piccoloflötenspiels. Wie überhaupt Nimsgern die Mozart-Hits cameoartig in seinen Kompositionen versteckt hat. Tamino (Patrick Stanke) bekommt zwar keine "Bildnisarie", dafür schmachtenden Schlager-Pop. Den Monostatos gibt Chris Murray, ein ausgebildeter Opernsänger, der im Musical-Fach so ziemlich alles gesungen hat, von Jesus aus "Jesus Christ Superstar", Ché Guevara in "Evita" bis Dracula. Hier ist er im Song "Rache ist süß" beinahe so furchterregend wie die Königin der Nacht, der gitarrenlastige Rocksound der Achtziger lässt grüßen, mit süffigem sinfonischem Score. Papagena (Stefanie Gröning) swingt so gar nicht unschuldig als "Dirty Birdie". In traurigstem g-Moll und gnadenlos hoch liegt Paminas "Ach, ich fühl's"-Arie bei Mozart. Nimsgern hat seiner Pamina Misha Kovar eine Ballade geschrieben, die sich Helene Fischer schon mal auf ihrer "Könnt' ich mal covern"-Liste notieren könnte.

Können natürlich fliegen: Das Vogelhändler-Paar Papageno und Papagena (Tim Wilhelm und Stefanie Gröning). (Foto: Michael Böhmländer)

Als Kind, so erzählt Komponist Nimsgern im Silbersaal, sei er ratlos aus seiner ersten Zauberflöte gekommen. Worum geht's in dieser Klassik-Hitparade eigentlich? Seit der Wiener Uraufführung 1791 zwei Monate vor Mozarts Tod haben sich viele, vor allem auch Regisseure an dieser Frage die Zähne ausgebissen. Singspiel, Kinderoper, Aufklärungs-, Freimaurerstück, Theaterparabel? Das Stück ist Mysterium geblieben, dass sich Deutungen verweigert. In ihrem Musical wollen auch Frank Nimsgern und Benjamin Sahler die Geschichte vom Prinzen Tamino, der von der Königin der Nacht ausgesandt wird, ihre Tochter Pamina vor Sarastro zu retten, neu und stringenter erzählen. Dabei werden veraltete Rollenbilder des Originals hinterfragt - und der Schluss, so viel haben die beiden schon verraten, steuert auf Versöhnung zu. "Mozart war schließlich Humanist", sagt Nimsgern.

Sollte jemand nicht mehr durchblicken: Musicalstar Anna-Maria Kaufmann lotst als Orakel durch den Abend. (Foto: Michael Böhmländer)

Damit das Publikum dem Ganzen auch folgen kann, ist ihm das Orakel (Anna Maria Kaufmann!) als Lotse zur Seite gestellt. Die Besucherbefragungen nach den Previews in Füssen, so berichtet Benjamin Sahler, hätten dennoch ergeben, dass man noch an einigen Gags feilen müsse, dass da und dort Feintuning notwendig sei, und Frank Nimsgern noch ein paar Songs hinzukomponiert. Auch 1791, so geht die Sage, hätten Mozart und Schikaneder bis kurz vor dem Premieren-Vorhang an der "Zauberflöte" herumgeschraubt.

Ein Song im Musical heißt "Sakrileg". Nimsgern und Sahler wissen sehr genau, dass Opernpuristen der Kamm schwillt, wenn sich jemand an ihrem Mozart vergreift. Sie haben schon böse Briefe bekommen. Dabei sind sie beileibe nicht die Ersten, es gibt die "Zauberflöte", reloaded, als Hip-Hop-Oper, als Fantasy-Film, Marionettentheater, als Inszenierung in einem Berliner Geisterbahnhof, wo Tamino singt: "Ich rauche Joint und saufe Bier, lebe ganz bescheiden von Hartz IV!" Vielleicht wird sich ja in die Münchner Musical-Premiere der ein oder andere Mozartkenner hineinstehlen. Guilty pleasures, heimliches Vergnügen, das weiß man doch, sind die schönsten.

Zauberflöte, das Musical, Vorpremiere (Preview): Donnerstag, 11. April, Uraufführung: Freitag, 12. April, jeweils 19.30 Uhr, bis 21. April, Deutsches Theater München, Infos und Karten unter www.deutsches-theater.de

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