Musiktheater:Verstoß gegen das Rheinheitsgebot

Lesezeit: 3 min

Zwischen Currywurst, Kalauern und Frankenstein: "Der Ring - Das Musical" im Füssener Festspielhaus zieht sich trotz starker Darsteller und viel Spektakel in gut zwei Stunden länger als Wagners vierteilige Opern-Vorlage

Von Dirk Wagner

Wenn die Rheintöchter, sagen wir mal, etwas entgegenkommender gewesen wären, hätte man sich drei weitere aufwendige Opern ersparen können", resümierte dereinst Loriot in seiner humorvollen Darstellung des Wagnerschen Rings den ersten Teil der Tetralogie: "Das Rheingold". Klar, wäre der hässliche Zwerg Alberich etwas besser bei den Damen angekommen, sein Augenmerk hätte sich womöglich nicht auf jenen Schatz gerichtet, den die Damen eigentlich bewachen sollten. Damit er nicht wieder in die Hände der Menschen gerät, die mit der Macht, die ihnen der Schatz verleiht, nicht umgehen können. Darum hatten die Götter ihn ja auch im Rhein versenkt. Der von den Rheintöchtern verschmähte Alberich kann den Schatz nun, und mit ihm einen Ring, der demjenigen, der nicht liebt, Allmacht schenkt, entreißen. Damit startet das gewaltigste Drama der Musikgeschichte, das Richard Wagner in vier insgesamt sechzehn Stunden langen Opern erzählt.

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Das war dem 1969 geborenen Komponisten Frank Nimsgern deutlich zu lang. Als kleiner Junge hatte er schon den gesamten Ring gesehen, weil sein Vater Siegmund Nimsgern in Bayreuth den Wotan spielte. Trotz der Überlänge faszinierte den jungen Nimsgern die Geschichte, die er selbst nun in zweieinhalb Stunden zu erzählen versucht. Und zwar als Musical, das durchaus auch in die Grusel-Hörspielreihe über den Geisterjäger John Sinclair passen würde. Zumindest weckt solche Assoziationen die Erzählerstimme, die in die Szenen einführt. Auf der zweitgrößten Drehbühne Deutschlands entfalten diese sich vor den Besuchern von Ludwigs Festspielhaus in Füssen mit einer Mischung aus Akrobatik, Tanz, Gesang, Lichtshow und Bühnenbild, inszeniert von Reinhardt Friese. Und choreografiert von Marvin A. Smith, der auch mit Helene Fischer und Andrea Berg zusammenarbeitete. Solche Schlagerreferenz prägt auch das Geschehen auf der Bühne, das vor allem aber unter den einfallslosen Texten leidet, die der Librettist Daniel Call den Melodien von Nimsgern zumutet: "Wenn du die Münze wirfst: Kopf oder Zahl. Du hast die Wahl. Wenn du die Karten legst: Pik oder Herz. Du hast den Schmerz", singen etwa Brunhilde (Anke Fiedler) und Siegfried (Christopher Brose) im schwungvoll schunkelndem Liebesduett. Und wer legt die Karo aufs Kreuz, möchte man sofort nachhaken. Aber in einer Ring-Adaption, die zeitbedingt auf so vieles verzichtet, soll es auf zwei Spielfarben mehr oder weniger nicht ankommen.

Versunken im Schlagersee: Da konnte sich Christopher Murray als Zwerg Alberich noch so ins Zeug legen, in den seichten Liedtexten musste er baden gehen. (Foto: Michael Böhmländer)

Da fragt man sich schon eher, was aus Siegmund und Sieglinde wurden, Siegfrieds Eltern also, die zunächst nicht wussten, dass sie selbst Geschwister sind, von Wotan gezeugt, früh getrennt. Diesen Teil der Geschichte streicht Nimsgern komplett. Stattdessen schafft Alberich (Chris Murray) nun einen künstlichen Siegfried in seiner Schmiede, was Alberich an dieser Stelle mehr als einen fanatischen, wenn auch erfolgreicheren Doktor Frankenstein erscheinen lässt. Der stählerne Siegfried soll ihm nun den Ring zurückholen, den der Gott Wotan ihm zuvor ja mit dem bekannten "Kannst du dich auch in eine Kröte verwandeln?"-Trick abgeluchst hatte.

Der stählerne Siegfried (Christopher Brose) muss den Drachen bezwingen. Da kommt bisweilen Grusel auf im Festspielhaus. (Foto: Michael Böhmländer)

Dafür muss der gestählte respektive stählerne Siegfried auch hier gegen einen Drachen kämpfen, der großartig von neun Puppenspielern bewegt wird. Diesem entnimmt er sodann also den Ring, der nun allerdings ihm die Allmacht verleiht. Prompt verliert auch der Gott Wotan (Jan Ammann) einen Zweikampf mit Siegfried, der sich wiederum in Wotans verstoßene Tochter Brunhilde verliebt hat, samt Wurfmünze und Legekarten. Befreien musste er sie übrigens nicht mutig aus einem Feuerring, mit dem Wotan seine davongejagte Brunhilde in der Wagner-Oper dann doch noch vor dem Zugriff allzu unwürdiger Weicheier bewahren wollte. Im Musical verbirgt dagegen nur ein Kronleuchter die zu befreiende. Trotzdem dankt auch sie ihrem Retter mit loyaler Liebe. Darum tötet sie ihren Vater, den eh in Vergessenheit geratenen Gott, der bald schon mehr Gläubiger als Gläubige hat. Denn der hätte sie sonst gegen Siegfried aufgehetzt, dessen Ring er wiederhaben mag.

Füssener Drachenstich: Neun Puppenspieler bewegen großartig das Ungetüm. (Foto: Michael Böhmländer)

Als wäre der erste Akt nur Vorgeschichte gewesen, gewinnt das Stück gegen Ende immerhin an Spannung. Darum muss man auch nicht mehr über die kalauernden Rheintöchter nachdenken, die in einer warum auch immer aufkommenden Lust auf Currywurst auch das bekannte Frühwerk Herbert Grönemeyers zitieren. Für einen kurzen Moment folgt man stattdessen der philosophischen und politisch aktuellen Frage des Stücks: "Was macht die Macht mit dem Menschen?" Zumal Nimsgern sich mittlerweile so weit von der Wagnerschen Vorlage entfernt hat, dass auch Wagnerianer gespannt sein dürften auf das überraschende Ende.

Bis dahin werden die Opernliebhaber allerdings mehr als zwei Stunden Musical ertragen müssen, die ihnen deutlich länger erscheinen dürften als die auch musikalisch spannenderen sechzehn Stunden von Richard Wagner. Das können weder ein großartig von Chris Murray gespielter Alberich noch eine besonders starke Anke Fiedler als Brunhilde verhindern. Und auch nicht Jan Ammann, der auf dieser Bühne sonst den König Ludwig gibt und nun also als Wotan vom König zum Gott aufgestiegen ist.

Wahrscheinlich hätte man diesen Mix aus Wagner, Tolkien, Edda und Frankenstein dann doch noch schriller inszenieren müssen, um ihn auch nur in die Nähe einer "Rocky Horror Wagner Show" zu rücken. Mit den schüttelgereimten Schlagertexten von Daniel Call wäre das aber vergebene Liebesmüh. Statt des Rings hätten die Götter besser daran getan, solche Wortwitzeleien im Rhein zu versenken.

Der Ring - Das Musical , Fr.-So., 12.-14. Okt., Ludwigs Festspielhaus Füssen

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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