Musicaltheater in Füssen:Ein "Theater auf dem Land" zu führen - ein "schwieriges Geschäftsmodell"

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Malerische Lage am Forggensee: Das Festspielhaus Neuschwanstein wurde auf einer aus Kies aufgeschütteten Halbinsel gebaut. (Foto: Allgäu Concerts)

Der Freistaat Bayern fördert das Festspielhaus Neuschwanstein fortan jedes Jahr mit 450 000 Euro und sichert so das Überleben des schon mehrmals existenziell bedrohten Hauses. Für 2023 haben sich die Chefs einiges vorgenommen.

Von Michael Zirnstein

Die viel gepriesene Aussicht hinüber zum Schloss Neuschwanstein sah auch schon einmal schöner aus. Der karibikgrüne Forggensee vor dem Füssener Musical-Theater ist gerade wegen des Hochwasserschutzes abgelassen bis auf den schlammigen Grund und ein paar Pfützen. Wenigstens knietief könne man das Wasser doch als Spiegelfläche stehen lassen, wünscht sich Birgit Karle, die Geschäftsführerin des Festspielhauses Neuschwanstein beim Blick durch die Panoramascheiben des "Romantik-Saals". Aber gleich ist sie wieder guter Laune an diesem Freudentag, den die erwarteten Gäste in ihren Reden bald als "besonders", "schön", gar "historisch" bezeichnen werden.

Die geballte Politprominenz aus München und der Region ist eingeladen, um das Ende der finanziellen Durststrecke des Theaters offiziell zu verkünden. Denn der Pegel im Geldspeicher des Hauses mit seinem programmatischen Schwerpunkt auf den Märchenkönig Ludwig II. lag in den 23 Jahren seiner Geschichte meist so niedrig wie der des Forggensees im Winter, was zu drei Insolvenzen führte. Wie die Heiligen Drei Könige werden die Gäste erwartet; dass sie Gaben mitbringen, ist klar, aber noch nicht, wie viele. Vor allem Ministerpräsident Markus Söder soll die "Wundertüte öffnen", sagt gespannt der künstlerische Leiter Benjamin Sahler. In den vielen Gesprächen der vergangenen Jahre hatte sich das Theater 600 000 Euro gewünscht, 300 000 hatte der Freistaat in Aussicht gestellt.

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Jetzt bringen Söder und sein Kunstminister Markus Blume einen großen Scheck mit, ausgestellt auf 450 000 Euro. Die Summe soll fortan jährlich fließen. Insgesamt gibt es sogar 750 000 Euro, denn Bezirkstagspräsident Martin Sailer legt für Schwaben 150 000 Euro dazu, Landrätin Maria-Rita Zinnecker für den Kreis Ostallgäu 100 000 Euro und Bürgermeister Maximilian Eichstätter für Füssen 50 000 Euro.

14 Gäste des Festakts von der Landtagsabgeordneten Angelika Schorer bis zum ehemaligen Staatsminister und Musikratspräsidenten Thomas Goppel, die seit Jahren für eine öffentliche Hilfe des privaten Musical-Traumschlosses gekämpft haben, nehmen wie Ritter an einer Tafelrunde Platz. Aber nicht wie die all die "Glücksritter", die Benjamin Sahler in vielen Jahren der Investorensuche hier ein- und ausgehen sah, eher wahre Retter - allen voran Manfred Rietzler.

Besuch mit Scheck - von links: Bezirksrätin Uschi Lax, Geschäftsführerin Birgit Karle, Theaterleiter Benjamin Sahler, Bundestagsabgeordneter Stefan Stracke, der Füssener Bürgermeister Maximilian Eichstetter, Landrätin Maria-Rita Zinnecker, Ludwig Darsteller Daniel Mladenov, Ministerpräsident Markus Söder, Sisi Darstellerin Stefanie Gröning, Kunstminister Markus Blume, Landtagsabgeordnete Angelika Schorer und Eigentümer Manfred Rietzler. (Foto: Matthias Balk/Bayerische Staatskanzlei)

Als er den ganzen Laden 2016 kaufte und den Bau, die Finanzen und den Spielplan sanierte, sei ihm klar gewesen, dass ein "Theater auf dem Land" ein "schwieriges Geschäftsmodell" ist, sagt der Eigentümer des Prachtbaus in Bestlage. "Mit Ticketverkäufen allein lässt sich das nicht finanzieren, auch wenn es gut läuft, und es läuft nicht schlecht." 150 000 Besucher kamen 2022 zu 200 Veranstaltungen, so viel wie 2019 vor Corona. Und doch musste Rietzler wieder Verluste mit einem hohen sechsstelligen Betrag aus eigener Tasche ausgleichen.

Im Laufe der Jahre hat der Marktoberdorfer Mäzen mit Wohnsitz in Bangkok die Löcher im Etat schon mit einem guten zweistelligen Millionenbetrag seines in der Computer-Entwicklung verdienten Vermögens gestopft. Er werde dem Festspielhaus auch in Zukunft das Überleben sichern, verspricht er. "Ich habe es aber nie als mein Haus gesehen, sondern immer als öffentliches Theater", sagt Rietzler. Manchmal den Tränen nahe ist er sichtlich dankbar, dass von nun an die Öffentlichkeit einen Teil seiner Last trägt.

Es sei "keine Goodwill-Förderung", erklärte Söder, das Geld sei "gut angelegt" und werde sich als Kulturdividende auszahlen. Er sei Fan des Allgäus, Fan von Ludwig II. (dem "James Dean unter den Wittelsbachern") und - eigentlich Opern-Fan - auch dem Musical nicht abgeneigt, aber deswegen allein gibt es kein Geld. "Der Freistaat fördert ungern institutionell", erklärte der Ministerpräsident, das habe mit dem Kulturzentralismus zu tun, mit Flexibilität und mit der Sorge, dass sich jemand darauf ausruht. Eine regelmäßige Förderung komme nur Spitzenkultur zu, das Ministerium für Wissenschaft und Kunst sei beim Aufstieg in die "bayerische Championsleague" der Theater "zickig". Dennoch unterstützte der Freistaat 2022 17 kommunale Theater sowie 49 private Theater mit insgesamt 44 Millionen Euro.

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Kunstminister Blume erläuterte die "Spielregeln", nämlich dass ein Theater über fünf Jahre einen erfolgreichen Spielbetrieb vorweisen müsse, mit mindestens 100 Spieltagen und zwei Neuproduktionen jährlich. "Das Festspielhaus hat in den vergangenen Jahren gezeigt. dass es das Potenzial besitzt, ein kultureller Leuchtturm mit Ausstrahlung weit über Füssen hinaus zu werden", erklärte Blume die Entscheidung. "Machen Sie was draus!"

Das ließ sich Benjamin Sahler nicht zwei Mal sagen. Der Regisseur sieht damit "den Weg vom Investmentprojekt zur gemeinnützigen Kultureinrichtung" abgeschlossen. Für ihn ist die Förderung Anerkennung, Vertrauensbeweis und Auftrag. Mit mehr Planungssicherheit kann er nun neue Produktionen entwickeln. Ministerpräsident Söder meldete da gleich einen Wunsch an, wo doch das Festspielhaus mit Stücken wie "Ludwig²", "Die Päpstin", "Hundertwasser" oder "Der Brandner Kasper" das Genre "Musicals made in Bavaria" zu historischen deutschen Stoffen geschaffen habe, möge man sich nun der Herausforderung eines Stückes zu seiner fränkischen Heimat stellen. Unabhängig davon stellte der Ministerpräsident in Aussicht: 450 000 Euro werden nicht "die letzte Summe sein, wenn es gut läuft".

Die Geschichte des Festspielhauses Neuschwanstein

Ein "Sehnsuchtsort" wie Ludwigs Traumschloss, so nannten viele Gäste des Festaktes das Festspielhaus Neuschwanstein. Es war von Anfang an auf Kies gebaut, mit dem man eigens eine Halbinsel im Forggensee aufgeschüttet hatte. Der ganze Bau von 1998 bis 2000 kostet damals 80 Millionen D-Mark. Die brachte eine erste Investorengruppe auf, darin Banken, "Ludwig-Fans" und das Ehepaar Barbarino.

Die Architektin Josephine Barbarino entwarf den gewaltigen Bau nach dem Vorbild Bayreuths, aber imposanter: Ein Theater für 1355 Gäste mit Barockgarten und eigenem Badestrand, samt Seitenflügeln 160 Meter lang, die Bühne 60 breit (die zweitgrößte Europas), mit 28-Meter-Drehbühne und 22 Meter breitem Wasserbecken. Stephan Barbarino inszenierte dafür das erste Musical "Ludwig II. - Sehnsucht nach dem Paradies" mit Wassertosen und einer Kutsche mit echten Pferden, das viele der insgesamt 1,5 Millionen Besucher begeisterte - und dennoch 2003 pleite ging.

Eine zweite Investorengruppe übernahm, ein zweites Stück mit Schwerpunkt auf dem Tod des Märchenkönigs und Musik von Konstantin Wecker sollte es von 2005 an richten: Doch auch mit "Ludwig² - Der Mythos lebt" häufte man bis zur Einstellung 2007 mehrere Millionen Schulden an. Das Haus wurde dann bis 2015 für Fremdveranstaltungen vermietet. Eine entscheidende Wende brachte der Stuttgarter Regisseur Benjamin Sahler: Er startete das größte Crowdfunding in der europäischen Theatergeschichte und brachte "Ludwig²" 2016 für 30 ausverkaufte Vorstellungen zurück; dennoch mussten die damaligen Besitzer Insolvenz anmelden.

2016 dann kaufte der Marktoberdorfer Unternehmer Manfred Rietzler das Theater "aus Heimatliebe", renovierte es und machte Sahler zum künstlerischen Leiter: Er setzt weiter auf "Ludwig²" und bringt dazu immer wieder Eigenproduktionen auf die Bühne, darunter Weltpremieren wie Ralph Siegels "Zeppelin" und "Hundertwasser". Damit nicht nur Musical-Fans nach Füssen kommen, gibt es 2023 wieder Ballett, Klassikkonzerte, ein Yoga-Festival und Star-besetzte Open-Airs etwa mit Eros Ramazotti, Andreas Gabalier, Simply Red und Cro.

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