Es ist eine bezaubernde (und das strenge Copyright aushebelnde) Idee, Kinder Hundertwasser-Bilder von kurvig-bunten Gebäuden und Landschaften malen zu lassen und damit die Foyers des Festspielhauses zu dekorieren. Aber wie gut ist der Einfall, auf der Bühne eine Kinderschar in Recyling-grauen Overalls von Hundertwasser mit Kringeln bepinseln zu lassen? Respektive von Felix Martin, der den Wiener Weltenbummler mal mit, mal ohne angeklebten Bart als träumerischen Schmalibert, als wirren Propheten in Sandalen, als Kunsterzieher in bunten Mallorca-Rentner-Klamotten und Spontisprüchesprudel mit nacktem Popo gibt. "Meine Bilder sind meine Kinder", sagt der Maler. Also ist diese Mini-Body-Painting-Show durchaus schlüssig. Zudem ist sie kunstvoll in Szene gesetzt auf der Festspielhausdrehbühne, an deren künstlichem See Tänzerinnen als Nymphen die Gäste amüsieren (was hier von Muse kommt). Zusammen mit den an die Rückwand projizierten Aquarellfarbstrudeln (alles Bilder von Hundertwassers einziger Tochter Heidi Trimmel) und den sich zu einem spielerischen Regenlied vom Schnürboden abseilenden Elfen ergibt das eine räumliche wie inszenatorische Tiefe, wie sie selten in einem Vollformat-Musical zu entdecken ist.
Weil die wenigsten Singspielregisseure wirklich etwas wagen. Mit Schema F würde man den Träumer, Pfiffikus, Fantasten und Ent-Standardisierer Hundertwasser aber posthum beleidigen. Und so wollen Theaterdirektor Benjamin Sahler und Regisseur Dirk Schattner "Hundertwasser - Das Musical" als brandaktuelles "Happening" über einen Friedensaktivisten und Öko-Pionier feiern. Quasi eine sozial-synästhetische Party-Performance. Bis in die Hippie-Zeit reicht die Aufführungshistorie nicht zurück. Wohl aber bis 2003, da kam diese Geschichte über den Hundertsassa in Uelzen auf die Bühne, mit Musik von Konstantin Wecker, was das Stück nicht vor dem baldigen Aus rettete. Der Librettist Rolf Rettberg gab nie auf. Eine Neuauflage 2013 vor Friedensreichs Grüner Zitadelle in Magdeburg mit Sahler als Regisseur und neuer aus Latin-, Rock- und Kunstlied-Farben zusammengemischter Musik von Stefan Holoubeck wurde durch den Tod eines Produzenten vereitelt.
Menschen, die Schlösser besichtigen, gehen auch in Musicals
Als Auferstehungshelfer des Füssener Festspielhauses mit ihrem Stück "Ludwig²" verbunden, holten Rettberg und Sahler nun die Welturaufführung am Forggensee nach. Aus deutscher Sicht interessanter, aber nicht allerpopulärster Stoff über einen von Puristen belächelten Kitsch-Künstler - aus Allgäu-touristischer Perspektive ist es ein Coup: Hundertwasser ist Weltstar. "Wie Mozart", sagt im Stück sein Manager "Mr. Money" (Alexander Kerbst zwischen Falco und Elvis' Colonel Tom Parker), ist er auf Kalendern und Aschenbechern von Amerika bis Japan zu kaufen. Menschen, die Schlösser besichtigen, gehen auch in Musicals über einen, der sich wünscht, "aus jeder Tankstelle ein Neuschwanstein" zu machen.
Dass eine Japanerin eine Hauptfigur ist, kommt nicht aus der Marketingabteilung, sondern aus Hundertwassers Biografie. Er nahm seine Frau Yuko Ikewada mit in alle Welt. Hier heißt sie Amenoki, "Regentag", wie sein Segelschiff (er liebte Regentropfen wie "Küsse des Himmels auf die Erde"). Alle Gestalten hier sind nicht exakt nachgezeichnete Personen, sondern expressionistische Allegorien: Szenenapplaus für Stefanie Kock als übersättigte Wiener Stadtkultur(rätin) im Mozartkugel-Ballett mit goldenen Badehauben. Ebenso verliebt ist das Publikum in die Soul-Kraft von Tamara Wörner. So auch das Produktionsteam, das sie hier wohl deshalb sehr ausgiebig die "Afrika" verkörpern lässt - eine etwas pauschale Erklärungsfigur für die Genesis von Hundertwassers Farben-, Natur- und Ursprungssehnsucht.
Amenoki (anmutig gespielt von der Philippinin Leah Delos Santos) steht für die Paar-Liebe, die sich am Ende aus dem farbigen Kimono-Panzer schält, um sich vom Freigeist und seiner ödipalen Bindung an die ewig an den Nazi-Gräueln leidende Mohnstrudelmama (Isabella Dartmann) zu befreien. Die Eheleute trennen sich nach einigen herzensschön gesungenen Duetten im gegenseitigen Einvernehmen dramaturgisch ein wenig zu spät. Hundertwassers längste und liebste Begleiterin ist die anfangs mit großem Pinsel (keine sexuelle Anspielung) zum Tanz wachgestreichelte stumme Muse "Kunterbunt" - so springfederleicht und keck, wie die Tänzerin (und Dance-Captain) Anna Martens mit Blütenhaube und Latzhose ihn umfließt, begreift man, warum.
Also, ja, die Idee ist prima. Einen Außenseiter, der Linien und Architektur zum Tanzen brachte, muss man in so einem tollen Musical-Experiment hochleben lassen. Man fühlt Hundertwasser danach mehr, als man ihn begreift. Das ist okay. Wer mehr wissen will über seine jüdische Familie im Nazi-Wien, seine 16 Jahre junge erste Ehefrau, seine autarkes Sonnenenergie-Siedlung in Neuseeland, kleine Geschäfte auf der Humustoilette am Schiff oder die großen Geschäfte der Hundertwasser Stiftung, der lese nun nach oder schaue etwa Peter Schamonis Dokufilm "Regentag" an, sowie alle Interviews mit Heidi Trimmel, die sich um ihr Erbe betrogen fühlt. Das man nun nachsitzen möchte, ist kein Fehler des Musicals, sondern eine Stärke.
Hundertwasser - Das Musical, Festspielhaus Neuschwanstein , Füssen, nächste Vorstellungen: Fr.-So., 4.-6. Nov.