Reaktionen auf Flugblatt-Affäre:"Ein jammervolles Stück"

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Dominique Boueilh (Mitte, mit Brille) ist Präsident des Internationalen Dachau-Komitee (CID). Hier bei einer Gedenkfeier zum 78. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau. (Foto: Toni Heigl)

Die Internationalen Komitees der ehemaligen Konzentrationslager in Dachau und Auschwitz kritisieren den politischen Umgang mit der Affäre um das antisemitische Flugblatt. Am Donnerstag entschuldigt sich Hubert Aiwanger dann bei Opfern des NS-Regimes.

Von Thomas Radlmaier und Helmut Zeller, Dachau

Eine Frage hat in der politischen Debatte über ein antisemitisches Flugblatt aus der Schulzeit des Freie-Wähler-Chefs und bayerischen Vizeministerpräsidenten Hubert Aiwanger bis Donnerstagnachmittag kaum eine Rolle gespielt. Diese Frage stellen nun das Internationale Dachau-Komitee (CID) und das Internationale Auschwitz-Komitee: Wie geht es den Jüdinnen und Juden damit, wenn sie, die in ihren Familien Opfer des Holocaust zu beklagen haben, in der jetzt bekannt gewordenen Hetzschrift aus den späten 1980er Jahren von einem "Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz" lesen müssen? Wie geht es den Überlebenden und Nachkommen derjenigen, die im Konzentrationslager Dachau ermordet worden sind?

Christoph Heubner, Geschäftsführender Vizepräsident des Auschwitz-Komitees, bringt es auf den Punkt: "Einen Satz aus dem Hause Aiwanger hätten gerade die Überlebenden, die Jahrzehnte ihres Lebens vor Schülerinnen und Schülern in Deutschland über die Schornsteine von Auschwitz berichtet haben, gerne gehört: 'Ich schäme mich und es tut mir leid.'" Und CID-Präsident Dominique Boueilh erklärt: "Eine solche Tat, selbst wenn sie lange zurückliegt, ist noch weniger akzeptabel in einer politischen Elite, von der wir erwarten, dass sie vor allem die von den Überlebenden der Lager hinterlassenen Werte der Menschlichkeit und Demokratie mit aller Integrität und der notwendigen Treue weiterträgt."

Am Donnerstagnachmittag hat sich Hubert Aiwanger dann zu den Vorwürfen erklärt. In einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz im bayerischen Wirtschaftsministerium las er von einem Blatt Papier ab. Die Vorwürfe gegen ihn wies er erneut zurück. Doch er entschuldigte sich auch bei den Überlebenden des NS-Terrors: "Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlets oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe", so Aiwanger. Und weiter: "Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten und der wertvollen Erinnerungsarbeit."

Schlimmste Kindheitserinnerungen

Es sind Sätze, auf die Überlebende des NS-Terrors und deren Angehörige lange warten mussten. Besonders schockiert sei das CID, so Boueilh, über den Wortlaut des Pamphlets, das sich in abscheulicher Weise über die Verbrechen im Vernichtungslager und im Konzentrationslager Dachau lustig mache. Es beschädige die Erinnerungsarbeit und verletze die unzähligen Opfer der Lager.

Charlotte Knobloch ist Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München. Sie hat als Kind die Judenverfolgung in München überlebt. "Als ich diese furchtbaren Worte in dem Flugblatt gelesen habe, kamen sofort alle meine Kindheitserinnerungen wieder hoch. Überall in München hingen damals die schrecklichen Schriften von Julius Streicher ( Herausgeber der Nazi-Hetzschrift "Der Stürmer", d. Red.) mit all den Drohungen gegen uns Juden. Aber ich muss sagen, dass das, was in dem Pamphlet von 1987 steht, noch viel, viel schlimmer ist. So eine Wut, so ein Hass, das ist einfach unvorstellbar", erklärte sie.

"Überlebende des Holocaust sind verstört und verletzt"

Hubert Aiwanger und sein Bruder Helmut besuchten das Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg in Niederbayern, an dem 1987/88 das Flugblatt kursierte. Es lobte einen "Bundeswettbewerb: Wer ist der größte Vaterlandsverräter?" aus. Bewerber sollten sich, heißt es da, im KZ Dachau vorstellen. Als erster Preis wurde "ein Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz" genannt, als vierter Preis "ein einjähriger Aufenthalt" im Dachauer Lager, des Weiteren ein "Aufenthalt in einem Massengrab" bei freier Ortswahl oder ein "Genickschuss". Auch vom "Vergnügungsviertel Auschwitz" war die Rede.

Die Historikerin und Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Gabriele Hammermann, hat den Text des Pamphlets analysiert. Sie sagte, das Flugblatt mache nicht den Eindruck impulsiven Handelns, es stehe stattdessen in der "Tradition der nationalsozialistischen Propaganda".

Hubert Aiwanger hat erklärt, dass er das Pamphlet nicht verfasst habe. Sein Bruder Helmut bekannte sich dazu, aber der heutige Vize-Regierungschef hat eingeräumt, dass er "ein oder wenige Exemplare" des Flugblatts in seiner Schultasche hatte, weshalb er damals von der Schulleitung einbestellt wurde und ein Referat über das "Dritte Reich" schreiben musste. Hubert Aiwanger sagte, er könne sich nicht erinnern, das Flugblatt verteilt zu haben. Sein Bruder Helmut gab an, Hubert Aiwanger habe es lediglich eingesammelt, um Schaden von ihm abzuwenden.

Inzwischen wurden neue Vorwürfe laut: Hubert Aiwanger soll nach Recherchen des BR als Schüler ab und zu den Hitlergruß gezeigt und judenfeindliche Witze gemacht haben. Am Mittwoch reagierte Aiwanger auf die Vorwürfe mit einem Tweet: "#Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los."

SZ PlusHubert Aiwanger
:Dachauer KZ-Überlebende entsetzt über Flugblatt

Das antisemitische Pamphlet, das an Hubert Aiwangers alter Schule kursierte, empört Akteure der Erinnerungspolitik in Dachau. Sie fordern Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf, Konsequenzen zu ziehen.

Von Thomas Radlmaier und Helmut Zeller

Heubner vom Auschwitz-Komitee teilt in einer Stellungnahme nun mit: "Überlebende des Holocaust sind angesichts der antisemitischen Affäre um Hubert Aiwanger verstört und verletzt: Sie empfinden das abscheuliche Flugblatt als Angriff auf ihre menschliche Würde und als Verhöhnung ihrer ermordeten Angehörigen."

Für Charlotte Knobloch hat die Affäre, wie sie sagt, viel Vertrauen zerstört. Auch die Münchner Kindertherapeutin Eva Umlauf, die als zweijähriges Kind Auschwitz überlebt hat, meint: "Wie in der Politik mit der Affäre umgegangen wird, finde ich fast noch schlimmer als das entsetzliche Flugblatt."

Heubner und Boueilh warnen vor dem wachsenden Zuspruch, den rechtsextremes Gedankengut findet. Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der eine Entscheidung über Aiwanger verschleppe, so Heubner, beschädige das Ansehen Bayerns und der Demokratie. "Herr Aiwanger wird die Affäre aussitzen und sich zunehmend zum Opfer einer medialen Schmutzkampagne hochstilisieren. Ein jammervolles Stück."

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