München, 12:04 Uhr, Staatskanzlei. Im Hintergrund eine blaue Stellwand, davor Markus Söder. Über eine Stunde hat er soeben seinen Vizeministerpräsidenten, Hubert Aiwanger, den Chef der Freien Wähler, in einem Sondertreffen des Koalitionsausschusses ausgefragt. Dabei ging es um das antisemitische Flugblatt, das Aiwanger nach Recherchen der Süddeutsche Zeitung einst als Schüler in seinem Ranzen gehabt hat. Seinen Inhalt nennt Söder "übelsten Nazijargon". Nun steht der Ministerpräsident da, um das Ergebnis dieser Sondersitzung zu präsentieren. Aiwanger tritt nicht vor die Journalisten.
Die vorangegangene Fragerunde reiche nicht, um den Sachverhalt zu klären, sagt Söder. 25 Fragen werde man dem Chef der Freien Wähler vorlegen, mit Bitte um zeitnahe Antwort. "Der Ball liegt nun bei Hubert Aiwanger." Eine Entlassung sei "Übermaß".
Auch in Dachau verfolgt man aufmerksam, was in München vor sich geht. Wie sich die Koalition aus Freien Wählern und CSU durch die Krise manövriert. Hier erklären die Landtagskandidaten des Landkreises und die Kreisvorsitzende der Freien Wähler, wie sie das Ergebnis des Sonderkoalitionsausschusses bewerten.
Bernhard Seidenath (CSU): "Es geht um die Reputation Bayerns"
Über das Verfahren - eine schriftliche Stellungnahme einzufordern - sei er informiert gewesen, sagt Seidenath. Hubert Aiwanger müsse nun beweisen, "dass er mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes steht" und die Aufklärung schnell vorangetrieben werde. Schließlich gehe es hier um die "Reputation Bayerns, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt", sagt Seidenath, womit die Dimension der Debatte abgesteckt wäre.
Warum der Vorsitzende der Freien Wähler nicht um Entschuldigung bei den Bürgerinnen und Bürgern gebeten habe, fragt sich der CSU-Politiker. Er hoffe, sagt Seidenath, dass man die Koalition mit den Freien Wählern nach Beantwortung des Fragenkatalogs guten Gewissens fortsetzen könne. Die Koalition sei allerdings nicht an die Person Hubert Aiwanger gebunden. Die Frage, ob dieser weiter tragbar ist, müsse man bald beantworten. Dies sei allerdings auch Aufgabe der Freien Wähler. "Auch in Dachau", sagt Seidenath.
Hubert Böck (SPD): "Auf Zeit spielen lohnt sich nicht"
Ein Fragenkatalog? "Das ist kein klares Statement", sagt der SPD-Politiker Hubert Böck enttäuscht. Die Antworten von Herrn Aiwanger, hätten der CSU offensichtlich nicht ausgereicht. Auf Zeit spielen lohne sich nicht, schließlich sei das Thema zu groß, die Wahlen zu nah und die Aufklärung der Vorwürfe zu dringlich. Sollte sich der Vorwurf bestätigen, dass Aiwanger an der Verbreitung des Flugblattes beteiligt gewesen ist, sei er nicht mehr zu halten, sagt Böck. Er könne sich nicht vorstellen, dass die CSU dann mit dem Chef der Freien Wähler weiterarbeiten werde.
Die Behauptung der Freien Wähler, die Geschichte sei aus wahltaktischen Gründen lanciert worden, hält er für falsch. Dass sie nun großen Einfluss auf den Wahlkampf hat, daran gibt es auch bei dem SPD-Politiker keinen Zweifel. Nach Schadenfreude klingt der 58-Jährige jedoch nicht. Die Affäre könne der AfD in die Hände spielen und lenke von den Sachthemen ab. Eigentlich sei es geboten, über Energie- oder Wohnungspolitik zu diskutieren.
Michaela Steiner (Freie Wähler): "Unser Wahlkampf hat nichts damit zu tun"
Der Dachauer Landtagskandidat der Freien Wähler, Johann Groß aus Bergkirchen, will sich am Dienstag nicht zum Sondertreffen des Koalitionsausschusses äußern. Dafür könne er sich keine Zeit nehmen, da er im Landkreis Wahlplakate aufhängen müsse. Deshalb bezieht die Kreisvorsitzende der Freien Wähler Dachau, Michaela Steiner, Stellung. Sie stimme Söder zu, dass die Vorwürfe gegenüber Hubert Aiwanger aufgeklärt werden müssen. Ihr Kreisverband stelle sich "ganz klar gegen rechtes Gedankengut".
Inwiefern die Affäre um das antisemitische Flugblatt den Fortbestand der Bayern-Koalition beeinflussen wird, könne sie noch nicht einschätzen: Das hänge vom Ergebnis der Aufklärung ab. Jedoch wünsche sie sich, dass die Koalition zwischen CSU und Freien Wählern weitergehe. Derzeit werde sie oft auf die Recherchen um Hubert Aiwanger angesprochen. Auf ihren Wahlkampf im Landkreis werde der Skandal allerdings keinen Einfluss nehmen, sagt Steiner: "Unser Wahlkampf hat ja nichts mit Hubert Aiwanger zu tun."
Jürgen Henritzi (AfD): "Koalition wird von Misstrauen geprägt sein"
Für den AfD-Landtagskandidaten Jürgen Henritzi ist klar, dass die Vorwürfe um Hubert Aiwanger nun restlos aufgeklärt werden müssen - das sei man den Wählern schuldig. Außerdem sei er überzeugt, dass die Causa Aiwanger die künftige Zusammenarbeit zwischen CSU und Freien Wählern negativ beeinflussen wird. Falls die Koalition weitergehen sollte, so Henritzi, werde "ein Damoklesschwert des gegenseitigen Misstrauens über der Staatsregierung" schweben.
Außerdem verurteile er das antisemitische Flugblatt: Als Bruder hätte es Hubert Aiwanger ablehnen sollen, es im Schulranzen zu tragen. Generell habe Antisemitismus in seiner Partei keinen Platz, so Henritzi. Einige Beispiele sprechen dagegen: Erst vor Kurzem wurde Henritzis Parteikollege, der Brucker AfD-Kreisvorsitzende Florian Jäger erneut verurteilt, weil er den Holocaust verharmlost hatte.
Martin Modlinger (Grüne): "Brauchen keinen niederbayerischen Trump"
Der Grünen-Landtagskandidat Martin Modlinger ist verwundert, dass Hubert Aiwanger Söders Fragen nun schriftlich beantworten soll, schließlich hätte man diese auch im persönlichen Gespräch stellen können. Der Grünen-Landtagskandidat ist überzeugt: "Das hier ist keine Sache, die Söder und Aiwanger im Hinterzimmer auskarteln können", vielmehr brauche es dafür eine Sondersitzung im Landtag.
Er finde, dass Aiwanger schon jetzt nicht mehr als Vizeministerpräsident haltbar sei - und das nicht nur wegen des "hetzerischen und antisemitischen Flugblatts", so Modlinger. Der Freie-Wähler-Chef habe bereits bei seiner Rede in Erding, rechtspopulistische Parolen geäußert. Unter anderem sagte Aiwanger dort, dass man sich die Demokratie zurückholen müsse, kritisiert Modlinger: "Wir brauchen hier keinen niederbayerischen Trump." Der Fortbestand der Koalition sei für Söder wohl nun die "bequemste Variante", sagt Modlinger: "Aber das Amt des Ministerpräsidenten verlangt eine andere Entscheidung."