Lesung:Eine Begegnung wider den Antisemitismus

Lesezeit: 2 min

Hätte er sein Buch nach der Erfahrung des 7. Oktober geschrieben, er hätte es "Nix wie weg" genannt, sagt C. Bernd Sucher im Residenztheater. (Foto: Florian Peljak)

C. Bernd Sucher stellt sein Buch "Unsichere Heimat" über jüdisches Leben in Deutschland im Residenztheater vor - der Ernst der Lage ist ihm dabei nur zu bewusst.

Von Anna Steinbauer, München

Mal ehrlich. Wie viele Juden kennen Sie? Wenn Sie dieses Buch gelesen haben oder seinen Autor bei einer Lesung gehört haben, kennen Sie zumindest einen mehr und sind hoffentlich hochmotiviert, Ihren Freundeskreis zu erweitern. Warum? Begegnung und Bildung sind die einzig wirksame Art, Antisemitismus zu bekämpfen, findet C. Bernd Sucher, dessen neues Buch "Unsichere Heimat" gerade im Piper-Verlag erschienen ist. Es gehe oft nicht darum, dass man ein falsches Bild von Juden habe, sagt der Autor und ehemalige Theaterkritiker der Süddeutschen Zeitung im Gespräch mit dem Dramaturgen Ilja Mirsky nach seiner Lesung im Residenztheater.

Der Saal ist locker gefüllt, viel Silberhaar zu sehen, nur vereinzelt junge Gesichter. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, Charlotte Knobloch, wird von zwei Securitys auf ihren Platz in die erste Reihe geführt, überhaupt befinden sich mindestens zwei weitere uniformierte Beamte im Raum, die sichtbar für Sicherheit sorgen. "Viele haben überhaupt kein Bild von Juden", so Sucher. Die Folge davon sei, dass jeder einzelne dieses "Phänomen" besetze, wie er wolle. Dies zu ändern, sieht der 1949 in Bitterfeld geborene Autor aber nicht als Aufgabe jüdischer Menschen: "Nicht-Juden sollten versuchen, möglichst viele Juden kennenzulernen."

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Das ist gar nicht so einfach, schon allein zahlenmäßig: Von den 83 Millionen Menschen, die in Deutschland leben, ist nur ein kleiner Bruchteil jüdisch. Dazu kommt, dass jüdisches Leben seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Öffentlichkeit nicht präsent ist. Diese Leerstelle legt Sucher in seiner eindrucksvollen Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Lage der 95 000 Jüdinnen und Juden in diesem Land offen, in der er das gesellschaftliche Zusammenleben von der Befreiung 1945 bis heute untersucht. Im Zentrum des Buches steht die Frage, ob Juden in Deutschland eine Zukunft haben. Der Titel verrät die skeptische Haltung - obwohl der Autor anfangs eigentlich optimistisch war, machten ihm die Gespräche, die er mit unterschiedlichen Interviewpartnern führte, klar, dass er die Lage zu positiv sehe: "Deutschland ist eine unsichere Heimat", sagt der Sohn eines protestantischen Vaters und einer jüdischen Mutter.

Gegenwärtig leider erst recht: "Unsichere Heimat" ist das Buch zur Stunde, der Erscheinungszeitpunkt könnte gar nicht passender sein - tragischerweise. Antisemitismus ist wieder hoffähig geworden, das beweisen nicht zuletzt die Aiwanger-Affäre um das antisemitische Flugblatt, die jüngsten Judenstern-Markierungen an Hauswänden und eine große Zahl an Pro-Palästina-Demos im Zuge des Nahost-Konflikts. Wenn er das Buch nach der Erfahrung des 7. Oktober geschrieben hätte, hätte er es "Nix wie weg" genannt, sagt Sucher, der schlagfertig und unterhaltsam auf die anfangs zögerlichen, aber gut überlegten Fragen seines Gegenübers antwortet. Unter seinen Sarkasmus mischt sich der Ernst der Lage: Das sage sich so einfach, aber wohin? "Israel ist auch kein sicheres Land mehr", so der Autor. Angst habe er zwar keine, solange er auf einem Podium sitze wie hier. Allerdings spreche es schon für sich, wenn bei jeder Lesung, die er gebe, Polizeischutz angefordert werden müsse.

Der Elefant im Raum - die aktuellen Ereignisse in Gaza und Israel - wird auf dieser Bühne nur indirekt angesprochen. Vielleicht ist dies aber auch nicht nötig, man scheint sich darüber im Konsens zu befinden, wie die Lage für Juden überall auf der Welt zu bewerten ist. Fest steht für Sucher auf jeden Fall, dass man Antisemitismus nicht abschaffen kann. Eine traurige Erkenntnis, die dazu mahnt, seine Stimme zu erheben.

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