Neue S-Bahn-Schienen, neue Güterzug-Trassen, Gleis-Spangen und -Kurven, Zug-Tunnel und -Tröge - zum Gewirr der Ausbaupläne für den Knoten München-Ost an der Grenze der Stadtbezirke Bogenhausen und Trudering-Riem fügt die Deutsche Bahn jetzt ein weiteres Projekt hinzu: Sie plant, das 50 Jahre alte S-Bahn-Betriebswerk in Steinhausen durch einen Neubau zu ersetzen.
Offen ist, ob er dort errichtet wird, wo das alte Werk steht, oder ob die Züge künftig ein Stück weiter südlich instand gesetzt werden, wo derzeit bewaldete Grünflächen liegen. Diese sind im Umweltatlas Bayern als Biotopflächen mit artenreichem Grünland vermerkt. Unter Schutz stehen sie nicht, vielmehr sind sie als Bahnflächen ausgewiesen und unterliegen damit auch nicht der Planungshoheit der Stadt. Die Gleis-Trasse zwischen Trudering und dem Ostbahnhof gehört aber zu den wichtigen Kaltluftleitbahnen Münchens.
Die Neubaupläne, von denen ein Bahnsprecher sagt, sie seien "aktuell noch in der Vorplanungsphase, so dass Details noch nicht endgültig feststehen", landeten wohl versehentlich im Internet. Sie waren Teil einer umfangreichen Bahn-Präsentation zur Daglfinger und Truderinger Kurve (DTK), einem der Projekte, die zum Knoten München Ost gehören. Inzwischen ist diese Version der Präsentation, die der SZ vorliegt und über die der Münchner Merkur zuerst berichtet hatte, im Internet nicht mehr abrufbar.
Zusätzliche Gleise werden am Hüllgraben errichtet
Zu sehen ist darin die Variante des Betriebswerks, die auf den Freiflächen zwischen der S8-Trasse Richtung Daglfing und den Fernbahngleisen geplant wird. Nach Angaben des Bahnsprechers ist ein Neubau notwendig, weil die Bahn vom Ende des Jahrzehnts an etwa "100 neue S-Bahnen einer völlig neuen Fahrzeuggeneration" einsetzen wird, die mit mehr als 200 Metern dreimal so lang sind wie die heutigen Züge. "Dadurch ändern sich auch die Anforderungen an die Instandhaltung", so der Sprecher.
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Künftig soll es dafür zwei Werke geben: eines im Westen, in Langwied, und das neue Betriebswerk Steinhausen im Osten der Stadt, das deutlich größer ausfällt als der bestehende Bau. Im Westen sind sechs Hallengleise vorgesehen, im Osten sieben, aus Brand- und Arbeitsschutzgründen bekommen sie mehr Abstand zueinander als die in der alten Werkshalle. Während die Bauarbeiten in Langwied 2024 beginnen sollen, ist der Zeit- und Ablaufplan im Osten "Teil der laufenden Planungen und steht noch nicht im Detail fest". Eine Entscheidung solle 2023 fallen. Klar ist aber, dass das neue Werk "etwa 2030" in Betrieb gehen soll, wie der Bahnsprecher mitteilt.
Die Folie, die im Internet kursierte, enthält noch weitere neue Strukturen: Nordöstlich des neuen Betriebswerks und eines ebenfalls geplanten vierstöckigen Schulungsgebäudes mit Ruheräumen sind "mehrere Gleise für die Innenreinigung der S-Bahnen und zum Wenden" vorgesehen, wie der Bahnsprecher erklärt. Nach seinen Angaben entstehen sie "großteils auf bereits versiegelten Flächen, die heute als Baustelleneinrichtungsflächen genutzt werden".
Allerdings sehen Naturschützer in dem Areal gleich jenseits dieser versiegelten Flächen einen Lebensraum seltener Tiere und Pflanzen. Ursprünglich lag dort eine der größten Grünflächen der Stadt. Mittlerweile ist nur noch ein Rest des etwa 15 Hektar großen freien Geländes übrig, der nördliche Teil wurde von 2014 an für das Gewerbegebiet an der Grasbrunner Straße versiegelt. Auf der noch vorhandenen Grünfläche südlich des Amazon-Auslieferungslagers ist ein Stück des größtenteils unterirdischen Hüllgrabens freigelegt. Das Gebiet sei eine "stadtklimatische Ausgleichsfläche und Teil der Ost-West-Grünachse in die Innenstadt", hatte der Bund Naturschutz schon vor zehn Jahren geurteilt, als er vergeblich versuchte, das Gewerbegebiet zu verhindern.
Auf die Frage nach der Versiegelung ökologisch wertvoller Flächen erklärt der Bahnsprecher: "Bei allen Planungen achten wir auf geringstmögliche Umweltbeeinträchtigungen. Selbstverständlich werden die Wirkungen des Vorhabens im Rahmen der Umweltplanung intensiv geprüft und bei Bedarf beispielsweise durch Ausgleichsflächen kompensiert."
Aber nicht nur aufs Klima und die Umwelt hätte es Auswirkungen, wenn die Bahn ihr Betriebswerk samt Nebenanlagen auf bisher freien Flächen baut. Direkt betroffen wären auch die Bahn-Anwohner im Moosfeld, die eine Alternativtrasse für die Truderinger Kurve durchsetzen wollen. Die Bahn hat diese Gleiskurve auch in der inzwischen überarbeiteten Version so geplant, dass die Güterzüge mit Tempo 80 nahe an den Wohnhäusern vorbeirattern.
Den Gegenvorschlag der Anwohner, der die Trasse etwa 200 Meter nach Westen rückt und von Politikern aller Couleur aus dem Münchner Osten auf Stadt-, Landes- und Bundesebene unterstützt wird, verfolgte die Bahn bisher nicht weiter. Der Grund: An der Thomas-Hauser-Straße steht die Kfz-Verwahrstelle des Freistaats im Weg.
Um deren Verlegung bittet die Bürgerinitiative "Anwohner TDKS" Ministerpräsident Markus Söder seit gut einem Jahr in mehren Briefen. Doch auch wenn sich für abgeschleppte und beschlagnahmte Autos noch ein anderer Parkplatz fände - eine neue Halle der Bahn auf der Grünfläche würde eine Verlegung der Kurve wohl endgültig verhindern. Bisher habe man zu dem Projekt aber von der Bahn keine konkreten Antworten bekommen, bedauert Peter Brück von der Bürgerinitiative. Auch Söder habe nicht reagiert.
Offen ist, was mit dem Gelände des bestehenden Betriebswerks Steinhausen geschieht, wenn es nicht für den Neubau gebraucht wird. Das alte Werk werde in jedem Fall abgerissen, teilt der Bahnsprecher mit. Die frei werdende Fläche werde "auch weiterhin für Eisenbahn-spezifische Nutzungen Verwendung finden".
Nördlich des Bahngeländes sind neue Büroflächen geplant
Doch nicht nur die Bahn plant Neuerungen: An den Schienenstrang grenzt das Gewerbeband Steinhausen. Es reicht nach Norden bis zur Passauer Autobahn und erstreckt sich im Westen bis zum Vogelweideplatz und im Osten bis zu den Gleisen nach Daglfing. Die Stadt will dieses Gewerbegebiet "zukunftsfest" machen und "zu einem klimaresilienten und flächensparenden Stadtbaustein" umbauen, wie ein Sprecher des Planungsreferats formuliert. Dafür wurde eine Rahmenplanung samt Verkehrsuntersuchung erarbeitet, die 2023 dem Stadtrat vorgestellt werden soll.
Das alte S-Bahn-Betriebswerk liegt nicht in ihrem Umgriff, dafür aber die Grundstücke gleich nördlich davon, die das österreichische Immobilienunternehmen Imfarr gekauft hat, um dort das Projekt "Muc East" zu realisieren, laut Website eine "Arbeitswelt aus Büro, Forschung, Kreativität und Gewerbe". Momentan gibt es dort nur Baurecht für maximal fünf Stockwerke. Auf der Website des Immobilienentwicklers heißt es aber: "Auf acht Hektar Fläche werden 200 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche mit attraktiven Hochpunkten entwickelt."