Architekturspaziergang:Von der Brache zum schicken Stadt-Quartier

Lesezeit: 6 Min.

Der Arnulfpark in München war einst Containerbahnhof und provisorischer Busbahnhof. Heute sitzen dort internationale Firmen, die die Nähe zur Innenstadt schätzen.

Von Birgit Kruse (Texte) und Florian Peljak (Fotos)

Zugegeben: Es gibt schönere Orte, um einen Spaziergang zu beginnen, als ausgerechnet an der Donnersbergerbrücke, einem der verkehrsreichsten Punkte Europas. Aber es gibt einen guten Grund dafür, sich eben hier auf den Weg zu machen. Die Brücke blickt auf eine lange und für Neuhausen prägende Geschichte zurück. Sie durchschneidet das Viertel wie eine Schneise, die im Laufe von mehr als 100 Jahren immer breiter wurde: Bereits Ende des 19. Jahrhunderts führte hier ein eiserner Steg über die Bahngleise. Von 1935 an wurde die gerade mal 8,65 Meter schmale Brücke auf 24,5 Meter erweitert, ebenfalls in den Dreißigerjahren wurden die Landshuter Allee zu Münchens breitester Straße ausgebaut. An eine Allee erinnert hier allerdings wenig: Die Straße gehört zu den Orten Münchens mit der höchsten Stickoxid- und Feinstaubbelastung. Mit den Olympischen Spielen 1972 kam der Mittlere Ring - und damit noch mehr Autoverkehr.

Verlassen wir also die Brücke und gehen an der Mercedes-Niederlassung mit ihrer imposanten Glasfront vorbei in Richtung Arnulfstraße und Arnulfpark, der hier auf einer 27 Hektar großen innerstädtischen Brache entstand. Auf dem Weg offenbart sich schrittweise das Schöne unter dem grauen Brücken-Beton. Zwischen 2011 und 2016 haben Graffiti-Künstler die tragenden Säulen und Wände unterhalb der Donnersbergerbrücke mit ihren Werken verschönert. Mit 2000 Quadratmetern ist dieses Areal eine der größten Freiluft-Street-Art-Galerien der Stadt.

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Direkter Nachbar ist der Arnulfpark. Sobald man von der Hauptstraße einbiegt, wird es ruhiger. Nichts zeugt heute mehr von der wechselhaften Vergangenheit des Areals. Noch in den 1950er-Jahren gab es Überlegungen, die Autobahnen von Stuttgart, Nürnberg und Salzburg bis in die Innenstadt zu führen und auf dem Gelände zwischen Hacker- und Donnersbergerbrücke in einem Verkehrsknoten zusammenzuführen. In den 1970er-Jahren wurden diese Pläne verworfen. Lange Zeit nutzte die Bahn das Gelände als Containerbahnhof, bevor es zum provisorischen Busbahnhof, Flohmarkt und Tollwood-Quartier wurde. Dabei hatte das Areal, das zur Achse Hauptbahnhof-Laim gehört, großes stadtplanerisches Potenzial. Denn zu der Achse zählte nicht nur der alte Containerbahnhof, sie umfasste auch die alten Stück- und Rangierbahnhöfe. Nach langen Verhandlungen kaufte die Stadt der Bahn das 150 Hektar große Gelände ab. Der damals größte Immobilien-Deal der Stadt war perfekt und der Weg frei, 7000 Wohnungen zu bauen und 11 000 Arbeitsplätze anzusiedeln.

Inzwischen hat der Internet-Riese Google im Kontorhaus auf 11 000 Quadratmetern seine Zentrale für etwa 400 Mitarbeiter. Die Pharmafirma Bristol-Myers Squibb hat ihre Deutschland-Zentrale im Park nur wenige Meter von der Hackerbrücke entfernt. Im "Skygarden"-Tower (Burchard Architekten, Köln) residiert die Unternehmensberatung PWC. Der Arnulfpark sollte mit Wohnungen für 2500 Menschen sowie 3800 neuen Arbeitsplätzen eine "qualitätvolle Ergänzung der Innenstadt" werden. Ob das Konzept nach den Plänen des Darmstädter Büros Dubokovic/Heinrich/Heinrich aufgegangen ist, darüber wird heute noch trefflich gestritten. Den einen ist der Arnulfpark zu mittelmäßig, zu einfallslos, zu steril.

Doch der Arnulfpark zählt inzwischen zu den Top-Gewerbestandorten der Stadt. Quadratmeterpreise erreichen mit knapp unter 30 Euro fast schon Innenstadtniveau. Unternehmen schätzen die Lage. Und in der Tat: Wenn man vom Freiheiz aus, mit seinem Backsteinschornstein letztes Zeugnis der industriellen Vergangenheit des Quartiers, Richtung Hackerbrücke geht, eröffnet sich der Blick auf eine etwa 40 000 Quadratmeter große Grünfläche. Schade nur, dass es die Bäume in all den Jahren noch immer nicht zu einer ansehnlichen Größe geschafft haben und Schatten im Park ein rares Gut ist.

Die Straßen sind schmal. Zu schmal. Lieferanten parken in zweiter Reihe; Eltern bringen ihre Kinder in die Krippen, Kindergärten oder die Grundschule. Pendler suchen nach Parkplätzen. Doch wer nach der Rush-Hour durch den Park schlendert, wird kaum etwas hören von dem Verkehrs- und Zuglärm rund um den Park. Hotelketten und Bürogebäude dienen als Schallschutz, die Bewohner blicken ins Grüne. Es bleibt Zeit zum Schlendern, zum Entdecken - und zum Nachdenken. Denn die Straßen sind hier nach Schauspielern benannt, die während der NS-Zeit emigrierten - wie etwa Lilli Palmer, Grete Mosheim oder Erika Mann.

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1. Ehemaliges Hauptzollamt

Warum es sich lohnt innezuhalten: Wer mit dem Zug oder mit dem Auto über den Mittleren Ring nach München fährt, sieht die 45 Meter hohe, mit Grünspan überzogene Glaskuppel schon von Weitem - und der Blick aus der Weite verschafft auch schon einen guten Eindruck und erspart den Weg unterm Ring hindurch. Die Pläne stammen von dem königlichen Regierungs- und Bauassessor Hugo Kaiser, der für die Bayerische Staatsregierung arbeitete. Bis 2004 war hier das Hauptzollamt München I untergebracht, heute sind Teile der Bundeszollverwaltung untergebracht. Geplant war das Gebäude mit seiner 180 Meter langen Lagerhalle vielfältiger: Neben einem Verwaltungstrakt und der zolltechnischen Prüf- und Lehranstalt gab es auch Wohnblöcke für die Angestellten. Diese waren mit damals hochmoderner Belüftungstechnik ausgestattet. Der Komplex ist einer der größten in Stahlbeton-Skelett-Bauweise. Foto: Johannes Simon

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2. Mercedes-Turm

Warum es sich lohnt innezuhalten: Keine Frage, allein über das Gebäude dieser Mercedes-Niederlassung lässt sich einiges sagen. Etwa über den 65 Meter hohen, elliptischen Turm mit seinen 16 Stockwerken, die Transparenz im Inneren, die durch Gallerien und Treppen auf mehreren Ebenen unterstrichen werden. Aber wie kommen eigentlich die Autos in die Schaufenster? Ganz einfach. Über eine Spindel auf der Rückseite des Gebäudes. Von hier aus werden die Fahrzeuge, die meist aus Stuttgart angeliefert werden, mit viel Fingerspitzengefühl hinter der 3300 Quadratmeter großen Glasfläche geparkt. Der fließende Wechsel findet unbemerkt in der Nacht statt, maximal für 75 ist Platz. Nur für den Adventskalender wird der gesamte Fuhrpark ausgetauscht. Jedes Jahr steht der Kalender unter einem anderen Motto - etwa Filmfahrzeuge. Die ersten Ideen werden schon zu Jahresbeginn gesammelt. Mehr wird nicht verraten.

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3. Nove

Warum es sich lohnt innezuhalten: Es waren die letzten 7300 Quadratmeter Grund, die im Arnulfpark bebaut werden konnten. Entstanden ist dort ein Bürokomplex mit mehr als 27 500 Quadratmetern, 1300 Arbeitsplätzen - und einem hohen Anspruch an sich selbst: Denn die Nove, die korrekt "Nove by Citterio" heißt, soll ein Leuchtturm im Büroimmobilienpark der Stadt einnehmen. Schon von Weitem sind die geometrisch angeordneten, goldfarbenen Aluminiumrahmen zusehen. Vor dem Eingang steht eine 1,7 Tonnen schwere Bronze-Skulptur des Neurieder Künstlers Hajo Forster. Und im Inneren erwarten den Besucher ein 23 Meter hohes Atrium sowie die von Landschaftsarchitekten gestalteten beiden Innenhöfe. Die ersten Mieter mit etwa 500 Mitarbeitern sind schon eingezogen (Hays, Ernst & Young, Salvis Consulting AG). Bis Jahresende ziehen die restlichen Mieter in den Turm.

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4. Freiheiz / Rainer-Werner Fassbinder-Platz

Warum es sich lohnt innezuhalten: Zum einen ist der Schornstein des Freiheiz von nahezu jedem Punkt im Arnulfpark aus zu sehen. Zum anderen ist die ehemalige Turbinenhalle des alten Heizkraftwerkes der letzte noch erhaltene Bestandteil des früheren Gewerbegebietes. Inzwischen wurde das Industriedenkmal behutsam restauriert und dient heute vor allem als Kultur- und Konzerthalle. Einen Blick sollte man auch dem Platz widmen. Er ist dem 1982 verstorbenen Regisseur Rainer Werner Fassbinder gewidmet - und sorgt immer wieder für Diskussionen. Warum man einem so bedeutenden Vertreter des neuen deutschen Films so einen kargen Platz habe widmen müssen? Und warum in Neuhausen - war Fassbinder doch vor allem der Isar- und der Ludwigsvorstadt verbunden. Immerhin: auf dem Bodendenkmal, das auch "Asphalt-Pfütze" genannt wird, sind die Titel seiner Filme verewigt. Foto: Birgit Kruse

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(Foto: Florian Peljak)

Seit 2016 hat Google seinen Münchner Sitz im Kontorhaus. Etwa 400 Mitarbeiter sind hier beschäftigt.

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(Foto: Catherina Hess)

Für eine kleine Pause zwischendurch gibt es verschiedene Ruheräume. Das Kunstwerk in der Mitte des Raums besteht aus natürlichen Materialien.

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(Foto: Catherina Hess)

Neben einem Musikzimmer mit Gitarren und Keyboards, gibt es auch ein riesiges Fitness-Studio mit einem eigens angestellten Trainer.

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(Foto: Catherina Hess)

Für die Mitarbeiter gibt es zwei Restaurants, in denen dreimal täglich frisch zubereitete Mahlzeiten serviert werden. Kostenlos. Es gibt eine Kaffeebar, die so aussieht wie eine Filiale einer sehr bekannten Kaffeekette.

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(Foto: Catherina Hess)

An der Gestaltung der insgesamt 11 000 Quadratmeter Bürofläche haben verschiedene Innenarchitekten mitgearbeitet.

Die Konferenzräume sind bequem gestaltet und haben alle ein Motto: Einer heißt "Marienplatz". Gleich daneben ist übrigens der Konferenzraum "Stammstrecke", andere heißen "Skifoan" oder "Candidplatz".

5. Kontorhaus

Warum es sich lohnt innezuhalten: Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Die schwarz-graue Ziegelfassade erinnert an Industriearchitektur. Sie gibt dem Gebäude auch seinen Namen. Die geschwungenen Durchgangsbögen nehmen die Architektur der nahe gelegenen Hackerbrücke auf. Und mit 40 Metern ist der Turm am östlichen Ende des Gebäudes der höchste Punkt des Areals. Von dort aus hat man einen unverbauten Blick sowohl auf die Innenstadt als auch auf die Alpenkette. Und dann ist da noch ein ganz besonderer Mieter. Über 11 000 Quadratmeter erstreckt sich die Münchner Zentrale von Google. Etwa 400 Mitarbeiter beschäftigt das US-Unternehmen - und verwöhnt sie: etwa in den zwei eigenen Restaurants, in denen dreimal täglich frisch zubereitete Mahlzeiten serviert werden. Kostenlos. Danach kann im hauseigenen Fitnessbereich trainiert werden.

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6. Hackerbrücke

Warum es sich lohnt innezuhalten: Weil die Hackerbrücke für die Münchner weitaus mehr ist als eine gewöhnliche Brücke über Bahngleise. Während des Oktoberfestes pilgern die Besucher von der S-Bahnstation über die Brücke auf die Festwiese, die Polizei spielt an den Wiesn-Wochenenden aus einem Bus Partymusik und an lauen Sommerabenden erobern zumeist junge Münchner die Bereiche unter den Bögen und blicken in den Sonnenuntergang. Doch auch architektonisch hat die Brücke viel zu bieten. Denn das Bauwerk, das zwischen 1890 und 1894 durch eine Tochter der Maschinenbau-Actien-Gesellschaft Nürnberg vorm. Klett & Co. entstanden ist, zählt zu den wenigen in Deutschland erhalten Bogenbrücken des 19. Jahrhunderts. Die schmiedeeiserne Brücke wurde zwar im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört, in den 1950er Jahren jedoch aufwendig rekonstruiert.

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(Foto: Florian Peljak)

Bevor es den Arnulfpark gab, diente der alte Containerbahnhof als provisoriescher Busbahnhof. 2009 dann wurde das ZOB mit 38 Busstellplätzen fertiggestellt.

Der Entwurf des Zentralen Omnibus Bahnhofs stammt von dem Architekturbüro Auer + Weber.

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(Foto: Florian Peljak)

Die Sitzgarnituren im Wartebereich stammen von dem Münchner Industriedesigner Konstantin Grcic. Leider sind inzwischen viele Bänke beschädift.

7. ZOB

Warum es sich lohnt innezuhalten: Kurz nach der Eröffnung hat einer der Architekturkritiker der Süddeutschen Zeitung das ZOB mit einem Gürteltier verglichen, als sehenswerter Exot "inmitten einer Reihe baulicher Banalitäten". Daran hat sich nicht viel geändert. Das 50 Millionen Euro teure Gebäude gehört zwar nicht mehr zum Arnulfpark, gefühlt bildet es jedoch den Abschluss des Areals. Das liegt vielleicht an der spektakulären Hülle aus glänzenden Aluminium-Rohren. Insgesamt erstreckt sich das ZOB über sieben Etagen und hat auf 25 000 Quadratmetern Grundfläche Platz für 29 Terminals. Auch wenn die anfängliche Kritik verstummt ist - einladend ist die Ladenzeile mit ihrer dunklen Beleuchtung nicht. Dennoch lohnt sich ein Besuch im Wartebereich. Hier sitzt man auf Bänken des Münchner Industriedesigners Konstantin Grcic, der vom art-Magazin 2008 als "größter lebender Designer" ausgezeichnet wurde.

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