Ukraine:Sankt Putin, der Zyniker

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Es geht nicht voran: Blockade im Hafen von Odessa. (Foto: BO AMSTRUP/AFP)

Russland zerstört weiter kritische Infrastruktur in der Ukraine, während es einigen afrikanischen Ländern Getreide verspricht. Nun steht der Westen vor einer entscheidenden Frage.

Kommentar von Florian Hassel, Belgrad

An Zynismus hat es Russlands Präsident Wladimir Putin noch nie gemangelt, und dass sein Vorrat weiter wohl gefüllt ist, zeigt Putin wieder in der Krise um den von ihm aufgekündigten Schwarzmeer-Korridor für ukrainisches Getreide. Nachdem Putin das von den Vereinten Nationen und der Türkei vor einem Jahr vermittelte Schwarzmeer-Getreideabkommen Mitte Juli aufkündigte, dies mit Halbwahrheiten und Lügen rechtfertigte und zudem ukrainische Infrastruktur in Klump und Asche bomben lässt, stiegen die Getreidepreise weltweit in einer Woche um 17 Prozent.

Das kommt vor allem Russland selbst zugute, dessen Getreideexporte im vergangenen Jahr auf Rekordniveau gestiegen sind. Der Demagoge Putin wäre nicht Putin, würde er seine Zerstörungskampagne gegen die Ukraine nicht noch nutzen, um sich als angeblich barmherziger Samariter zu verkaufen. So kündigte Putin auf dem Russland-Afrika-Gipfel in Sankt Petersburg an, sechs afrikanischen Ländern (fünf von ihnen schon in Moskaus Gefolge) kostenlos Getreide zu liefern - freilich für alle zusammen weit unter 300 000 Tonnen. Das sind angesichts von 45 Millionen Tonnen Weizen, die Russland im vergangenen Jahr exportiert hat, nur Brosamen angeblicher Humanität, die sich Moskau angesichts der steigenden Preise leisten kann.

Die gesamte für den Getreideexport notwendige Infrastruktur zu schützen, ist wohl kaum möglich

Während Putin in Sankt Petersburg auftrat, ließ er ukrainische Schwarzmeerhäfen weiter bombardieren, aus denen bisher Getreide für die Weltmärkte verschifft wurde. Auch ukrainische Donauhäfen, die zunehmend zur Alternative für ukrainische Getreideexporte wurden, kamen schon unter russischen Beschuss. Die große Frage ist, wie die westlichen Alliierten der Ukraine darauf reagieren wollen. Mit Englands Premier Rishi Sunak sprach Präsident Wolodimir Selenskij am 25. Juli bereits über weitere Raketenabwehrsysteme. Doch es dürfte kaum möglich sein, die gesamte für den Getreideexport notwendige Infrastruktur einschließlich langer Bahnlinien zu schützen.

Und das grundlegende Problem ist damit nicht gelöst: die Blockade der ukrainischen Häfen durch Russlands Schwarzmeerflotte, rechtswidrig wie alles in diesem verbrecherischen Angriffskrieg. Nicht nur die Getreideausfuhr der Ukraine über das Schwarze Meer macht diese unmöglich, sie blockiert auch die Ein- und Ausfuhr anderer Wirtschaftsgüter und beeinträchtigt so die ukrainische Wirtschaft. Wie sehr Putin internationales Recht mit Füßen tritt, zeigt auch Moskaus Drohung, Schiffe jedweder Flagge anzugreifen, die es wagen, einen ukrainischen Hafen anzulaufen.

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Nach dem ehemaligen US-Ukraine-Sonderbeauftragten Kurt Volker forderte auch der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber in Europa, Admiral James Stavridis, Getreideschiffe von Kriegsschiffen der Nato - sprich: der USA oder Großbritanniens - durchs Schwarze Meer eskortieren zu lassen und von Russland gelegte Minen durch Minenräumer der Nato räumen zu lassen. Es wäre der richtige Weg, um die Blockade Moskaus aufzubrechen. Noch allerdings gibt es keine Anzeichen dafür, dass US-Präsident Joe Biden zu diesem Schritt weiterer Konfrontation mit Putin bereit ist. Doch unabhängig davon, wie dieser Krieg an Land weitergeht, wird es nicht möglich sein, die Kontrolle über das Schwarze Meer auf Dauer einem kriegslustigen Diktator zu überlassen.

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