Indien:Kohle und noch mehr Kohle

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Kohle wird in Indien teils illegal im Tagebau geschürft. Es ist ein Geschäft, denn der Aufschwung des Landes basiert auf dem Material. (Foto: Daniel Berehulak/Getty Images)

Weil Indien die Schlussvereinbarung des Klima-Gipfels in Glasgow geschwächt hat, gilt es gemeinsam mit China als Bremser. Das ist nicht fair und auch nicht ganz zutreffend.

Kommentar von David Pfeifer

Indien hat wegen der Kohle beim Klimagipfel in Glasgow blockiert und auf den letzten Metern eine Enttäuschung hervorgerufen, gemeinsam mit China. So simpel wird es jetzt gelegentlich dargestellt, es deckt nur leider den Umfang des Problems nicht ab. Indien wird weltweit als CO₂-Verschmutzer Nummer drei geführt, nach China und den USA. Das gilt aber nur, wenn man Europa nicht als zusammenhängenden Wirtschaftsraum wahrnimmt. Täte man dies, wäre Europa mit seinen etwa 450 Millionen Einwohnern der drittgrößte Umweltsünder. Obwohl der Markt eigentlich gesättigt sein sollte: Die Menschen hier haben häufig bereits ein Auto, eine Einbauküche mit Ceran-Kochfeld, ein zweites oder drittes Smartphone.

Gemessen an der Bevölkerungszahl sind die klimaschädlichen Emissionen gering

Indien umfasst 17 Prozent der Weltbevölkerung mit seinen 1,3 Milliarden Menschen, verursacht aber nur fünf Prozent der weltweiten Emissionen. Auch das kann man so simpel sagen. Und nach bald zwei Covid-Jahren ist die indische Wirtschaft geschwächt, der Motor muss wieder angeworfen werden, und Kohle gehört zum Treibstoff. Zehn Jahre Aufschwung zuvor hatten zu einer Verdoppelung des Verbrauchs geführt. Wer etwas gegen den Kohleverbrauch in Indien tun will, muss wirtschaftliche Anreize schaffen.

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Im indischen Mittelstand, der in diesen zehn Jahren wuchs, ist selbstverständlich ein Bewusstsein für Umweltschutz entstanden. In Delhi sind derzeit die Schulen geschlossen, nicht wegen der Pandemie, sondern wegen des Smogs, der die Stadt erstickt. Umweltprobleme treffen häufig die Ärmsten, vor allem in Indien, wo sie Alltag sind. Aber es bleiben Probleme, um die sich in erster Linie wohlhabende Leute in reichen Ländern sorgen. Indien ist in den Jahren vor der Pandemie reicher geworden, aber gleichzeitig arm geblieben. Und zwar so arm, dass es vielen Menschen im Land eher um die Frage geht, wo die nächste Mahlzeit herkommt, und nicht um die Verfassung der Welt im Jahr 2030 oder 2070.

Westliche Länder haben lieber Geschäfte mit China gemacht - trotz Verstößen gegen Menschenrechte

Man könnte konsequenter in Indien investieren, in Solartechnik beispielsweise, in alternative Transportmöglichkeiten - Delhi erstickt ja nicht nur am Smog, sondern auch am Verkehr. Doch westliche Konzerne haben häufig lieber Geschäfte in China gemacht, dem weltweit größten Umweltverschmutzer. Xi Jingping war gar nicht erst zum Klima-Gipfel gereist, Narendra Modi schon.

China war als Wirtschaftsstandort lange attraktiv, weil es als stabil galt. Dafür ignorierte man Probleme, zum Beispiel mit Menschenrechten oder der massiven Umweltverschmutzung. Indien mag ein komplizierter Wirtschaftsstandort sein, aber es ist eine Demokratie, wenn auch eine zerbeulte. Zudem ist China für Indien kein freundlicher Nachbar, weswegen es in Delhi sicher mit großer Irritation wahrgenommen wird, gemeinsam als böse hingestellt zu werden. Je 100 000 indische und chinesische Soldaten wurden im vergangenen Jahr im Grenzgebiet stationiert. China ist nicht nur Umweltverschmutzer Nummer eins, sondern auch Aggressor in der bevölkerungsreichsten Region der Welt.

Der westliche Wohlstand, der auch Chinas Aufschwung befeuert hat, soll erhalten bleiben, aber Indien soll nun auf Wachstum verzichten? Vielleicht ein bisschen viel verlangt. Wer etwas will, muss Perspektiven schaffen, vor allem für die gut ausgebildeten und ehrgeizigen Inderinnen und Inder. Diese Menschen können mindestens ebenso gut wie ihre Nachbarn in China die Smartphones und Elektrofahrzeuge der Zukunft bauen.

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