SPD-Kanzlerkandidat:Martin Schulz sagt, er verstehe die Menschen

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Martin Schulz, designierter Kanzlerkandidat der SPD, aufgenommen während der ARD-Sendung "Anne Will". (Foto: dpa)

Wer ist der Mann, der SPD-Kanzler werden will? In TV-Interviews spricht Schulz über schwierige Zeiten in seinem Leben. Er ruft seine Partei dazu auf, die Zukunftsängste vieler Menschen nachzuempfinden.

TV-Kritik von Antonie Rietzschel

Maurike Maaßen ist eigentlich die perfekte SPD-Wählerin: Supermarktverkäuferin, Betriebsrätin, Gewerkschafterin. Doch Maurike Maaßen hat nicht das Gefühl, dass die Sozialdemokraten den "kleinen Mann" noch erreichen wollen. In die Kamera der Anne-Will-Redaktion schauend sagt sie: "Herr Schulz, ich hoffe, dass Sie die SPD wieder für mich wählbar machen."

Seit der Nominierung von Martin Schulz als Parteichef und Kanzlerkandidat ist die SPD wie im Rausch. In den Umfragen kletterten die Zustimmungswerte der Partei von 21 auf 24 Prozent, dazu kommen 700 Parteieintritte in den vergangen Tagen. Als Schulz am Sonntagnachmittag vor den Genossen seine erste Rede hielt, war das Willy-Brandt-Haus knackevoll. Er wurde umjubelt und beklatscht. Jetzt muss er sich den Wählern stellen. Viele Deutsche dürften sich immer noch fragen: Wofür steht eigentlich der Mann mit Bart und Brille?

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Beide kennen sich seit Langem, sie haben Respekt voreinander, politisch wie persönlich. Herausforderer Schulz wird Merkel trotzdem härter attackieren, als Steinbrück und Steinmeier es taten.

Von Nico Fried

Die ersten Antworten kann Schulz am Sonntag selbst liefern. Zwei Interviews im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind zur besten Sendezeit angesetzt. Erst wendet er sich im ZDF-Format Was nun, Herr Schulz? an das Fernsehvolk des Vorabendprogramms. In 20 Minuten rauschen die Journalisten gemeinsam mit Schulz durch verschiedenen Themen: Gabriels Rücktritt, Koalitionsfragen, die erste Woche mit Donald Trump - und schließlich Schulz' großes Thema: Gerechtigkeit.

Martin Schulz macht Gefühl zu seinem Programm

Der Politiker weiß um die kurze Sendezeit. In seinen knappen Antworten zeichnet er das Bild einer auseinanderdriftenden Gesellschaft. Spricht von hart arbeitenden Menschen und den Eliten: Steuerflüchtlingen, Chefs von börsennotierten Unternehmen, die ihren Laden in den Ruin treiben, aber gleichzeitig dicke Boni kassieren. Nichts daran ist neu, aber es passt zum Sound der Zeit. Zum "Wir hier unten, ihr da oben", das Rechtspopulisten so erfolgreich bedienen.

Die Moderatoren konfrontieren Schulz damit, dass unter den Wählern der Alternative für Deutschland enttäuschte Sozialdemokraten seien. Ob er die ausgrenzen wolle? Schulz antwortet nicht direkt, sondern sagt: "Wenn hart arbeitende Menschen, die sich an die Regeln der Demokratie halten, das Gefühl haben, sie würden nicht respektiert, weil es nicht gerecht zugeht - dann kann ich deren Gefühl verstehen."

So wie beim Brexit und der Wahl von Trump werden auch bei der Bundestagswahl weniger Fakten als Gefühle eine große Rolle spielen. Vor allem Wut und Hass. Auch Martin Schulz macht Gefühl zu seinem Programm. In Umfragen liegt er in Sachen Sympathie und Glaubwürdigkeit vor Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Argumente, die die Menschen nicht erreichen

Er will ein Kandidat sein, der zuhört. Der weiß, welche Sorgen Busfahrer haben, Krankenpfleger, Polizisten. Als er sich später im weißen Sessel der Talkshow Anne Will niedergelassen hat, sagt er: "Vielleicht ist es manchmal auch so, dass ein noch so präzises Argument die Menschen nicht erreicht. Dass sie eher spüren müssen: 'Der Typ versteht wie es uns geht.'"

Schulz stammt aus Würselen, einer Stadt in Nordrhein-Westfalen. Er hat sie mehrere Jahre als Bürgermeister regiert. Als Anne Will ihm indirekt unterstellt, er habe sonst innenpolitisch nur wenig vorzuweisen, kontert er: "Probleme wie Arbeitslosigkeit und Armut landen am Ende beim Bürgermeister." Dort bekomme man mit, was die Menschen beschäftige. Deren Alltag wolle er mit ins Bundeskanzleramt nehmen.

Volksnähe zeigen, zuhören - das sind keine neuen Konzepte für eine Bundestagswahl. Und im Zweifel können die Annäherungsversuche ganz schön danebengehen. Doch Schulz kommt seine eigene Biografie zugute. Dass er vom Weg abkam, Alkoholiker war, sich trotz fehlendem Abitur hoch arbeitete. Martin Schulz thematisiert seine eigene Geschichte immer wieder, auch bei Anne Will. Er weiß, dass sie den Menschen hinter dem Berufspolitiker erkennen lässt.

"Es reicht nicht, dass wir uns nur im Kopf um die Probleme kümmern, sondern es geht auch um den Bauch", sagt Schulz in der Sendung. Sozialdemokraten müssten nachempfinden können, dass Menschen Angst vor der Zukunft haben. Wie das aussehen kann, soll Martin Schulz dann am Beispiel von Maurike Maaßen zeigen, die eigentlich perfekte SPD-Wählerin. Sie verdient nur ein wenig mehr als 1500 Euro im Monat und fürchtet sich vor Altersarmut, wie sie in einem Videoeinspieler sagt. Martin Schulz sagt: "Das bewegt mich sehr."

Martin Schulz glaubt daran, dass die SPD stärkste Kraft wird

Frau Maaßen sitzt auch im Publikum und will Martin Schulz erst mal sagen, dass sie ihn sympathischer findet als Sigmar Gabriel, Vertrauen habe sie aber keins. Anne Will will Martin Schulz festnageln. Wie hoch müsste der Mindestlohn sein, damit eine gerechte Bezahlung gewährleistet ist? Solange man in der Großen Koalition sei, könne er keine festen Zusagen machen, sagt Schulz. Frau Maaßen wäre dann zu Recht enttäuscht, wenn er sein Versprechen nicht einhalten könnte. Er bittet bei der Wahl um einen Vertrauensvorschuss. Den will Frau Maaßen ihm aber nicht geben. So vom Gefühl her.

Vielleicht wird sie sich noch mal umentscheiden. Martin Schulz hat selbst die Launenhaftigkeit der Wähler skizziert, drei Prozent würden sich erst in der Wahlkabine entscheiden. Das klinge erst mal wenig, könne aber wahlentscheidend sein. Auch wenn die Umfragen es nicht hergeben, so hat Martin Schulz den festen Glauben daran, dass die SPD stärkste Kraft wird. Anne Will fragt zweifelnd nach, ob er - der sonst so realistische Schulz - sich nicht selbst überschätze. Nein, er halte das für realistisch.

Was soll er auch sagen. Andererseits hat das Jahr 2016 schmerzhaft klar gemacht, dass selbst unmöglich erscheinende Szenarien möglich werden können: der Brexit, die Wahl von Trump. Vielleicht stellt die SPD im Herbst 2017 tatsächlich den deutschen Kanzler.

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