Podcast "Seelenfänger":Holla, die Waldfee

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: SZ)

Ein Podcast auf den Spuren des Anastasia-Kults in Deutschland . Dessen Anhänger feiern eine fiktive Eremitin und ihre Zurück-zur-Natur-Lehre, aber auch Querdenker oder Reichsbürger kommen auf ihre Kosten

Von Stefan Fischer

Das immer wieder Erstaunliche an Menschen, die sich ein krudes Weltbild zusammenbauen, ist: Wie gigantisch viel Absonderliches sie glauben müssen, damit die Binnenlogik stabil bleibt. Und weil sich die meisten von einer bereits formulierten Idee anfixen lassen, ist noch etwas anderes erstaunlich: Wie unfassbar bereit sind sie, menschenverachtende Ideologien als geistigen Beifang zu akzeptieren, solange sie von einer Kernidee überzeugt sind.

Die beiden Journalisten Emeli Glaser und Dennis Müller können das in ihrem Podcast sehr anschaulich vorführen und zwar anhand zweier Frauen, die dem Anastasia-Kult angehangen haben. Der dreht sich vordergründig um die Ursprünglichkeit des Landlebens, die Selbstversorgung mit Bioprodukten und einen starken Zusammenhalt. Die eine der beiden Protagonistinnen ist als junge Frau dort hineingeraten, hat sich geborgen gefühlt und gerade noch rechtzeitig bemerkt, was eigentlich Sache ist. Die andere ist in einer Familie von Anastasia-Anhängern aufgewachsen. Erst, als der Stiefvater sich von der Mutter getrennt hat, trotz des immensen Stellenwertes der Familie in dieser Gemeinschaft, hat die Teenagerin begonnen, die Ideologie zu hinterfragen. Zum Anastasia-Kult gehören nämlich ganz zentral: Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus, Verschwörungsglaube. In Deutschland gibt es starke Überschneidungen mit dem Querdenker- und dem Reichsbürger-Milieu, mit den Szenen von Corona-Leugnern und Schulverweigerern.

Öko-Landbau als Deckmantel für antidemokratische Umtriebe

Seinen Ursprung hat der Anastasia-Kult in Russland. Wladimir Megre, als Unternehmer einer der postsowjetischen Glücksritter, hat zwischen 1996 und 2010 die zehnteilige Buchreihe Die klingenden Zedern Russlands veröffentlicht. Darin führt er selbst als literarische Figur Zwiegespräche mit einer feenartigen Frau namens Anastasia über sämtliche Bereiche der Lebensführung. Propagiert wird in den Texten eine extrem naturverbundene, gewissermaßen vorindustrielle Existenz. Die Bücher sind kitschig und rechtsesoterisch. Die Argumentation ist immer wieder antisemitisch und antidemokratisch geprägt, verschiedene Verschwörungserzählungen werden zur Welterklärung herangezogen. Um diesen Sektenkosmos hat Megre ein florierendes Merchandising-Unternehmen aufgebaut.

Emeli Glaser, Dennis Müller und weitere Kolleginnen recherchieren im Allgäu, im Harz, im Chiemgau, in Österreich. Vielfach stoßen sie auf verschlossene Türen, einige jedoch öffnen sich. Am Ende äußert sich sogar Megre selbst. Was er und andere sagen, ist häufig selbst entlarvend. Trotzdem sind die vielen Einordnungen durch Kenner der verschiedenen Milieus unerlässlich, die im Anastasia-Kult unter dem Deckmantel des Öko-Landbaus zusammenfinden.

Der sechsteilige Podcast Seelenfänger: Der Anastasia-Kult ist hervorgegangen aus einem Projekt der Deutschen Journalistenschule, mit ihm beginnt der Bayerische Rundfunk eine auf mehrere Staffeln angelegt Audio-Doku-Reihe über Sekten, Kulte und religiöse Bewegungen. Eine zweite Seelenfänger-Staffel ist bereits angekündigt, die in ein bizarres, katholisches Milieu im Umfeld des emeritierten Papstes Benedikt XVI. führen soll.

Seelenfänger: Der Anastasia-Kult, BR-Mediathek .

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