Die letzten Tage vor dem Amtsantritt von Donald Trump nutzt David Fahrenthold für eine Atempause. Der Präsidentschaftwahlkampf hat ihn, der seit 2000 für die Washington Post schreibt, zu einem Star gemacht. Niemand enthüllte brisantere Geschichten über Amerikas künftigen Präsidenten als der schlaksige Fahrenthold, der mit seiner eckigen Brille jünger wirkt als 39. Nach monatelanger Recherche und mithilfe seiner 250 000 Twitter-Follower deckte er auf, dass Trump die "Donald J. Trump Foundation" nicht dazu nutzte, um an Hilfsorganisationen zu spenden: "Er wollte sich mit der Stiftung als Wohltäter inszenieren, ohne eigenes Geld auszugeben."
Und es war Fahrenthold, der im Oktober jenes Video publizierte, in dem Trump 2005 vulgär über Frauen sprach und sexuelle Übergriffe verharmloste. Dass der Republikaner trotzdem gegen Hillary Clinton siegte, hat auch Fahrenthold überrascht, erzählt er. Er gehört nun zu einem Team, das Trumps Firmengeflecht auf potenzielle Interessenkonflikte abklopft: "Da kommt viel Arbeit auf uns zu."
"Die Leser erwarten Enthüllungen von uns."
Fahrenthold wird dabei mit neuen Kollegen zusammenarbeiten, denn die Washington Post möchte 2017 "Dutzende Journalisten" einstellen, wie Herausgeber Fred Ryan ankündigt. "Dies ist einzigartig", analysiert Ken Doctor bei Politico. Seit Amazon-Gründer Jeff Bezos die Post 2013 übernahm und 50 Millionen US-Dollar investiert hat, geht es aufwärts. Dank guter Programmierer laden sich Website und Smartphone-App rasend schnell und die Scoops von Fahrenthold & Co. sorgen dafür, dass das Digital-Wachstum 2016 zu einem Profit führte. Im Internet sind acht Stellen für ein "Rapid Response Investigative Team" ausgeschrieben: Die Journalisten sollen vor allem in Online-Datenbanken recherchieren und "unter hohem Zeitdruck" Artikel schreiben. Das bestehende Investigativ-Ressort wird auch ausgebaut. Ryan: "Die Leser erwarten Enthüllungen von uns."
Auch die Konkurrenz steht so gut da wie lange nicht. Als Reaktion auf Trumps Wahlsieg meldete etwa Pro Publica, eine stiftungsfinanzierte Organisation für investigative Recherche, Spenden von mindestens 750 000 Dollar; Los Angeles Times und Wall Street Journal verzeichneten Rekordzuwächse bei den Abo-Zahlen. Die New York Times, laut Trump angeblich "schwächelnd", freute sich Ende November über 132 000 neue Abonnenten und kündigt per Memo an, fünf zusätzliche Millionen für "Bericht über die Trump-Regierung" zu investieren.
Deren Chefredakteur Dean Baquet sieht dies als Auftrag und will mit neuen Stellen die Berichterstattung verbessern. Die Times müsse kreativer werden und jene Kräfte besser verstehen, deretwegen Millionen Wähler so sehr nach Wandel gierten, dass sie Trump zum Präsidenten machten.
Es gibt Dutzende Newsletter, und jeder Artikel landet auf Facebook
Über das Weiße Haus werden künftig sechs Korrespondenten berichten statt vier und der einzige Neuzugang ist aufschlussreich. Glenn Thrush kommt von Politico, doch seine Karriere begann in der New Yorker Boulevardpresse. Die New York Post lebt seit Jahrzehnten in Symbiose mit dem im Stadtteil Queens geborenen Trump, dem Dauergast auf ihrer Klatschseite "Page Six". Und obwohl sie mittlerweile für die Times arbeitet, ist Maggie Haberman zweifellos Trumps Lieblingsjournalistin: Sie berichtete jahrelang für die New York Post über Lokalpolitik und bekommt nun wöchentlich Interviews mit ihm.
Diese Art von Heimvorteil hat die Washington Post nicht und soll doch nach dem Willen von Jeff Bezos das neue Paper of Record werden, die wichtigste Zeitung der USA. Inhaltlich mischt sich der Amazon-Chef nicht ein, er treibt vor allem das Produktdesign-Team an: Alle Angebote sollen so nutzerfreundlich wie möglich sein. Es gibt Dutzende Newsletter (das "Daily 202"-Angebot gilt als neue Pflichtlektüre der Polit-Nerds), und jeder Artikel landet auf Facebook. Der Newsroom ist rund um die Uhr besetzt, viele Printtraditionen sind verschwunden. Welche Artikel auf der Titelseite landen, spiele keine Rolle mehr, sagt David Fahrenthold. "Online first" empfindet er als Befreiung, weil Texte dann veröffentlicht werden, wenn sie fertig sind.
Fahrentholds Recherchen illustrieren gut, wie bei der Post gearbeitet wird: Im Januar sah er in Iowa, wie Trump einen riesigen Scheck an eine Hilfsorganisation übergab. Zuvor hatte er getönt, Millionen für Ex-Soldaten zu sammeln und selbst eine Million spenden zu wollen. Auf dem Scheck stand der Name der Trump-Stiftung - ein Verstoß gegen geltendes Recht. Fahrenthold wollte aber vor allem prüfen, ob der Milliardär sein Versprechen eingehalten hatte. Als ihm dessen Sprecher keine Beweise lieferte, fragte er Veteranenverbände am Telefon, per Tweet oder E-Mail nach Spenden von Trump und hielt deren Antworten handschriftlich fest. "Die Fotos aus meinem Notizblock lud ich bei Twitter hoch. So konnte ich den Trump-Fans zeigen, dass dies keine Hexenjagd ist."
Unter dem öffentlichen Druck reagierte Trump: Im Mai überwies er eine Million Dollar an eine kleine Stiftung. Kurz darauf traf Fahrenthold Chefredakteur Marty Baron am Aufzug: "Er gab mir den Auftrag, alle Spenden zu prüfen, die Trump jemals gemacht hatte. Wenn Trump seine Versprechen nicht hält, während er fürs Weiße Haus kandidiert, was hat er dann früher verborgen?" Er konnte nachweisen, dass Trump seine Stiftung dafür genutzt hatte, Rechtsstreitigkeiten seiner Firmen beizulegen oder Ölporträts von sich zu kaufen.
"Trump mag es mit der Wahrheit nicht so ernst nehmen, aber wir sind ihr verpflichtet."
Die Herausforderung für 2017 umschreibt Fahrenthold so: "Dieser Präsident ist bereit, jederzeit zu lügen und wir müssen ihn sofort korrigieren." Entscheidend werde das Tempo sein. Bloßstellungen einzelner Reporter wie jüngst CNN-Korrespondent Jim Acosta dürften zur Routine werden. Fahrenthold rechnet nicht mit einer Solidaritätswelle unter den Politjournalisten. Dafür sei die Konkurrenz zu groß und das Klima zu rau.
Zwei Fragen bleiben offen: Hält die Spendenbereitschaft an, sodass Medienunternehmen dauerhaft mehr Recherchen finanzieren können? Oder werden viele Solidaritäts-Abos bald gekündigt? Hier ist die Post dank ihres Mäzens Jeff Bezos in einer komfortablen Lage. Aber auch bei der Hauptstadt-Zeitung weiß man nicht, wie jene Millionen US-Amerikaner erreicht werden sollen, die alle "Mainstream-Medien" pauschal für voreingenommen halten.
Eines dürfe keinesfalls passieren, warnt Reporter Fahrenthold: "Trump darf uns nicht dazu verleiten, unsere Standards zu missachten." Die Veröffentlichung des Dossiers mit kompromittierendem Material über Trump sei fahrlässig. Bis heute hat die Post kein Detail genannt, weil man die Behauptungen nicht verifizieren konnte. Die pikanten Stellen einfach bei Buzzfeed abzuschreiben, kommt für Fahrenthold nicht in Frage: "Trump mag es mit der Wahrheit nicht so ernst nehmen, aber wir sind ihr verpflichtet."