Es ist die Frage, die Sportjournalisten ganz gerne stellen. Die Frage, die immer passt, im Sieg und in der Niederlage oder wenn es sonst wenig zu fragen gibt. Es ist eine harmlose Frage, aber auch eine, die ein Teil des Problems ist, das den Sportjournalismus seit Jahren begleitet. Das Problem der Nähe. Wenn man Hajo Seppelt fragt, wie er "sich denn gerade so fühle", dann rollt er erst einmal mit den Augen, weil die Frage für all das steht im Sportjournalismus, für das Hajo Seppelt nicht steht, das Kumpelige, das Gefühlige, das Fansein.
Andererseits ist es der Abend vor dem größten Triumph seiner Journalistenkarriere, der Donnerstagabend vergangener Woche, wenige Stunden bevor der Internationale Leichtathletikverband russische Athleten von Olympia ausschließen wird.
Seppelt, 53, kommt gerade von einem Informantentreffen im Rheinland und ist auf dem Weg nach Wien, dazwischen muss er am Kölner Flughafen die "Wie fühlen Sie sich?"-Frage beantworten. "Wenn wir das mitangestoßen haben, dann ist das ein Erfolg für die Arbeit der Redaktion."
Viele Jahre lang hatte sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen wie ein Fan verhalten
Mitangestoßen ist eine vorsichtige Formulierung dafür, dass Seppelt mit seinen Dokumentationen wohl die entscheidenden Beweise dafür geliefert hat, dass das, was in Russland passiert, ziemlich nahe dran ist am Staatsdoping. Dass eine solche Enthüllung einmal zu einer ziemlich guten Sendezeit in der ARD laufen würde, war lange nicht absehbar.
Viele Jahre lang hatte sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen in erster Linie wie ein Fan verhalten, der am Straßenrand oder im Stadion die Idole bejubelt. Journalismus bedeutete, einem Sportler das Mikrofon unter die Nase zu halten und die Wie-fühlen-Sie-sich-Frage zu stellen. Mittendrin statt nur dabei. Sport als Gute-Laune-Fernsehen, als Um-die-Wette-Klatschen mit Poschi im Sportstudio. Heile Welt. "So langsam kommt das Bild des Sports der Wirklichkeit näher", sagt Seppelt in einer Bar des Kölner Flughafens. Aber die, die ihren Beruf ganz anders verstehen, die gibt es natürlich immer noch. Reporter, die vor Freude über einen deutschen Sieg einen roten Kopf haben, stehen auch heute bei den großen Turnieren am Spielfeldrand. Aber sie sind nicht mehr die einzigen.
Hinter Seppelt laufen die Bilder der EM, er sitzt mit dem Rücken zum Bildschirm. Der WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn erklärt in diesen Tagen oft, dass der Sender entschieden bei der Uefa dagegen protestiert habe, dass man die Bilder von randalierenden russischen Fußballfans nicht zur Verfügung gestellt bekommen habe. Die ARD, sagt Schönenborn so ungefähr, lege großen Wert darauf, dass nichts unter den Teppich gekehrt werde. Es ist alles gerade ziemlich investigativ.
Das war nicht immer so. Vor zehn Jahren setzte der damalige ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf Seppelt als Schwimmreporter ab. Der ging ihm mit seinem ständigen Doping auf die Nerven, so interpretierten es damals Kollegen. Boßdorf hatte im System ARD Karriere gemacht, indem er sich möglichst nah an das vom Doping verseuchte System Telekom ranwanzte, eine Biografie über Jan Ullrich mitverfasste und Veranstaltungen der Telekom moderierte. Embedded Journalism. Aus heutiger Sicht ein ziemlicher Skandal, vor noch nicht allzu vielen Jahren letztlich Alltag. Damals war Seppelt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eher ein Außenseiter. Heute nimmt der WDR ihn mit zum Parlamentarischen Abend im Düsseldorfer Landtag, zu einer Veranstaltung, die eine Art Arbeitsnachweis gegenüber denen ist, die über die Gebühren zu entscheiden haben. Seppelt ist da nun ein Hauptargument.
"Die Wertschätzung für Dopingberichterstattung im Sender ist gewachsen", sagt Seppelt. Eine Grundproblematik hat sich aber nicht geändert. Im Hintergrund spielt Nordirland gegen Ukraine, eine von 45 EM-Partien, für die ARD und ZDF viele Millionen ausgegeben haben. Und über die sie gleichzeitig berichten müssen. Es ist so, als würde Spiegel Online ein hübsches Sümmchen dafür zahlen, Bundestagsdebatten zu übertragen - und gleichzeitig kritisch davon berichten.