Der Moment, der die tiefgreifenden Probleme der großen Koalition bloßlegt, kommt nach etwa 20 Minuten. Kathrin Göring-Eckardt ist an der Reihe, die Co-Chefin der Bundestagsfraktion der Grünen. Sie sagt: "Die große Koalition hat jetzt die Aufgabe, klar zu sagen, was sie will, die Probleme der Leute zu lösen und sich bitte nicht mehr mit sich selber zu beschäftigen. Das wäre eine große Freude für alle."
Die Menschen im TV-Studio klatschen, nicht alle, aber doch die überwiegende Mehrheit. Und so ist das noch etliche Male in den 75 Minuten "Hart aber fair" am Montagabend, in denen Göring-Eckardt immer wieder die gleiche Kritik anbringt, nur ein bisschen anders formuliert. Sie spricht von den "Spielereien" zwischen Union und SPD, von der "Selbstbeschäftigung" der Groko, vom "richtigen Regieren", das einfach nicht mehr stattfinde.
Die Beschuldigten sitzen neben ihr in der Runde, die der Moderator Frank Plasberg an diesem Abend um sich versammelt hat. Ganz links Lars Klingbeil, SPD-Generalsekretär, gleich daneben Ralph Brinkhaus, Chef der CDU-Bundestagsfraktion. Die beiden könnten Göring-Eckardt nun entgegenhalten, dass die Bundesregierung bei aller Kritik schon einiges in dieser Legislaturperiode erreicht hat: mehr Kindergeld, mehr Bafög, mehr Geld für Pflegepersonal und Kitas zum Beispiel. Zumindest Brinkhaus versucht das auch immer wieder, etwa, wenn er sagt, "60 Prozent" des Koalitionsvertrags seien bereits abgearbeitet. Man habe doch "geliefert". Mit dieser Botschaft dringt der CDU-Fraktionschef kaum durch. Das liegt auch daran, dass er neben sich einen ziemlich kleinlaut wirkenden Klingbeil vorfindet. Dieser hat ein eigenes Wort für die Beschäftigung der Groko und seiner Partei mit sich selbst gefunden, er nennt es "Binnenfixierung". Er sagt es an diesem Abend gleich drei Mal.
Drei Tage ist es nun her, seit die neuen SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken ganz offiziell ins Amt gehoben wurden. Im parteiinternen Wahlkampf hatten sie sich als entschiedene Gegner des Bündnisses mit der Union positioniert. Insofern hat die "Hart-aber-fair"-Redaktion an diesem Abend eigentlich die richtige Frage aufgeworfen: "Wähler, hört die Signale: Sind SPD und Groko noch zu retten?" Beantworten sollen das neben den Genannten die Journalistin Eva Quadbeck (Rheinische Post) und der Autor und Moderator Peter Zudeick.
Welche Signale die Wähler aber hören sollen, das bleibt auch nach 75 Minuten ungewiss. Was die SPD nun vor hat, ob sie in der Groko bleiben möchte oder nicht, das wird nicht klar. Die Partei will irgendwie weiter nach links, sie will einen höheren Mindestlohn und eine Vermögenssteuer für Superreiche, und sie will mehr Klimaschutz. Sie will aber auch nicht wirklich weg von der Union. "Da sind wir uns einig", das sagt der CDU-Politiker Brinkhaus an diesem Abend mehrmals, etwa, als es um Industriepolitik geht oder um die professionelle Arbeit der Bundesregierung. Und Klingbeil nickt dazu eifrig. Klarere Signale dürfte es wohl erst dann geben, wenn die neuen Parteichefs mit den Spitzen der Union darüber gesprochen haben, zu welchen Zugeständnissen sie noch bereit sind. Bis Weihnachten soll das passieren, so haben es Walter-Borjans und Esken angekündigt.
Zu vermuten ist, dass die Hängepartie auch der Union schadet. Im "Hart-aber-fair"-Studio wird das offensichtlich, als es um die Grundrente geht. CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer hatte zuletzt mehrfach gesagt, dass die Union dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben erst zustimmen werde, wenn sich die SPD zur Koalition bekannt habe. "Die Rentner dafür bestrafen, wenn die SPD nicht spurt", so nennt das der Moderator Frank Plasberg. Die Grüne Göring-Eckardt kann im Anschluss darauf hinweisen, dass 1,5 Millionen Menschen von der Verzögerung betroffen seien. Schließlich sagt auch Lars Klingbeil: "Ich glaube, das stärkt kein Vertrauen bei Wählerinnen und Wählern." Auch jetzt wird geklatscht, es ist vor allem eine Kritik an der Union.
So zieht sich die Sendung dahin, Brinkhaus und Klingbeil wirken mal wie Gegner, mal wie Verbündete. Kaum ein Zuschauer dürfte nach diesem Abend genauer wissen, wo CDU und SPD hinwollen - und es wirkt, als wüssten ihre Vertreter das gerade selbst nicht. Ein Ende der Selbstbeschäftigung ist so nicht in Sicht.