Kolumne: Meine Leidenschaft:"Bergsteigen hat viele Parallelen mit Musik"

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Viel Wumms und psychedelische Elemente: So kann man die Musik von "Plastic Surgery Disaster", der Band von Thomas Huber, beschreiben. (Foto: Titus Arnu)

Thomas Huber kennt sich aus mit Grenzüberschreitungen, nicht nur beim Klettern. Schließlich macht dieser Teil der "Huberbuam" auch Musik, und zwar, logisch: Stoner Rock.

Von Titus Arnu

Das Gitarrenriff klingt wie die Vertonung der Eiger-Nordwand: hart, kantig, brutal. Dazu das Schlagzeug: wie ein Gewitter in den Bergen. Thomas Huber hat die Augen geschlossen, umklammert das Mikro mit seinen sehnigen Händen - und singt mit erstaunlich heller Stimme: "There is a point of no return, just go ahead to mountains high." Es gibt einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt - geh' einfach weiter, zu hohen Bergen. Eine Songzeile, die ihm am Cerro Torre eingefallen ist, jenem mythen-, wolken- und windumtosten Granitberg in Patagonien, an dem das Extremkletterer-Duo Huberbuam einige seiner wildesten Abenteuer erlebte.

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Im Moment schaut der Huber Thomas aber nicht auf eine tausend Meter hohe Wand irgendwo im Himalaja oder in den Alpen, sondern auf eine 2,50 Meter hohe Wand in einer ehemaligen Tiefgarage in Berchtesgaden. Plastic Surgery Disaster steht in schwarzen Buchstaben auf rotem Hintergrund, der Name seiner Band. Auf dem Tresen des Proberaums stehen Bierflaschen und eine leere Whiskey-Flasche der Marke "Motörhead Iron Fist", an der Wand hängt ein Poster von Lemmy Kilmister. Hubers Hobbykellergruppe besteht aus fünf älteren Herren, die auf ebenso konzentrierte wie konsequent lautstarke Weise Stoner Rock spielen: viel Wumms, viel Gitarre, psychedelische Elemente, die Fortsetzung der Doors mit härteren Mitteln.

Rockmusik ist wie Bergsteigen, findet Thomas Huber

Das rhythmische Lärmen macht den Beteiligten sichtlich Spaß. Aber sie meinen es auch ziemlich ernst. "Musik ist für mich etwas Transzendierendes", sagt Thomas Huber, "man kann für einen Moment austicken und komplett loslassen." Eine Sache, die man beim Extremklettern besser vermeiden sollte. Bergsteigen ist Hubers Beruf, dafür ist er bekannt, die Rockmusik ist sein Hobby und Ausgleich. Trotzdem sieht er viele Gemeinsamkeiten: "Bergsteigen hat auf einem gewissen Level viele Parallelen mit Musik", er erlebe dabei gleichermaßen Freiheit, Flow und Kreativität.

Plastic Surgery Disaster ist benannt nach einem Album der Punkrockgruppe Dead Kennedys und nach einer Kletterroute am El Capitan im kalifornischen Yosemite National Park. Seinen musikalischen Mitstreiter Manfred Rödel lernte Thomas Huber vor gut 20 Jahren im "Kuckucksnest" kennen. Diese Rockkneipe ist eine Institution in Berchtesgaden, sie sieht 2022 genauso aus, wie sie auf Fotos aus den 90er-Jahren aussieht, und der Stil der Bands, die dort auftreten, hat sich auch kaum geändert. Hart und laut soll es sein, so wie bei Plastic Surgery Disaster, deren weitere Bandmitglieder Peter Schweiger (Gitarre), Andi Brandner (Bass) und Wolfgang Seiberl (Schlagzeug) mit Thomas Huber den Musikgeschmack, aber nicht unbedingt den beruflichen Hintergrund teilen. "Wenn ich ,Mountain High' singe, stehe ich gedanklich im Choktoi", sagt Huber - in der pakistanischen Gebirgsgruppe gelangen ihm einige Erstbegehungen an Sechs- und Siebentausendern.

Als alpinistisches Duo "Die Huberbuam" zusammen mit seinem Bruder Alex ist Thomas Huber berühmt, für musikalische Extremleistungen eher nicht, das blieb lange privat. Dabei wurden Thomas und seine Geschwister in eine musikalische Familie hineingeboren. Der Vater war Filialleiter einer Bank, liebte klassische Musik und sang Tenor im Kirchenchor. "Es war ein Muss, dass wir Musik machen", sagt Thomas Huber, also lernte er Gitarre, sein Bruder Alex Klavier und Querflöte, die Schwester Carina Geige. Die Geschwister machten manchmal zusammen Stubenmusik, traten als Trio in Krankenhäusern und Seniorenheimen auf, da ging es stilistisch eher gesittet zu. "Ab und zu hatte ich aber Lust, mal so richtig in die Gitarre zu hauen", erzählt Thomas Huber. Seine erste E-Gitarre bekam er, als er in der fünften Klasse war.

Die Kritiken auf das Album waren gemischt

Seinen musikalischen Werdegang umreißt er so: Klassik, Elvis, Spider Murphy Gang, Kiss, Status Quo, dann The Doors, Led Zeppelin, Cream und schließlich Queens of the Stone Age und Kyuss. Klar, dass Thomas Huber Frontmann in der Schulband Move on war. Im Skilager und auf Wandertouren spielte er in der Hütte Lieder zum Mitsingen auf der Gitarre. Als er mit 16 in die Kletter-Jugendmannschaft kam, hatte er erstmals Kontakt mit psychedelischer Rockmusik, die einige seiner Kameraden hörten. "Mich hat das Geheimnisvolle daran interessiert, das gleichzeitig Introvertierte und Extrovertierte", sagt Thomas Huber beim Bier nach der Probe. Er begann, selbst Musik zu schreiben, mit psychedelischen Texten, die er im Nachhinein als "sehr wirr" einordnet.

Bei Hubers zu Hause in Oberau bei Berchtesgaden erkennt man unschwer die Querverbindungen zwischen Felsklettern und Rockmusik. Thomas Huber wohnt hier mit seiner Frau Marion und seinen Kindern Elias, Amadeus und Philomea. Huber führt den Besucher in seinen Trainings-, Arbeits- und Musikraum. Wände und Decken des Trainingsraums sind ausgestattet mit Klettergriffen, bei schlechtem Wetter übt Huber hier im Trockenen. Aus dem Stand springt er an einen Griff und hält sich mit einer Hand fest, baumelt redend im Raum. Für seine 55 Jahre ist er topfit, trotz aller Verletzungen in den vergangenen Jahren. Vor Kurzem hat er eine neue Route in der Eiger-Nordwand erkundet und eine Expedition in Patagonien abgeschlossen.

Grenzüberschreitungen? Kennt Thomas Huber nicht nur beim Extremklettern. (Foto: Titus Arnu)

Auf dem Sofa liegt eine akustische Gitarre bereit, Huber schlägt ein paar Akkorde an und summt ein bisschen mit. Die Songs für Plastic Surgery Disaster entstehen meist nebenbei, unterwegs fallen ihm die besten Textzeilen ein, beim Bergsteigen und Wandern. Die Musik dazu komponiert dann sein Band-Kollege Manfred Rödel. "Der ist eindeutig der Musikalischste von uns", sagt Huber.

Stoner Rock, ihre Musikrichtung, hat nichts mit Steinen und Felsen zu tun, sondern eher mit dem englischen Begriff "stoned", also bekifft. In den Texten der Bands geht es oft um Grenzüberschreitungen durch LSD und Marihuana. "Vor den Drogen aber hat mich der Leistungssport bewahrt", sagt Thomas Huber, "ich bin eher süchtig nach der Natur, meine Grenzüberschreitungen erlebe ich beim Klettern."

In der Musik herrscht ebenfalls Absturzgefahr, das spürt man mitunter schmerzhaft, wenn man sich traut, an die Öffentlichkeit zu gehen. Nach vielen Jahren als Hobby-Band brachten Plastic Surgery Disaster 2013 das erste Album heraus, es hieß "Endless", 2018 folgte "Desire". Die Kritiken waren gemischt. "Dieses Debüt zeigt musikalisch echte Kante, verzichtet aber im Gegenzug auch darauf, sonderlich einladend zu wirken", urteilte das Fachblatt Metal Hammer. "Dieser Eindruck geht auch auf den Gesang von Thomas Huber zurück, dem man speziell in den nicht aggressiven Momenten die fehlende Routine anmerkt."

Na ja. Thomas Huber hat zusammen mit seinem Bruder Alex Härteres erlebt, er hat sich in der Antarktis, in Patagonien und im Himalaja fast die Finger abgefroren, er hat eine Tumorerkrankung überstanden, er hat sich 2016 bei einem Absturz eine Schädelfraktur zugezogen und ist zwei Monate später schon wieder auf Expedition gegangen. Da ist eine schlechte Kritik über sein musikalisches Wirken kein Beinbruch. Die Band übt einfach weiter, das Ziel: wieder mal ein großer Auftritt, vielleicht noch ein Album. Wenn es gut läuft, überwindet Thomas Huber dabei den schmalen Grat zwischen Hobby und Kunst, zwischen Freiklettern und Rockmusik. "Beim Auftritt mache ich oft die Augen zu, und wenn ich in einen Flow komme, fühle ich mich wie am Berg - frei und stark."

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände hat Thomas Huber beim Musik machen immer griffbereit:

Die Gitarre

Immer griffbereit: die akustische Gitarre - auch wenn Thomas Huber in der Band nicht damit spielt. (Foto: Titus Arnu)

"Diese akustische Gitarre habe ich in den USA gekauft. In der Band spiele ich nicht Gitarre, ich bin der Sänger. Aber zu Hause nehme ich sie immer wieder mal in die Hand und greife ein paar Akkorde."

Der Klettergriff

Für die Musik geht es in den Proberaum, das Klettern trainiert Thomas Huber auch daheim. (Foto: Titus Arnu)

"Mein Trainingsraum zu Hause ist mit Klettergriffen ausgestattet. Zwischen den Griffen habe ich Bilder meiner persönlichen Idole aufgehängt, von Jim Morrison über Bob Marley bis Che Guevara. Das motiviert mich beim Üben."

Der Whiskey

Die Pulle vom Idol: Der "Motörhead"-Whiskey hat einen Ehrenplatz im Proberaum. (Foto: Titus Arnu)

"Der Godfather of Rock ist für mich Lemmy Kilmister. Die Musik von Motörhead hat mich auf jeden Fall beeinflusst, auch wenn unsere Band eine etwas andere Richtung eingeschlagen hat als Motörhead. Der Motörhead-Whiskey hat einen Ehrenplatz in unserem Proberaum, an der Wand hängt auch ein Poster mit Lemmy."

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