Im Jahr 1885 stieß der US-Amerikaner William Leonard Hunt, besser bekannt unter seinem Künstlernamen The Great Farini, auf der Reise durch die Kalahari auf die Überreste eines gewaltigen Bauwerks. Er beschrieb es ein Jahr später in seinem Buch "Through the Kalahari Desert" als eine lange Steinreihe, die aussah "wie die Chinesische Mauer nach einem Erdbeben". Er ließ die vom Sand verschütteten riesigen Steine ausgraben und erklärte einem Helfer, "dass sich hier eine Stadt, eine Kultstätte oder eine Grabanlage eines großen Volkes befunden haben muss, vielleicht vor Tausenden von Jahren".
Dem Geheimnis auf der Spur:Der verschollene Sarkophag
Vor fast 200 Jahren verschwand ein Schiff spurlos, das einen spektakulären Fund an Bord hatte: den Sarkophag des Pharao Menkaure.
Maye Musk, die Mutter des schwerreichen Tesla-Investors Elon Musk, dürfte die bekannteste noch lebende Person sein, die sich einmal auf die Suche nach Farinis legendärer verlorener Stadt in der Kalahari begeben hat. Die heute 75-Jährige durchstreifte als Kind mit ihrer Familie jeden Sommer die unwirtliche Savanne, die sich auf einer Fläche von mehr als einer Million Quadratkilometern über die Staatsgebiete von Namibia, Botswana und Südafrika ausbreitet.
Farini wurde als Akrobat und Hochseilartist bekannt
Dabei sei ihr Vater Joshua Haldeman, so erzählte sie es vor wenigen Jahren dem Magazin Focus, geradezu von der Idee besessen gewesen, die Ruinen jener Stadt aufzuspüren, auf die der Große Farini bei seiner Reise durch die Wüste angeblich gestoßen war. Haldeman jedoch fand nichts. Genauso wenig wie all die anderen Abenteurer, die seit Beginn der Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts ihr Glück versuchten. Kurz nach Farinis Tod 1929 begann damals ein regelrechter Expeditionsboom, obwohl seine Entdeckung zuvor niemanden interessiert hatte.
Bis in die Sechzigerjahre waren dann schon weit über zwanzig Expeditionen mal mehr, mal weniger seriöser Personen in das Gebiet aufgebrochen oder hatten es mit dem Flugzeug überflogen. Darunter der Journalist F. R. Paver und der irische Offizier Thomas Michael Hoare, der später als berüchtigter Söldner mit Spitznamen "Mad Mike" in die Geschichtsbücher eingehen sollte.
Was die Frage aufwirft, ob es jene von Farini behaupteten Überreste einer vor Jahrtausenden untergegangenen Zivilisation überhaupt jemals gegeben hat. Könnte es nicht vielmehr sein, dass dieser sich einen Scherz erlaubt hatte, als er nach seiner Rückkehr der Londoner Royal Geographical Society den Fund mitteilte und ihm später einen Abschnitt in seinem 1886 erschienenen Werk widmete? Schließlich handelt es sich bei ihm um eine schillernde Persönlichkeit. Bis zu seiner Afrika-Reise hatte er vor allem als Entertainer, Akrobat und Erfinder für Furore gesorgt. Ist die verlorene Stadt in der Kalahari also lediglich eine zirkusreife Luftnummer?
Farini wurde 1838 als William Leonard Hunt in Lockport im Bundesstaat New York geboren. Wenig später zog die Familie nach Ontario um. Dort entdeckte der Junge seine Liebe zum Zirkus und schlug gegen den Willen des Vaters eine Laufbahn als Hochseilartist ein. Sein Stern am Zirkushimmel begann im Jahr 1860 mit spektakulären Auftritten an den Niagara-Fällen aufzusteigen. Ein Jahr später heiratete er, musste jedoch kurz darauf mit ansehen, wie seine Frau bei einem gemeinsamen Aufritt in Havanna tödlich verunglückte.
Er brach in die Kalahari auf, weil dort riesige Diamanten einfach so herumliegen sollten
Farini, mächtige Erscheinung, mächtiger Bart, setzte seine Karriere in Europa fort. Nun an seiner Seite sein Adoptivsohn Samuel, der lange Zeit auch als Frau verkleidet unter dem Künstlernamen Lulu auftrat. Den Namen behielt er auch dann noch bei, als er wieder als Mann seine Auftritte bestritt und die Tochter Farinis heiratete. Farini selbst hängte mit Anfang dreißig seinen Artistenberuf an den Nagel, um fortan als Impresario zu reüssieren. Als solcher erfand er den berühmten Show-Act der "Human Cannonball", der menschlichen Kanonenkugel.
Bis es ihn zusammen mit Lulu in die Wüste zog. Dabei ging es den beiden keineswegs um archäologische Erkenntnisse, sondern sie folgten einem Gerücht, wonach in der Kalahari 180 Karat schwere Diamanten einfach auf der Erde herumliegen sollten. So jedenfalls erzählt es Edward Brooke-Hitching im "Atlas der erfundenen Orte", ein Buch über die größten Irrtümer und Lügen auf Landkarten.
Die vermeintliche Entdeckung der antiken Ruinen war also nur der Nebeneffekt einer Reise, von der Farini in "Through the Kalahari Desert" auf mehreren hundert Seiten anschaulich zu erzählen weiß. Trotzdem macht es einen stutzig, dass ihm dabei der eigentlich doch überaus sensationelle Fund nur zweieinhalb Seiten voller vager Angaben wert ist, eingebettet zwischen die Beschreibung eines Schlangenbisses und einer Schlangentötung.
Noch etwas anderes verwundert. Farini schreibt, dass Lulu mehrere Fotos von den Ausgrabungen gemacht hat. Doch in der entsprechenden Passage im 21. Kapitel wird keines davon gezeigt. Lediglich eine Zeichnung bekommt der Leser zu sehen. Der Abschnitt endet mit dem Hinweis, die Beurteilung der Angelegenheit den Experten zu überlassen. Angefügt ist stattdessen ein nebulöses Gedicht aus eigener Feder, das mit den Worten endet: "Vielleicht ein Relikt aus einer glorreichen Vergangenheit ... hinweggerafft vom Lauf der Zeit."
Es war A. J. Clement, der 1967 weitere Ungereimtheiten aufzeigte. Demnach war Farini in der Gegend von Rietfontein an der südafrikanisch-namibischen Grenze auf Felsen gestoßen, die zwar aussehen, als hätten sie Menschen geformt, in Wahrheit aber natürlichen Ursprungs sind: die Eggshell Hills. Das US-amerikanische Internetmagazin The Daily Beast zitiert den Historiker in einem Text von 2019 mit den Worten: "Und zweifellos wird es immer noch einige geben, die trotz aller gegenteiligen Beweise nicht bereit sind, die Sache ruhen zu lassen." Wie wahr: Vor sieben Jahren zog der Abenteurer Josh Gates los und präsentierte seinerseits der Öffentlichkeit Steine, die angeblich Farinis Entdeckungen bestätigen würden.