Ballett im Krieg:Waffentaugliche Tänzer

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Svetlana Zakharova saß schon schon in der Duma und darf fraglos zu Putins getreuesten Anhängerinnen gezählt werden. (Foto: Timothy A. Clary/AFP)

Der Krieg in der Ukraine spaltet die internationale Ballettszene - und München wird zum Schauplatz.

Von Dorion Weickmann

Das Ballett gilt gemeinhin als unpolitische Kunst: hübsch anzuschauen, märchenhaft, eskapistisch und weit weg von allen Fährnissen des Daseins. Ein Irrtum. Schon als der Sonnenkönig 1661 die Académie de la Danse ins Leben rief - als allererste seiner Akademien überhaupt -, verwies er ausdrücklich auf die Waffentauglichkeit, die das Tanzexerzitium wie nebenbei vermittle. Deshalb sei es sowohl in Kriegs- wie in Friedenszeiten nützlich, namentlich "in den Divertissements unserer Ballette". So wurde die Tanzkunst zum Repräsentationsinstrument der Macht. Nicht umsonst verglichen die französischen Ballettmeister des 19. Jahrhunderts ihr Tun gerne mit militärischem Drill, wenn sie die Notwendigkeit körperlicher Züchtigung und Ertüchtigung im Ballettsaal zu rechtfertigen suchten.

Nicht anders später in Russland, wo das Ballett um die Wende des 20. Jahrhunderts eine beispiellose Spätblüte erlebte, vom Sowjetreich nahtlos fortgeführt. Bis in die Achtzigerjahre wurden Staatsgäste also stets mit dem "Schwanensee" beglückt. Die Ballettkunst als Aushängeschild der Kunst und hervorragender Exportartikel. Das führte zwar dazu, dass sich hochtalentierte Tänzer wie Rudolf Nurejew bei erstbester Gelegenheit absetzten, gleichzeitig profilierten sich aber auch intern Dissidenten, etwa die Primaballerina Maja Plissezkaja, die sich unverdrossen mit der Moskauer Kulturbürokratie anlegte und nie den Kürzeren zog.

Dieser Tage nun bringt der Ukraine-Krieg eine politische Mobilisierung mit sich, wie sie die Ballettwelt noch nicht gesehen hat: Tänzer in Russland positionieren sich öffentlich via Social Media gegen den Krieg, darunter Starballerinos des Moskauer Bolschoi- und des Petersburger Mariinski-Theaters, namentlich Artem Ovcharenko und Vladimir Shklyarov. Die beiden Künstler haben eine Menge zu verlieren, genau wie Diana Vishneva, die in Sankt Petersburg ein international renommiertes Festival leitet und trotzdem bereits vergangene Woche ihre Anti-Kriegs-Haltung dokumentiert hat.

Mit dem Konflikt geht eine hübsch gepflegte, aber schon länger einsturzgefährdete Fassade zu Bruch

Ihnen steht ein Lager schweigender Kollegen und Kolleginnen gegenüber, die entweder abgetaucht sind oder durch Likes unter Anna Netrebkos Posts deutlich machen, auf welcher Seite sie stehen. So verhält es sich mit der Grande Dame des Bolschoi-Balletts, Svetlana Zakharova, die auch schon in der Duma saß und insofern fraglos zu Putins getreuesten Anhängerinnen gezählt werden darf. Auch Sergei Polunin, der mehrfach auf der Bühne des Münchner Nationaltheaters stand und ein Putin-Tattoo auf der Brust trägt, hat bislang keinen Ton von sich gegeben. Vermutlich bleibt es dabei, auch wenn im Westen die Zahl derer, die laut und vernehmlich gegen Putins Militäroperation protestieren, stündlich steigt.

Manche der Protestler haben Verwandte in der Ukraine, so etwa Iana Salenko vom Berliner Staatsballett oder ihre Wiener Kollegin Aleksandra Liashenko. Andere, wie Mikhail Baryshnikov oder Nina Ananiashvili, gehörten einst selbst zu den Idolen der russischen Ballettszene. Zu ihnen gesellen sich Direktoren wie Mailands Ballettchef Manuel Legris, Krzysztof Pastor vom Polnischen Nationalballett, Christian Spuck aus Zürich oder Aaron Watkin, der an der Semperoper in Dresden die Tanzsparte leitet. Auch von der Crème de la Crème der Choreografie - darunter Altmeister wie Jiri Kylián, Hans van Manen oder Ohad Naharin - gab es so klare Statements zu einem hochpolitischen Thema wie selten im Tanz.

Allerdings geht damit auch eine hübsch gepflegte, aber schon länger einsturzgefährdete Fassade zu Bruch: Die internationale Ballettfamilie zerfällt. Der Schulterschluss zwischen Ost und West und die gern behauptete Brückenbaufunktion ist dahin. Londons Royal Opera House hat die übliche Sommerresidenz des Bolschoi-Balletts annulliert. Wie Baden-Baden mit der traditionellen Weihnachtseinladung des Mariinski-Theaters verfahren wird, lässt sich nach Valery Gergievs seriellem Rauswurf ahnen: Das Festspielhaus sieht aller Wahrscheinlichkeit nach keine Petersburger Pirouetten in diesem Jahr.

"La Bayadere" in der Inszenierung von Alexei Ratmansky an der Staatsoper Berlin. (Foto: Yan Revazov)

Der allererste Bruch dieser Art spielte sich schon Ende vergangener Woche in Moskau ab - und seine Ausläufer könnten kommende Woche München erreichen. Dann nämlich soll Alexei Ratmansky beim Bayerischen Staatsballett seine "Bilder einer Ausstellung" einstudieren. Das Ganze hat für Staatsballettchef Igor Zelensky allerdings schon jetzt ein ungemütliches Vorspiel.

Alexei Ratmansky, Hauschoreograf des American Ballet Theatre in New York und dort wahlbeheimatet, ist der derzeit gefragteste Choreograf der Ballettwelt. Der gebürtige Petersburger gilt als Spezialist für Klassiker-Rekonstruktionen, ist aber genauso als Schöpfer von Neukreationen weltweit unterwegs. Bis Ende vergangener Woche war Ratmansky, dessen Eltern und Geschwister in der Ukraine leben - zugleich Heimat seiner Ehefrau -, am Moskauer Bolschoi mit der Inszenierung eines neuen Werkes beschäftigt. Innerhalb weniger Stunden verließ er die Stadt, das Land, flog zurück nach New York und ist seitdem unermüdlich aktiv, um Anti-Kriegs-Posts aus aller Welt zu sammeln und über seine Facebook-Seite weiterzuverbreiten. Eine entsprechende Äußerung von Igor Zelensky fehlt in Ratmanskys Kollektion allerdings.

Die SZ hat der Künstlerische Direktor des Bayerischen Staatsballetts schon am Mittwoch vergangener Woche wissen lassen, er werde sich "zu politischen Angelegenheiten nicht äußern" und möchte sich "ganz auf die Kunst konzentrieren." Jetzt allerdings wird er zumindest Staatsopern-Intendant Serge Dorny und dem zuständigen Staatsministerium für Wissenschaft und Kultur erklären müssen, wie nah oder fern er Putin steht.

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Ein Video, das Münchens Ballettdirektor an Putins Seite zeigt, ist inzwischen nicht mehr verfügbar

Im November 2021 berichtete Zelensky der SZ gesprächsweise, es habe zwischen ihm und Dornys Vorgänger Klaus Bachler ein "Agreement" gegeben, was seine Abwesenheiten von München betreffe. Diese Abwesenheiten nutzte Zelensky offenbar auch für eine Beratertätigkeit in Russland. Er gehörte (und gehört aller Wahrscheinlichkeit immer noch) dem "Supervisory Board" einer Stiftung an, die ein Prestigeprojekt ins Werk setzen soll. Es handelt sich - ausweislich ihrer Website - um die Stiftung "National Cultural Heritage" mit Sitz in Moskau, eine gemeinsame Gründung von Bolschoi- und Mariinski-Theater sowie Eremitage-Museum und Tretjakow-Galerie.

Das institutionelle Quartett hat die Aufgabe übernommen, an vier Standorten kulturelle Zentren zu errichten: in Wladiwostok, Kaliningrad, Kemerowo und Sewastopol auf der 2014 annektierten Halbinsel Krim. Das Vorhaben geht auf ein 2018 erlassenes Dekret von Putin zurück, die Vorsitzende des hochkarätig besetzten Gremiums, dem neben Zelensky auch Valery Gergiev angehört, ist Olga Golodets - bis 2020 Vizeministerpräsidentin der Russischen Föderation. Ein Video, das Münchens Ballettdirektor an Putins Seite bei einer Präsentation zu den Plänen für Sewastopol zeigt, ist inzwischen in Deutschland nicht mehr verfügbar.

Zelensky soll offenkundig seine Tanzexpertise in das Projekt einspeisen. Ob das opportun, politisch bedenklich oder unbedenklich ist, wird sich in München vermutlich auf höchster Ebene entscheiden. Bis Alexei Ratmansky kommt, wird man es wissen. Die Ballettwelt aber lebt vorläufig in einer Art Bruderkrieg - zwei unversöhnliche Lager, ein Spiegelbild der Weltlage.

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