"Maybrit Illner" zu Coronavirus:Akademische Robustheit trifft Talkshow

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Maybrit Illner und der Virologe Christian Drosten im Gespräch. (Foto: ZDF/Harry Schnittger)

Bei Maybrit Illner bleiben die Studioränge leer - und auch sonst bleibt es in der Sendung erstaunlich unaufgeregt. Was nicht zuletzt an dem Virologen Christian Drosten liegt.

Nachtkritik von Quentin Lichtblau

"Kann man ein Land einfach so abschalten wie eine Maschine?", fragt Maybrit Illner in ihren einleitenden Worten an diesem Donnerstagabend. Im Hintergrund sind die doch recht bedrohlich wirkenden dunklen Studio-Sitzreihen zu sehen, die Sendung findet heute ohne Publikum statt. Ein Anblick, an den man sich in den kommenden Wochen und Monaten wohl gewöhnen muss. Natürlich geht es um den oder das Coronavirus, über dessen korrekten Artikel besteht auch in dieser Sendung keine Einigkeit.

"Erhöhte Ansteckungsgefahr - Gesundheit schützen, Jobs riskieren?", lautet die Überschrift des Abends konkret. Es ist nicht unbedingt die sachlichste aller Fragen - weswegen zur überspitzten Gegenüberstellung der beiden Extreme "alle krank" oder "alle arbeitslos" bereits zu Beginn Widerspruch laut wird.

Hildegard Müller, Präsidentin des Automobilverbandes, betont, dass der Schutz der Menschen natürlich Vorrang habe. Auch die Philosophin Svenja Flaßpöhler will Wirtschaft und Gesundheit nicht als "Gegensatzpaar" sehen, vielmehr eröffne "die Radikalunterbrechung der Realität" ja auch "Denkräume". Und auch ZDF-Börsenexpertin Valerie Haller antwortet auf die Frage, ob es in ihrem Arbeitsleben bereits zu Veränderungen gekommen sei, eher abwehrend: "Ich wasche mir einfach sehr oft die Hände." Im Studio ist zudem SPD-Vizekanzler Olaf Scholz.

"Schuld" an der für eine politische Talkshow doch eher ungewöhnlichen Sachlichkeit ist mindestens zum Teil ein Mensch in dieser Runde, der in den vergangenen Tagen genau deswegen zum Medienstar geworden ist, weil er sich deren gewohnter Sensationslogik entzieht: Christian Drosten. Die Bekanntheit des Virologen von der Berliner Charité verläuft vermutlich ähnlich exponentiell wie die Corona-Fallzahlen, durch seinen täglichen Podcast ist er binnen weniger Tage zu Deutschlands Chef-Corona-Erklärer geworden und kann fürchterlich unangenehme Szenarien beschreiben, ohne Hamsterkauf-Reflexe bei seiner Zuhörerschaft auszulösen.

Aufgeregte Debatten nannte er schon bei seinem ersten Illner-Besuch im Februar "Energieverschwendung". Gleichzeitig hat Drosten allerdings als Wissenschaftler im Liveblog-Medienzeitalter ein Problem: Seine Aussagen würden "ständig verkürzt" und dramatisiert, klagt er, permanent verlange man genaue Zahlen und ewig gültige Einschätzungen, die teilweise weit über seinen Fachbereich hinausgingen. Für diese Ansprüche brauche es schon eine gewisse "akademische Robustheit", sagt Drosten. Er habe sich allerdings vorgenommen, "das jetzt einfach auszuhalten".

Drosten für wohlüberlegte Schulschließungen

Konkrete Zahlen, wie eine Begrenzung von Veranstaltungen auf 100 Menschen in Österreich, seien im Fall des Virus etwa nur "eine Krücke", da dessen Ansteckungspotenzial von weit mehr abhänge als allein der Anzahl von Menschen in einem Raum. Illner bohrt daraufhin direkt mal nach, wie es denn nun um die allgemeine Schließung von Schulen stünde - eine Frage, zu der bei der Ministerpräsidentenkonferenz tagsüber bereits diskutiert worden war - und für die wohl am Freitag eine recht eindeutige Antwort zu erwarten ist.

Drosten gibt sich dazu gewohnt drosterig: "Es gibt Argumente dafür, Argumente dagegen, wir können vielleicht kurz drüber reden." Er sei nicht für generelle Schulschließungen, sondern wohlüberlegte. Illner gibt die Frage weiter an Vizekanzler Olaf Scholz, der auf die Debatte bei der Ministerpräsidentenkonferenz verweist, ohne deren Ergebnis zu nennen. Diese habe "zur Meinungsbildung beigetragen", die Teilnehmer der Konferenz würden nun jeweils "vor Ort kluge Entscheidungen treffen". Das Saarland hat sich inzwischen für die generelle Schließung von Schulen und Kitas bis zum Ende der Osterferien entschieden.

Angesprochen auf die wirtschaftlichen Konsequenzen des Virus gibt sich Scholz bestens gerüstet: Er sagt, dass mehr als genug Reserven vorhanden seien, um Menschen und Unternehmen unter die Arme zu greifen. Im Bereich Gesundheit verspricht er, dass "alles, was bestellt wird" auch finanziert werden könne. In Richtung der Wirtschaft: "Wir können allen helfen und wir werden es auch!" Man habe hierfür milliardenschwere Reserven, ein Gesetz zur Kurzarbeit würde schon morgen durchs Parlament gehen, worauf er durchaus stolz sei.

"Da muss ich Sie bitten, an dieser Stelle vorsichtig zu sein"

Die Philosophin Flaßpöhler fragt daraufhin, warum die Solidarität, die reichhaltigen finanziellen Mittel und das beherzte Eingreifen der vergangenen Tage eigentlich nicht in all den Bereichen einsetzbar seien, in denen die Politik sonst so gerne auf begrenzte Mittel und Handlungsräume verweise: Sie erinnert an die geflohenen Menschen aus Syrien, die Situation an der griechisch-türkischen Grenze - und an den Klimawandel: "Wir haben auch eine Verantwortung, die in die Zukunft reicht. Ich verstehe nicht, wie der Klimakollaps verhindert werden soll", sagt sie, die durch Corona entfallenen Flüge und die reduzierte Mobilität der Menschen hätten in dieser Richtung ja auch lehrreiche Seiten.

Das kann Automobilpräsidentin Müller natürlich so nicht stehen lassen: "Da muss ich Sie bitten, an dieser Stelle vorsichtig zu sein", sagt sie, für die Herausforderungen der Zukunft brauche es Innovationen und "Fortschrittswachstum", schließlich gebe es ja bald zehn Milliarden Menschen auf der Erde.

Dieses Fass will Illner, die bereits fünf Minuten überzogen hat, nun doch nicht mehr aufmachen. Sie erteilt lieber noch mal Christian Drosten das Wort - und diesmal will sie tatsächlich auch keine Zahl oder drastische Maßnahmenempfehlungen hören, sondern fragt ganz zahm: "Was würden Sie sich wünschen?" Drosten, sichtbar erfreut über die offene Fragestellung, holt nun trotz der bereits zur Unterbrechung erhobenen Illner-Hand weit aus: Über den Schutz der besonders betroffenen Gruppen hätte er gerne gesprochen - und tut das dann auch einfach. Er referiert zu schnelleren Aufnahmemöglichkeiten in Krankenhäusern, Studenten in Heimquarantäne, weniger zeitraubenden Labortest-Verfahren, die angesichts des aktuellen Zustands der Krankenhäuser schwieriger geworden seien.

Die anderen Studiogäste lauschen andächtig. Schon sind drei weitere Sendungsminuten überzogen. Drosten hätte sicher noch länger weiterreden können.

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