"Hinter den Schlagzeilen" im Kino:Auf der Suche

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SZ-Reporter im Gespräch mit Edward Snowden. (Foto: Real Fiction)

Der Dokumentarfilm "Hinter den Schlagzeilen" über das Investigativteam der "Süddeutschen Zeitung", das die "Panama Papers" mit aufdeckte und die "Ibiza-Affäre" lostrat.

Von Fritz Göttler

Reportage, Recherche, Investigation... dabei dachte man früher an Jagdinstinkt und Gespür für überraschende Zusammenhänge, an spontane Reaktionen und Beharrlichkeit, bis hin zur schlimmen Skrupellosigkeit der Paparazzi, an Gegenkräfte, die auf Verschleierung bedacht waren. Die Geschichten hinter den Schlagzeilen konnten dann mindestens ebenso spannend sein wie die Schlagzeilen selbst, man hat das vielfach erlebt in Filmen wie "Spotlight" oder "The Post/Die Verlegerin" oder "All the President's Men/Die Unbestechlichen". Auch in Fellinis "La dolce vita" ist das zu spüren, und aus den Erzählungen von Sam Fuller, der in der Jugend als Kriminalreporter in New York begann und dessen Kino aus den Erlebnissen dort seinen Drive bezog.

Im Dokumentarfilm "Hinter den Schlagzeilen" folgt der Filmemacher Daniel Sager den Redakteuren des Ressorts Investigative Recherche der SZ über Jahre hinweg bei ihrer Arbeit, Bastian Obermayer, Frederik Obermaier und ihren Kollegen, die (mit Kollegen anderer internationaler Zeitungen) unter anderem die Geschichte um die "Panama Papers" aufdeckten. Investigation heute - in den Zeiten der sozialen Medien und eines unaufhörlichen Stroms von E-Mails mit riesigen Datenpaketen - ist anders als einst, die direkten Kontakte seltener mit Informanten und Whistleblowern, die aus ganz diversen Motiven ihre Geheimnisse preisgeben.

Zu Beginn von Sagers Film gibt es eine Begegnung mit Edward Snowden, das ist ein Rest verschwörerischer Recherche-Romantik. Und wenn die SZ-Redakteure mit ihren Rucksäcken auf Malta losziehen, um an Ort und Stelle den Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017 zu recherchieren, ist ein melancholisches Moment von Abenteuerlust zu spüren. Verbale Attacken auf Journalisten haben in den letzten Jahren stark zugenommen und sind sehr viel intensiver geworden, ein tätlicher Angriff ist die Konsequenz.

Könnte das Video gefälscht sein und gegen die Zeitung verwendet werden?

Der Live-Effekt, den Sagers Film suggeriert, der Eindruck des Dabeiseins ist nur bedingt gültig. Die Hauptarbeit besteht darin, Unmengen von Materialien zu lesen und zu überprüfen, mit speziellen Lesebrillen, und sowieso müssen viele Details geheim bleiben, zum Schutz der Informanten. Im Film herrscht ein Klima konzentrierter Bedächtigkeit, viele der gefilmten Besprechungen und Konferenzen sind von der Anwesenheit der Kamera geprägt. Am Konzept für den Film hat Marc Bauder mitgearbeitet, der mit Filmen wie "Master of the Universe", "Dead Man Working" oder "Wer wir waren" die Beziehungen zwischen dokumentarischem und erzählendem Kino durchspielte.

Der ganz große Scoop - von einem Ausmaß, das bei Drehbeginn nicht zu ahnen war - wird dann fast ironisch heruntergespielt, das Ibiza-Video, in dem der damalige österreichische FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache sich um Kopf und Kragen redet. Hier gibt es auch eine schöne Szene mit Live-Effekt, wenn die SZ-Redakteure einen ersten Anruf aus Wien erhalten, in dem die Leute aus dem Strache-Lager erkunden wollen, was es mit dem Video auf sich hat, und dabei vage auf den Busch klopfen - eine aufregende Choreografie des Zögerns und Lauerns und Hinhaltens.

Blick in den Newsroom der SZ- Redaktion in "Hinter den Schlagzeilen". (Foto: Real Fiction)

Im zweiten Teil wird der Film ein Lehrstück darüber, was Journalismus für eine offene, demokratische Gesellschaft bedeutet und wie er in ihr funktioniert. Natürlich wirft das Video eine Menge rechtlicher und moralischer Fragen auf. Könnte das Video, das den Redakteuren zugespielt wurde, gefälscht sein, könnte es in der Fake-News-Diskussion gegen die Zeitung benutzt werden? Darf man Ausschnitte aus dem Video zeigen, ohne die Persönlichkeitsrechte der heimlich gefilmten Personen zu verletzen? Dem Schutz dieser Rechte steht dann das öffentliche Interesse entgegen.

Die Rechtsexperten des Hauses werden befragt, auch ein digitaler Forensiker. Ein kniffliges Problem, die Entscheidung liegt am Ende beim Chefredakteur Wolfgang Krach, der liest noch einmal die Passage des Gesetzestextes vor und lauscht den Worten nach... Die Entscheidung erweist sich als richtig, die Veröffentlichung des Ibiza-Videos ist im öffentlichen Interesse. Man sieht, auch das ein wiederkehrender markanter Moment in den Reporterfilmen, die Rotationsmaschinen arbeiten. Und der SZ-Turm erhält, steil von unten aufgenommen, eine trutzige Dimension.

Hinter den Schlagzeilen , 2021 - Regie: Daniel Sager. Buch: D. Sager, Marc Bauder. Kamera: Börres Weiffenbach, D.Sager, Anne Misselwitz, Frank Marten Pfeiffer. Schnitt: Hannes Bruun. Musik: John Gürtler, Hannah von Hübbenet. Real Fiction, 90 Minuten.

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