Film: Feminism WTF
Dass im Feminismus gar nichts "erledigt" ist, zeigt Katharina Mückstein in ihrem Dokumentarfilm "Feminism WTF" - eine Blitzeinführung in akademischen Feminismus, aufklärerisch und unterhaltsam. Mückstein hat dafür eine Reihe kluger Frauen vor ihre Kamera geholt. Wissenschaftlerinnen analysieren die Machtverhältnisse in Deutschland und vertreten dabei einen Feminismus, der Rassismus, Klassismus, Sexismus und Kapitalismus zusammendenkt. Die Regisseurin hat das poppig-cool inszeniert und ihre Gesprächspartnerinnen in farblich durchgestylten leeren Büroräumen ihre Statements abgeben lassen. Dazwischen sind queere Performance-Sequenzen oder Versuchsanordnungen montiert. Talking heads und talking bodies: "Jedes Wissen ist verkörpertes Wissen", sagt eine der Wissenschaftlerinnen. "Wenn bestimmte Körper fehlen, fehlt das Wissen, das mit diesem Körper zusammenhängt." Martina Knoben
Pop: "Bipolar Feminin" auf Tour
Hach, endlich mal wieder Wut, endlich mal wieder ein bisschen Sendungsbewusstsein und Spuren von "Euer Leben ist nichts für mich - und wie sollte es das auch sein, es ist ja ekelhaft". Super Bandname auch: Bipolar Feminin, ein Quartett aus Österreich, straßenköteriger Wiener Indie-Pop-Punk, aber nicht so viel Schmäh und gut kultivierte Verlebtheit, wie man sich darunter jetzt vorstellt. Das Ganze ist härter und ungefähr so kompakt und humorvoll wie Pflastersteine. Frontfrau Leni Ulrich singt auf dem Album "Ein fragiles System" Songs übers Dummsein und Zu-laut-Reden, über "Attraktive Produkte" und also darüber "Wie es ist". Aktuelle Lieblingszeile: "Fick dich ins Knie, Elbphilharmonie". Bis Ende September ist die Band damit auf Tour: am 14. September zum Beispiel in München, am 17. in Frankfurt, am 19. in Potsdam und beim Reeperbahnfestival (20.-23.) auch. Jakob Biazza
Klassik: Die Pianistin Yaara Tal
1923 war ein Jahr des Umbruchs. In Deutschland scheiterte Hitler mit seinem Putsch, im November wurde die Hyperinflation beendet, danach war der Weg frei für die paar wenigen Jahre der Goldenen Zwanziger. Die Kunst explodierte in diesem Jahr in alle Richtungen, alles schien möglich zu sein. Und die wundervolle Pianistin Yaara Tal fängt das auf ihrem Soloalbum mit dem schlichten Titel "1923" (Sony) auf aufregende Art ein. 500 Werke hat sie gesichtet, sich selbst vorgespielt, ein Dutzend Stücke oder Minizyklen, die 1923 komponiert wurden, wählte sie aus. Kurz mussten sie sein, damit sie eine möglichst große Bandbreite auf einem Album unterbringen kann.
In der Mitte dieses überbordenden Panoptikums steht Wien. Arnold Schönberg erfindet die Zwölftonmusik, Josef Matthias Hauer tut es ihm gleich, wenn auch auf ganz andere Art. Hauers Klavierstücke nach Worten von Hölderlin sind freundliche Zartheiten, ohne jede Vortragsbezeichnung notiert, Schönbergs Walzer aus den Klavierstücken op. 23 ist penibel durchkonstruierte Expression. Dicht daneben: Hanns Eislers zweite Sonate, neben Ernest Blochs "Nirvana" das modernste Stück des Albums. Eisler zerlegt erst jede Tradition, dann beginnt er, mit den Trümmern zu spielen, immer irrer. Bloch erfindet ein Loslassen von jeder Intention, wie zufällig ereignen sich Töne - das Stück könnte auch jetzt komponiert worden sein.
Yaara Tal gibt jedem recht. Ob die Vergangenheitssehnsucht von Frederick Delius, der dezidiert jüdische, wie von Chagall-Bildern evozierte Klangtraum Joseph Achrons oder die kleine Sammlung der eleganten, in die Salons und Jazz-Clubs hineinlugenden, superbrillanten Miniaturen aus Paris oder Genf: Alles spielt Tal mit größter Sorgfalt und viel Freude an den Entdeckungen. In jedem Stil ist sie zu Hause, im Rag-Time wie im Maschinenhaus. Die Maschine stammt von Heautontimorumenos, der eigentlich Fritz Heinrich Klein hieß. Sein Opus 1 ("Die Maschine") ist das längste Stück auf dem Album und das einzige, bei dem Andreas Groethuysen mitmachen darf. Tal&Groethuysen sind eine Instanz der Klavierduos, was den Sologlanz Tals nicht anficht. Die "Maschine" nun ist ein phänomenaler Witz, die lustigste Menschmaschine der Welt, so verrückt wie das Leben selbst. Egbert Tholl
Krimi: "Der Vertraute der Königin"
Die junge Frau steht aufrecht da, die Hände ausgebreitet, wie "Unsere liebe Frau der Gnaden", der junge Mann klammert sich an ihre Röcke und drückt das Gesicht in die Stickerei: "Sauve-moi, Madame". Mary, Königin der Schotten, und ihr Berater David Rizzio, Schloss Holyrood, März 1566 - ein wilder Haufen Bewaffneter ist in den Speisesaal gestürmt, sie wollen Rizzio töten. "Rizzio" heißt das neue Buch von Denise Mina (im Original, auf Deutsch heißt es "Der Vertraute der Königin"). Mina schrieb bislang knallharte Krimis aus der Gang-Welt von Glasgow, dies hier ist eine irrwitzige historische Miniatur, blutig und schmutzig, aus einem politisch und religiös zerfetzten Land. Marys Gatte Darnley hat eigene fiese Vorstellungen von der Zukunft, er steht direkt an ihrer Seite und drückt - die Königin ist im sechsten Monat schwanger - brutal ihren Unterleib, wo er das Kind vermutet ... Fritz Göttler
Jazz: Die Jam-Session ist zurück
Seit die Hausband um den Pianisten Thelonious Monk im Minton's Playhouse 1940 in Harlem anfing, junge Pioniere wie Dizzy Gillespie und Charlie Parker anzuziehen, spielten Jam Sessions eine Schlüsselrolle im Modern Jazz. Jenseits ihrer Engagements konnten die Musiker tun und lassen, was sie wollten. In München fungierten seit den Siebzigerjahren vor allem die Sonntage im Jazzclub Unterfahrt als Drehscheibe der Szene. Inzwischen gibt es eine neue Generation Musiker und Publikum, für die Jam Sessions die Einstiegsschwellen senken. Für die Musiker, weil die neuen Sessions eher den Geist der Gemeinsamkeit als des Kräftemessens transportieren. Fürs Publikum, weil sie für wenig oder kein Geld einen Clubabend mit grandioser Musik verbringen können. Im neuen "Live/Evil" im ehemaligen Gasteig leitet zum Beispiel der "Funky Drummer" Guido May die Session. Und mit etwas Glück können sich Musiker jedweden Kalibers mit Größen wie dem Keyboarder André Schwager, dem Trompeter Vincent Eberle oder dem Saxofonisten Michael Hornstein messen. Lohnt sich. Für alle. Andrian Kreye