Favoriten der Woche:Aktiv im Unterholz d'Amour

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Jubel, Trubel Eitelkeit: Die Musiker von "Hotel Rimini". (Foto: Max Threlfall)

Die Band "Hotel Rimini" singt lebenskluge Zeilen wie "Früher hatte ich Idole / Heute mach' ich Guacamole". Diese und weitere Empfehlungen aus dem SZ-Feuilleton.

Von Jakob Biazza, Carolin Gasteiger, Fritz Göttler, Helmut Mauró und Cornelius Pollmer

Pop: "Hotel Rimini" auf Tour

Zum biografischen Großereignis "Verlust der Jugend" gehört diese furchtbare Been-There-Done-That-Abgeklärtheit, mit der man irgendwann anfängt, auf Konzerte neuer Bands zu gehen. Umso schöner wird es, wenn einem dann doch mal wieder jemand den Kopf so gehörig verdreht wie Hotel Rimini - inhabergeführt von sechs Theater- wie Indie-, aber auch Klassik-erfahrenen Musikerinnen und Musikern, die in ihren Kompositionen mal an die jungen Element of Crime erinnern, in deren Tourbus ab kommender Woche dann und wann aber auch Faber laufen dürfte. Eine Stimme mit entsprechendem Körnungsgrad hat Julius Forster ohne Zweifel, und er bringt damit Zeilen zum Vortrag, die wie kleine Geschenke sind, darunter Bonmots, Küchenphilosophisches, Denksportaufgaben. Gibt es mehr zu sagen über persönliche Erinnerungen als "Ich hingegen komm' zu keinem Schluss / Wenn ich an früher denken muss"? Fühlt sich irgendwer nicht angesprochen in der Passage "Jubel, Trubel, Eitelkeit, jeder sein Planet / Es lebe die Befindlichkeit und Authentizität"? Und falls ja, bleibt das so bei "Früher hatte ich Idole / Heute mach' ich Guacamole"?

Aber die Vergänglichkeit des Seins weht natürlich nicht an jeder Ecke im Text, wie Melancholie ja ohnehin mehr Farben kennt als gelegentlich unterstellt. Auf dem vorliegenden Album "Allein unter Möbeln" geht es beschwingt zu, etwa in den beiden kleinen Hits "Gefallen" und "Arbeit und Struktur", deren Titel praktischerweise aus den Bezügen zu Die Höchste Eisenbahn und Wolfgang Herrndorf gar nicht erst ein Geheimnis machen. Welche Struktur genau aber wird gewünscht? "Schränk' meine Freiheit ein / Ich will nicht mehr ich selber sein / Ich wär' so gerne fremdbestimmt / Ein Kind, das man zur Schule bringt". Das ist nun wieder so eine Flucht in Gedanken, über die sich noch eine Weile sinnieren lässt, während die Streicher einen bereits sanft weitertragen ins "Unterholz d'Amour", in dem Hotel Rimini besonders aktiv sind. Das soll gefühlsduselig sein? Nein, das ist durchaus auch Gegenwehr: "Die Zeit schlägt mich tot, aber ich schlag' zurück". Cornelius Pollmer

Newsletter: "Unmapped Storylands" von Elif Shafak

Elif Shafak gehört zu den meistgelesenen türkischen Autorinnen. (Foto: Mychele Daniau/AFP)

Es sind kleine Schnipsel, die alle paar Tage ins Postfach flattern. "Unmapped Storylands" heißt der Newsletter, in dem die türkisch-britische Autorin Elif Shafak Anekdoten, literarische Fundstücke und Empfehlungen verschickt. Alles basierend auf ihrem Notizbuch. Shafaks Romane, etwa "Der Bastard von Istanbul", "Der Geruch des Paradieses" oder "Unerhörte Stimmen", erzählen in märchenhaft-verspieltem Ton von Außenseitern der Gesellschaft. Ihr Newsletter, auf Englisch verfasst, ist aktuell und weitreichend: Mal schreibt sie darüber, in welchem Alter Schriftsteller das Schreiben angefangen haben, dann erklärt sie, warum Voltaires "Candide oder der Optimismus" in unsere schnelllebige Zeit passt, oder erinnert an die persische Dichterin Forough Farrokhzad. Überraschend, persönlich und liebevoll. Carolin Gasteiger

Film: "Herr Lier" von Max Zihlmann

Max Zihlmann war in den Sechzigern der wichtigste Autor im jungen deutschen Kino. (Foto: Kiener Verlag)

Herr Lier ist ein klassischer Bildungsbürger und - wir sind in München - ein besserwisserischer Grantler. Mit 78 verkauft er seinen Verlag, überschreibt sein Vermögen den Töchtern, unter der Bedingung, dass er bei ihnen unterkommen darf. Ein Obdachloser, wohlsituiert. Nur die Jüngste spielt nicht mit: "Weißt du was, Papa? Behalt doch dein dummes Geld!" Max Zihlmann, in den Sechzigern der wichtigste Autor im jungen deutschen Kino, für Rudolf Thome oder Klaus Lemke, hat im Drehbuch "Herr Lier" (nicht verfilmt, jetzt erschienen im Kiener Verlag) das schroffe Pathos von Shakespeares Lear geschliffen und die Tragödie vom sturen, in den Wahnsinn driftenden Mann in eine Schickeria-Soap verwandelt. Immer wieder und immer noch blitzt jugendlicher Widerspruchsgeist auf, der uns faszinierte in "Rote Sonne" und "48 Stunden bis Acapulco". Fritz Göttler

Klassik: Antonio Rodríguez de Hita, "Obra vocal en latín"

Der spanische Komponist Antonio Rodriguez de Hita (1722-1787) zeigt in diesen geistlichen Kompositionen eine andere Seite seines Könnens. (Foto: Lauda Musica)

Strukturell ist seine Musik noch dem Barock verpflichtet, dem durchlaufenden Generalbaß, den kontrapunktischen Verläufen und der strengen Harmonik. Das Klangbild würde man aber schon nahe der Wiener Klassik verorten. Der spanische Komponist Antonio Rodriguez de Hita (1722-1787) zeigt in diesen geistlichen Kompositionen eine andere Seite seines Könnens, die er ebenso virtuos verfolgt - eigentlich ist er mit seinen musiktheatralischen Zarzuelas bekannt und beliebt geworden, die er, zusammen mit dem Librettisten Ramón de la Cruz, vom heroisch-mythischen Theater Calderóns weg in Richtung burleske Komödie weiterentwickelte.

Den Kampf gegen die hereinbrechende italienische Oper verloren sie allerdings, immerhin musste de Hita den Siegeszug Rossinis nicht mehr erleben. Was de Hitas Schaffen angeht, fällt natürlich die Parallele zu Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791) ins Auge, der nach Anfängen in der Opera Seria seinerzeit seine großen Erfolge mit dem neuen Typus der Opera Buffa feierte. Und auch Mozarts geistliche Kompositionen stehen ja qualitativ seinem weltlichen Werk nicht nach. Antonio Rodriguez de Hitas Kirchenmusik der 1770er-Jahre ist klanglich gar nicht so weit weg von Mozart, auch wenn immer wieder deutlich wird, wie sehr Spanien durch eine ganz eigene kulturelle und musikalische Entwicklung geprägt ist. So wie das höfische Zeremoniell deutlich strenger angelegt war als andernorts, scheint auch die Kirchenmusik engeren Schranken unterlegen zu haben. Für den Aufklärer de Hito möglicherweise ein Konfliktpunkt, für den Musiker offenbar nicht, im Gegenteil. Er scheint wie alle begabten Musiker jede Beschränkung nicht nur als willkommene Basis für eine allgemein verständliche Musiksprache zu verstehen, sondern auch als Herausforderung, innerhalb enger Grenzen maximale Kreativität zu entfalten.

Am Ende entstehen Werke größter Pracht und individueller Vielfalt, die weit intensiver wirken als vermeintlich frei gestaltete Kunst, die sich schließlich auf einen viel kleineren gemeinsamen Nenner stützen muss. Dass de Hita hierzulande so gut wie unbekannt ist, liegt jedenfalls nicht an der Qualität seiner Musik. Die lohnt eine kleine Entdeckungsreise allemal (Antonio Rodríguez de Hita, "Obra vocal en latín", erschienen bei Lauda). Helmut Mauró

Kochen: Warenkunde vom "Splendido Magazin"

Unter 40 Euro ist bei Olivenöl auf Höchstniveau wenig zu machen. (Foto: Dumont Verlag)

Wie viel Olivenöl kosten muss, damit es in der in durchgentrifizierten Stadtvierteln herbeigesehnten Qualität produziert werden kann? Gut, dass Sie fragen! Sagen wir so: 15 bis 30 Euro kostet es den italienischen Bauern pro Liter. Im besten Fall. In schlechteren auch mal 35 Euro. Unter 40 Euro ist da in Deutschland also auf Höchstniveau wenig zu machen. Das wäre die schlechte (also die realistische) Nachricht, die das aktuelle Buch des Splendido Magazins bereithält. Darüber hinaus ist "Italienische Produktkunde und Rezepte", das die Journalistin Mercedes Lauenstein und der Fotograf Juri Gottschall jüngst herausgebracht haben, wie seine Vorgänger der Kochbuchreihe nichts als grandios - inhaltlich, optisch, im Ton und in Liebe fürs Thema. Fokus diesmal: Warenkunde. Der Anfang von allem. Im besten Fall. Jakob Biazza

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