Theater:Nix passiert

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Viel kalte Luft in Christopher Rüpings Bühnenfassung von Mieko Kawakamis "Brüste und Eier" am Hamburger Thalia-Theater (Foto: Krafft Angerer/Krafft Angerer)

Die Bühnenfassung des Romans "Brüste und Eier" gerät am Hamburger Thalia-Theater ein bisschen arg undramatisch.

Von Till Briegleb

Natsuko will ein Kind, aber ohne Sex und Beziehung. Die besten Jahre verbringt die junge Frau allein in Tokio, wobei unklar bleibt, ob sie die Zweisamkeit wirklich nicht braucht oder von einem seelischen Leiden gehemmt ist. Die Selbstisolierte denkt auch über weibliche Rollenbilder in Japan nach. Ihr Ton ist dabei durchweg naiv und schlichte Antworten suchend, was für eine angehende Schriftstellerin vielleicht etwas merkwürdig ist. In Christopher Rüpings sehr getreuen Adaption von Mieko Kawakamis vor zwei Jahren auf Deutsch erschienenem Roman "Brüste und Eier" am Hamburger Thalia-Theater aber bestimmt die wenig tiefschürfende Schüchternheit den gesamten Sound des Stücks.

Dreieinhalb Stunden verhandelt ein kleines Ensemble auf der überwiegend leeren Bühne einen ausgesprochen undramatischen Text ausgesprochen undramatisch. Dem in seiner Geduld schwer beanspruchten Zuschauer stellt sich mangels Tempo, Tiefe und echter Tragik schnell die Frage, ob hier vielleicht ein kulturelles Missverständnis vorliegt. Rüpings Anspruch, einen "spezifisch japanischen" Roman zu inszenieren, der "anschlussfähig ist für das allzu Menschliche", verwendet zwei Charakterisierungen, bei denen sofort der Klischeewecker schrillt. Aber vielleicht weiß der Regisseur im Gegensatz zum Theatergast tatsächlich, was das ist, "spezifisch japanisch" und das "allzu Menschliche".

Zweihundert Jahre Frauenbewegung scheinen hier auf ein DIN-A4-Blatt zu passen

Inhaltlich kommt in "Brüste und Eier" - ein Titel, der wie die ordinäre Kopie eines Mario-Barth-Abends klingt, was vielleicht erklärt, warum die Premiere ausgesprochen schlecht verkauft war - eigentlich nichts vor, was in Deutschland nicht seit Jahrzehnten rauf und runter diskutiert wurde, in Bravo, RTL und Uniseminaren: die Schwierigkeiten der Pubertät angesichts kommerzieller Rollenbilder, der Kampf alleinerziehender Mütter, die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper bis hin zu Schönheitsoperationen, männliche Gewalt. Nur werden diese Themen in Rüpings Stück in einer Oberflächlichkeit angerissen, dass der gesammelte Emanzipationsstoff aus zweihundert Jahren Frauenbewegung auf eine DIN-A4-Seite gepasst hätte.

Also ist es die Sprachlosigkeit, die diesen langen, langen Abend rechtfertigt? Nun ist Scham, von dem westliche Fernbetrachter traditionell behaupten, sie sei in Japan ein intensiv sozialisierender Faktor, ein ziemlich schmerzliches Gefühl. In der lakonischen Manier, mit der etwa Hans Löw als Hostess Makiko eine Episode aus dem Leben einer minderjährigen Bardame erzählt, die so brutal vergewaltigt wurde, dass ihr Kiefer brach, aber sich mit der Nachricht auf einem Zettel nur dafür entschuldigt, dass sie nicht zur Arbeit kommen kann, wird diese Schärfe ganz kurz wachgerufen.

Aber auch diese Episode bleibt folgenlos hingeworfen in eine Dauerimprovisation, die will, dass diese Inszenierung aussieht wie eine Probensituation, inklusive der inhaltlich völlig unbestimmten Sackkleider und zu großen Anzüge (von Lene Schwind) und der hässlichen Sperrholzbühnenteile (von Jonathan Mertz), die im Thalia-Theater, wo man seit Jahren vor richtigen Bühnenbildern Angst hat, ab und an ins große schwarze Loch dieser Armut geschoben werden. Als durchgängiges Stilmittel aber führt die Lakonie des Sprechens, des ständig Lächelnd-aus-der-Rolle-Tretens, des hoppla-leichten Verhandelns von schweren Themen nur dazu, dass der Stoff sich entschärft.

Man kann sie sicher alle mögen, die willentlich unbeholfenen Figuren dieses Stücks, die eine ferne Kultur darstellen sollen und dabei die Kultur aus den Augen verlieren, für die sie spielen. Maike Knirsch als ständig ausweichende Unbestimmtheit, verlegen lächelnd, von direkter Kommunikation überfordert, leidet eigentlich nur daran, dass man ihr Problem sofort verstanden hat. Nils Kahnwalds Auftritt als "König der Samenspender" bringt mit der ausführlichen Preisung seiner Spermienwerte für wenige Minuten den Unterhaltungsfaktor einer Rampensau in das Stück, bevor es wieder sediert. Oda Thormeyer als krebskranke Lektorin sowie Julian Greis als pubertierende Nichte, die aus seelischem Schmerz nicht mehr spricht, ergänzen die Galerie der knapp skizzierten Frauenschicksale um locker hingespielte Anekdoten.

Zwei Rollen besetzt Rüping mit "japanischer Expertise", damit das Stück kein "touristisches Unterfangen" werde: die Choreografin Saori Hala, die einen sehr lang andauernden Baby-Wiege-Gruppentanz zu Abbas "Lay All Your Love On Me" und wie die zweite in Japan geborene Schauspielerin, Ann Ayano, diverse Nebenrollen beisteuert. Allerdings sorgen die Gäste weniger für authentisch Fremdes, was immer das hätte sein sollen, sondern verstärken den Aspekt, dass alle Rollen in diesem Stück zu künstlich privat wirken, um wahr zu sein. Sodass man der selbstkritischen Stelle des Stücks zustimmen möchte, als die Lektorin erklärt: "Überall wird nur noch übers Kinderkriegen, Kindererziehen und über die damit verbundenen Freuden und Leiden geschrieben. Furchtbar! Wozu dieses banale Zeug? Wenn du nur noch über Privates schreibst, bist du, von meiner Warte aus gesehen, als Autor am Ende."

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