Favoriten der Woche:Hoch die Hände

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Szene aus: Das Tier im Dschungel. (Foto: Elsa Okazaki)

Der Kinofilm "Das Tier im Dschungel" erzählt von einem tanzenden Paar am Nullpunkt der Zeit. Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus dem SZ-Feuilleton.

Von Harald Eggebrecht, Andrian Kreye, Peter Laudenbach, Philipp Stadelmaier und Susan Vahabzadeh

Film: "Das Tier im Dschungel"

Ein Club ohne Namen, eine Party außerhalb der Zeit. Ein Mann und eine Frau, John und May, lernen sich 1979 kennen und verlieren sich sofort in der Nacht "wie in einem Spinnennetz", so heißt es einmal in dem schönen Film von Patric Chiha, der jetzt im Kino läuft. "Das Tier im Dschungel" beruht auf einer Kurzgeschichte von Henry James, dem Meister der Melancholie, des unerfüllten Lebens, des verpassten Glücks. Die Vorlage stammt aus dem Jahr 1903. Chiha überträgt den Stoff in die Gegenwart und auf die Tanzfläche, in einen ewigen Fluss der Musik, der tanzenden Körper und der Farben.

Die wunderschöne May, gespielt von Anaïs Demoustier, lebt nur fürs Tanzen. Eines Nachts trifft sie in einem Pariser Club eine alte Bekanntschaft wieder, John, gespielt von Tom Mercier. Er wirkt verloren, gehetzt, verwirrt, als würde er unter etwas leiden, das er selbst nicht versteht. Inmitten der Feiernden wirkt er wie ein Fremdkörper. Vor Jahren hat er ihr ein Geheimnis anvertraut: dass er bestimmt sei für etwas "Außergewöhnliches" und ein Ereignis erwarte, das sein Leben verändern wird.

May wird sich John anschließen, auf seiner Suche begleiten, ihr eigenes Leben aufgeben. Mit den beiden schließt sich der Film in dem Club ein, der zu einem Tempel wird. Hier wird einem Gott gehuldigt, dessen Ankunft sich stetig verzögert. Worauf warten May und John? Ihren ersten Kuss, die Liebe, den Tod?

Chihas Film ist zutiefst romantisch. Im Zentrum der ewigen Party steht das Ereignis, dem May und John vergebens auflauern, das titelgebende Tier im Dschungel. Das Abenteuer, das John der Frau verspricht, besteht in nichts weiter als dem Vergehen der Jahre. Für John und May ist die Zeit konserviert, während sie draußen weitergeht: Mitterrand wird gewählt, Aids tötet, die Berliner Mauer fällt, dann die Zwillingstürme in New York. Auch auf der Tanzfläche ändern sich Moden, Kostüme, Tanz- und Musikstile. Immer mehr werden die beiden zu Zaungästen der Feier, ohne sich zu trauen, mit dem Leben anzufangen. Und doch hat sich das Warten gelohnt. Denn an der magnetischen Eleganz von Anaïs Demoustier und der dumpfen Sturheit von Tom Mercier kann man sich nicht sattsehen. Philipp Stadelmaier

Serie: "Bardot" auf Netflix

Die Gejagte: Brigitte Bardot. (Foto: Caroline Dubois - FTV - Federation)

Wer glaubt, der Ruhm sei erst im Zeitalter der Handykameras und Gerüchteverbreitung im Netz zu einer zwiespältigen Angelegenheit verkommen, sollte seine Erinnerungen in Sachen Brigitte Bardot auffrischen: In der französischen Serie "Bardot" (großartig gespielt von Julia de Nunez), die jetzt auf Netflix läuft, sieht man die Genese eines Sexsymbols, diverse Suizidversuche und wie ihr Assistent alles abfotografiert und an die Boulevardpresse verscherbelt, während Legionen von Paparazzi versuchen, ins Haus einzubrechen - solche Schweinereien gab's auch in Zeiten analoger Medien. Die Serie, die den Charme einer Hochglanz-Reportage aus Paris Match hat, inklusive der Erfindung von Saint-Tropez, endet Mitte der Sechziger, lange vor ihrem (inzwischen widerrufenen) politischen Rechtsruck. Man kann also nach Herzenslust mitleiden, und versteht am Ende gar, warum ihr die Tiere lieber sind als die Menschen. Susan Vahabzadeh

Jazz-Podcast: Pablo Held Investigates

Held nimmt sich Zeit, und wenn er etwas sagt, dann hat er auch etwas zu sagen. (Foto: Spotify)

Der Pianist Pablo Held gehört längst zu den Kreativsten in der ersten Liga des Jazz. Seine Alben seien hier mal pauschal alle empfohlen, zum Beispiel sein jüngstes "Buyonacy", auf dem er und seine Band die "Star Wars"-Melodie in ein Glanzstück der Moderne verwandeln. Nebenher betreibt er einen Podcast mit dem Titel " Pablo Held Investigates" (überall, wo es Podcasts gibt), in dem er sich mit anderen Größen über Musik unterhält. Und weil er das auf Augenhöhe tut, erfährt man da von Leuten wie Teri Lynne Carrington, Dave Holland oder Maria Schneider viel übers Jazzspielen, was sonst verborgen bleibt. Held nimmt sich Zeit, drängelt nicht, hört zu und hat doch selbst immer was zu sagen. Alleine das Gespräch über Geduld, das er in einer der jüngsten Folgen mit dem legendären Bassisten Buster Williams führt, ist ein Tieftauchgang in die Philosophie des Jazz. Andrian Kreye

Klassik: Das Schumann Quartett mit Musik von 1923

Das Schumann Quartet in neuer Formation. (Foto: Berlin Classics)

Wilder, ekstatischer, aber auch sarkastischer und schmissiger kann es kaum zugehen als auf dieser CD des berühmten Schumann Quartetts, die Kompositionen von 1923 versammelt. Die Formation hat seine Neuformierung gut überstanden, statt der durch Phrasierungsgeschmeidigkeit, klangliche Eleganz und Leichtfüßigkeit faszinierenden Liisa Randalu, die nun Solobratscherin im hr-Sinfonieorchester ist, verleiht Veit Hertenstein mit herberem Violaton dem Brüderensemble - Erik und Ken, Violinen, Mark Schumann, Violoncello - einen Hauch von dunkler gefärbtem Ernst, ohne dass die besonderen Schumann-Qualitäten an Lebendigkeit, Frische und erhellender Spiellust verloren gegangen wären.

Es ist fast unglaublich, dass Leoš Janáčeks leidenschaftliches erstes Streichquartett, "Kreutzersonate" genannt, neben Paul Hindemiths sechsteiliger deftiger Parodie "Minimax - Repertorium für Militärmusik", Erwin Schulhoffs rasant-moderne "Fünf Stücke für Streichquartett" neben Alban Bergs sehnsuchtsvoller Bekenntnismusik seines Streichquartetts op.3 erscheinen. Zu gegensätzlich und unterschiedlich sind diese Komponistenpersönlichkeiten. Und doch gibt es einen gemeinsamen Nenner: das Entstehungsjahr 1923, in dem die Weimarer Republik von Hyperinflation, Hitlerputsch und anderen politischen Ereignissen gebeutelt wurde. Doch zugleich gab es eine Kreativexplosion in allen Künsten.

Die imponierende gestalterische Flexibilität der Schumanns bringt es fertig, dass jedes dieser so unverwechselbaren Stücke zu seinem musikalischen Recht und seiner spezifischen Ausprägung gelangt. Also erklingt Janáčeks 1. Streichquartett nicht nur aufbrausend furios, sondern auch rhythmisch unmissverständlich ausartikuliert. Hindemiths Militärmusikscherze geraten den Schumanns so keck und im vermeintlich Falschen so präzise, dass es eine Lust ist. Bergs op. 3 bieten die vier mit großer Emphase und Klangvielfalt höchsten Anspruchs, Schulhoffs 5 Stücke des "Alla Valse viennese; alla Serenata; alla Czeca; alla Tango Milonga; alla Tarantella" werden zu pointierten Charakterstücken der Verfremdung, Aaron Coplands "Movement", wahrscheinlich für seine Kompositionslehrerin Nadia Boulanger geschrieben, entfaltet das Ensemble als so gelassenen wie schwungvollen Quartettsatz. Harald Eggebrecht

Theaterbuch: "Zeitgenoss*in Gorki"

Man verliebt sich alle paar Seiten neu: "Zeitgenoss*in Gorki: Zwischenrufe". (Foto: Verlag Theater der Zeit)

Das Berliner Maxim Gorki Theater ist in vieler Hinsicht das aufregendste Theater der Stadt, mindestens - und das nicht nur, weil es Beleidigungen aus der AfD kassiert wie andere Bühnen Theaterpreise. Schon Ende vergangener Spielzeit ist ein prächtiges Buch erschienen, das mit vielen Geschichten aus dem Inneren des Theaters die ersten zehn Jahre der Intendanz Shermin Langhoffs dokumentiert. Das Theater hat zwar wenig Geld, aber viel Kampfgeist und ein Ensemble mit bemerkenswert hoher Stardichte. Mit seinen postmigrantischen Künstlern war es von Anfang ein maßstabsetzender Vorreiter. Und mit seinem anarchischen Volkstheater demonstriert das Gorki, dass Theater auch als garantiert bildungsbürger-dünkelfreie Zone hervorragend funktioniert. Kein Wunder, dass man sich beim Blättern alle paar Seiten erneut ins Gorki verliebt (Verlag Theater der Zeit). Peter Laudenbach

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