Thüringen:Ein CDU-AfD-Votum - und viele offene Fragen

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Platz eins beim Karikaturenpreis deutscher Zeitungen: Michael Holtschultes Zeichnung für die SZ-Leserbriefseite vom 30. September/1. Oktober 2023. (Foto: SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte)

Kann man den Anfängen noch wehren, oder sind wesentliche Brandmauern gegen eine rechtsextreme Partei schon gefallen? SZ-Leser diskutieren das sehr kontrovers.

"Mut zur Intoleranz" und "Rechtsextremes Weltbild breitet sich weiter aus" vom 22. September, "Thüringer Zwickmühle" vom 20. September, "Keiner will schuld sein" und "Die Gescheiterten" vom 18. September, "Wenn Demokraten versagen" vom 16. September sowie "CDU stimmt mit AfD" vom 15. September:

Mehr Mut zur Intoleranz

Ihren Aufruf zum Mut zur Intoleranz gegenüber den inhaltlichen Positionen der AfD unterstütze ich gerne. Zwar kommen Sie mir vor wie der sprichwörtliche einsame Rufer in der Wüste, doch ich geselle mich gerne zu Ihnen. Das Zitat von Carlo Schmid trifft die Sache im Kern ("Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben. Wenn man aber diesen Mut hat, dann muss man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen."; d. Red.). Es braucht Mut und Widerstand gegen rechtsextremistisches Gedankengut und Politik, und keine Anbiederung. Damit haben wir es bei Teilen der CDU/CSU zu tun, und so gesellen sich zu den Brandstiftern der AfD oder eines Hubert Aiwanger die Biedermänner vom Schlage eines Friedrich Merz und Markus Söder hinzu. Ihnen fehlt der Mut zur Intoleranz gegen Rechtsextremisten. Sie reduzieren die Demokratie auf das "Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeit" und opfern sie damit auf dem Altar ihrer Gier nach Macht.

Michael Schnurr, Sipplingen

Entscheidender Unterschied

Unter der Überschrift "CDU stimmt mit AfD" berichten Sie über eine Abstimmung im Thüringer Landtag. Die Überschrift verfälscht den Sachverhalt. Denn so war es eben nicht. Nicht die CDU stimmte mit der AfD, sondern die AfD stimmte mit der CDU. Das ist ein großer Unterschied. Es ist, mit Verlaub, der große Unterschied.

Henry C. Brinker, Buchholz

Kommentar als Pflichtlektüre

Den Leitartikel "Die Gescheiterten" vom 18. September sollte man als Pflichtlektüre in den Bundestag legen und dem Autor ein Denkmal setzen. Wie oft hat man bei diesem Talkshow-Wanderzirkus im Fernsehen erlebt, dass der oder die AfD-Politiker inhaltlich überhaupt nicht attackiert wurden, sondern abgegriffene, ewig wiederholende Meinungen den Raum gefüllt haben. Dieses Problem wurde mittlerweile dadurch gelöst, dass AfD-Politiker selten oder gar nicht mehr eingeladen werden. So kann man dann gemütlich zwischen Viertel links, halb Mitte und zwei Fünftel Grün hin und her hüpfen. Ganz schlimm - weil die AfD absolut nichts Substanzielles zu bieten hat.

Werner Jünemann, Göttingen

Ab wann ist Widerstand Pflicht?

Die AfD wurde 2013 als EU-skeptische und rechtsliberale Partei gegründet. Schon damals hätten bei allen demokratischen Parteien die Alarmglocken läuten müssen. Man dachte, das wird nicht anders als bei NPD, DVU, Republikanern und so weiter, das legt sich wieder. Nach zehn Jahren mit steigenden Erfolgen liegt die Partei heute bei den Umfragen bei 20 Prozent. Es sind rechtsextreme Leute in der Führung, die man als faschistisch bezeichnen darf. Die demokratischen Parteien haben das, wie schon einmal, gnadenlos unterschätzt, und haben nichts anderes im Sinne, als sich gegenseitig die Schuld zuzuweisen. Das ist verantwortungslos und entsetzt mich! Die AfD ist die derzeit größte Gefahr für die 78 Jahre alte Demokratie bei uns.

Dabei geht es nicht um die Wähler der AfD, sondern vor allem um das Versagen der sogenannten Altparteien. Noch ist es nicht zu spät! Es gilt immer noch und mehr denn je: "Wehret den Anfängen". Meine Partei müsste die Speerspitze des Widerstandes bilden, sind doch frühere SPD-Parteimitglieder von den Nazis geschunden und umgebracht worden. Wir alle wissen, wie sich autokratische und diktatorische Systeme bei uns und weltweit entwickelt haben und noch entwickeln. Keiner kann mehr sagen, er habe nichts gewusst. Deshalb muss es für die demokratischen Parteien sofort als oberste Priorität heißen, eine gemeinsame Strategie gegen die AfD zu entwickeln, ehe es zu spät ist. Da sind alle Demokraten in der Pflicht und in der Verantwortung für dieses Land.

Die Medien, als "Lügenpresse" tituliert, müssen aktiv und kritisch Stellung beziehen und nicht solchen Personen noch eine Plattform bieten. Die SZ hätte bei denen nichts mehr zu lachen!

Wie kann da in dieser gefährlichen Lage für unsere Demokratie der bayerische Ministerpräsident seinem Stellvertreter eine Rede wie in Erding durchgehen lassen, wo dieser Demagoge eindeutige AfD-Parolen rausgehauen hat? Machterhalt vor Demokratieerhalt? Jedenfalls wurde dadurch die rechte Türe in Bayern ganz weit aufgemacht.

Ich wurde vor Kurzem als intolerant eingestuft: Wie viel Toleranz muss man Rechtsradikalen, AfD-Leuten, Neonazis, Querdenkern, Verschwörungstheoretikern, bekennenden Demokratiefeinden und auch Herrn Aiwanger eigentlich entgegenbringen? Das ist ja die Kernfrage! Oder ab wann ist Widerstand Pflicht?

Ich werde Ende September 80 Jahre halt. Nach der Wahl werde ich in Moosburg eine Veranstaltung durchführen mit dem Motto "Aufruf zur Demokratie". Man kann und muss was tun!

Klaus Reichel, Moosburg

Ein Tabubruch ohne Not

In der Tat: Die Abstimmung im Thüringer Landtag, bei der CDU, FDP und AfD die Brandmauer gegen die AfD durch ein gemeinsames Abstimmungsverhalten eingerissen haben, ist nicht nur ein schwarzer Tag für Bodo Ramelow, sondern für die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland. Ohne Not brechen CDU und FDP ein wichtiges Tabu und arbeiten mit der gerade auch in Thüringen als rechtsextrem geltenden AfD zusammen. Man könnte auch sagen, sie paktieren oder kollaborieren mit den rechten Verfassungsfeinden, und AfD-Politiker triumphieren. Und das ist infam. Dank CDU und FDP erhält die AfD die Möglichkeit, Politik hierzulande mitzugestalten.

Es ist wichtig und für die Demokratie von existenzieller Bedeutung, dass bei Demokratinnen und Demokraten hierzulande ein Aufschrei gegen diesen gefährlichen Normalisierungsakt der AfD deutlich hörbar ist. Offensichtlich befinden sich Teile von CDU und leider auch FDP auf dem besten Wege in einen "Pakt mit dem Teufel", die Bevölkerung daran zu gewöhnen, dass es in Zukunft öfter zu Kooperationen mit der von einem Faschisten geführten AfD in Thüringen kommen könnte. Und es ist zu befürchten, dass diese Kooperation demnächst nicht nur in Thüringen, sondern auch anderswo in der Republik praktiziert wird. Müssen wir wirklich mit ansehen, wie zum zweiten Mal in der deutschen Geschichte Nazis, Strukturkonservative und Teile des Bürgertums zusammenarbeiten und am Ende dabei die demokratische Republik auf der Strecke bleibt? Wird das die Zukunft der jungen Menschen hierzulande sein? Es wäre kein lebenswertes Leben mehr, wenn die liberale Demokratie in Deutschland von rechtspopulistischer Nazi-Ideologie beherrscht würde. Ich hoffe inbrünstig, dass von irgendeiner Seite die Initiative kommt, einen Verbotsantrag gegen die Nazi-Partei AfD zu stellen, denn die AfD hat durch ihre öffentlichen Äußerungen und ihr Gebaren meiner Meinung nach schon längst Grundrechte verwirkt, die den demokratisch gesinnten Bürgerinnen und Bürgern, Gott sei es gedankt, im Grundgesetz garantiert werden.

Manfred Kirsch, Neuwied

Arroganz hilft nicht weiter

Was ist schlecht daran, gemeinsam für eine gute Sache einzutreten? Was ist schlecht daran, die Nebenkosten eines Immobilienkaufs in diesen Hochzinszeiten zu senken, um dadurch auch für junge Familien eine wenn auch kleine Vergünstigung zu erreichen? Was ist schlecht daran, wenn sich drei Parteien für diese gute Sache einsetzen? Was ist schlecht daran, wenn eine dieser Parteien die AfD ist? Und was ist schlecht daran, wenn diese Partei etwa ein Viertel der Bevölkerung repräsentiert?

Schlecht daran ist eigentlich nur, dass weite Teile unserer kleinkarierten Politgesellschaft nicht in der Lage sind, mit Grundsätzen der Demokratie umzugehen, allen voran Herr SPD-Generalsekretär Kühnert, der durch die Abstimmung in Thüringen ein Ende des demokratischen Parlamentarismus zu wittern meint. Wenn jemand den Parlamentarismus infrage stellt, dann ist das Herr Kühnert selbst, aber auch Herr Ministerpräsident Daniel Günther, der offenbar angesichts seiner Beliebtheit mit der Kanzlerkandidatur liebäugelt und bei seinen Wählern der Mitte Punkte sammeln muss.

"Du bist schlecht, also kannst du auch keinen guten Gedanken fassen" - das ist die Denkweise der genannten und vieler anderer Politiker im Hinblick auf die AfD. Wäre ich AfD-Anhänger, so würde ich mich dadurch verachtet, ignoriert und diskriminiert fühlen.

Wer auf einem derart hohen Ross sitzt, auf dem er glaubt, des Volkes Willen ignorieren zu können, der wird vermutlich auch bald weit fallen. Man kann von der AfD halten, was man will - eine Auseinandersetzung mit ihr auf sachlicher Ebene ist drängender denn je, wenn sich die bisherigen Parteien der Mitte als glaubwürdig und wählbar behaupten wollen. Die ständige Verteufelung der AfD und damit weiter Teile der deutschen Bevölkerung führt nur zu Trotz und Zorn ihrer Anhängerschaft, welche ja bekanntermaßen ständig wächst. Wen wundert es bei so viel Arroganz von Kühnert, Günther und Co.?

Dr. Thomas Schäfer, Riedering

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