CDU:Thüringen, die AfD und das Wackeln der Brandmauer

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Gemeinsame Sache: Im Thüringer Landtag haben CDU, FDP und AfD gegen die linke Minderheitsregierung eine Steuersenkung durchgesetzt. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Die Aufregung im Landtag ist groß, weil die Opposition aus CDU und FDP mit den Stimmen der rechten Partei ein Gesetz beschließt. Acht Fragen und Antworten dazu.

Von Ingrid Fuchs

Im Herbst 2024 wird in Thüringen der Landtag neu gewählt, aber außergewöhnlich heftig gekämpft und gerungen wird schon seit der vergangenen Wahl im Jahr 2019. Denn Ministerpräsident Bodo Ramelow steht einer Minderheitsregierung aus Linken, Grünen und SPD vor. Konsequent regieren? Unmöglich. Nun hat die oppositionelle CDU eine Steuersenkung durchgeboxt auf eine Weise, die für Furore sorgt. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu einem Vorgang im Thüringer Landtag, der Wellen bis in die Bundespolitik schlägt.

Was ist passiert?

In Thüringen hat die Opposition im Landtag gegen die rot-rot-grüne Minderheitskoalition eine Steuersenkung durchgesetzt - mit Hilfe der AfD. Die CDU-Fraktion konnte am Donnerstag die beim Immobilienkauf fällige Grunderwerbsteuer nur deshalb von 6,5 auf fünf Prozent drücken, weil neben der FDP auch die in Thüringen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Partei zustimmte. Beschlossen wurde die Senkung mit 46 zu 42 Stimmen.

Bereits vergangene Woche hatten FDP und AfD dem CDU-Plan zur Grunderwerbsteuersenkung im Haushaltsausschuss zugestimmt - und so die Abstimmung im Parlament ermöglicht. Einen Spielraum hat die rot-rot-grüne Regierungskoalition von Ramelow bei solchen Fragen nicht. Seit 2020 hat sie keine eigene Mehrheit mehr, vier Stimmen fehlen der Koalition dazu.

Wie lautet die Kritik?

Die Thüringer AfD von Björn Höcke ist einer der radikalsten Verbände der Partei. Der Verfassungsschutz des Landes stuft ihn als rechtsextrem ein und beobachtet ihn. "Friedrich Merz hat immer wieder gesagt, es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD. Heute hat man sich gemeinsam auf den Weg gemacht", kritisiert der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil in der ARD. Der CDU-Chef selbst verweist darauf, dass es keine Absprachen mit der AfD gegeben habe. CSU-Chef Markus Söder unterstützt Merz, viele andere Politikerinnen und Politiker sehen das durchaus strenger. Ihre Sorge: die sogenannte Brandmauer zur AfD wurde eingerissen - oder kriegt zumindest immer mehr Löcher.

Worum geht es in dem Gesetz?

Die CDU hatte schon länger darauf gepocht, die Grunderwerbsteuer in Thüringen zu senken. "Vor dem Hintergrund steigender Mieten und zunehmender Landflucht ist die Schaffung von Wohneigentum von hoher Bedeutung", heißt es in dem Gesetzentwurf vom Dezember 2022. Es sollten vor allem "bauwillige Familien entlastet" und die regionale Wirtschaft angekurbelt werden. Die Grunderwerbsteuer wird beim Kauf einer Immobilie fällig, Thüringen gehörte mit 6,5 Prozent zu den Ländern mit dem höchsten Satz. Viele erheben fünf, Bayern sogar nur 3,5 Prozent.

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Gegen den Willen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung in Erfurt setzt die Opposition eine Steuersenkung durch - mit den Stimmen der AfD. Während Union und FDP ihr Abstimmungsverhalten verteidigen, beklagt etwa SPD-Generalsekretär Kühnert eine neue Qualität im deutschen Parlamentarismus.

Nach Angaben des CDU-Landesvorsitzenden Mario Voigt hatten die Regierungsparteien seit Monaten eine Debatte über die Steuersenkungen verweigert. Von der rot-rot-grünen Regierung kam der Einwand, dass man durchaus angeboten habe, zu verhandeln - aber nicht über eine pauschale Senkung der Steuer etwa auch für gutverdienende Immobilienunternehmer, sondern darüber, wie Familien gezielt entlastet werden könnten. Dem Freistaat Thüringen werden mit dem neuen Gesetz künftig etwa 48 Millionen Euro an Einnahmen fehlen, heißt es. Unklar ist, wie diese Summe im Staatshaushalt kompensiert werden soll.

Was hat die CDU motiviert?

Voigt und die Thüringer CDU sehen ihren Vorstoß für die Steuersenkung als Maßnahme, um unzufriedene Wähler von der AfD zurückzuholen. "Ich will deutlich sagen: Die Leute haben die Schnauze voll von diesen parteitaktischen Spielen", sagt der Fraktionschef am Donnerstagabend zu der Kritik von Linken, SPD und Grünen. Zwar ist es bis zur Landtagswahl noch ein Jahr hin, aber mit Blick auf die derzeitigen Umfrageergebnisse der AfD dürfte Voigt einigen Druck spüren. In den Prognosen liegt die AfD mit teils 34 Prozent vorn, dahinter kommen mit mehr als zehn Prozentpunkten Abstand CDU und Linke - beide mit 20 beziehungsweise 21 Prozent fast gleichauf. Und im Herbst 2024 wird gewählt.

Wie reagiert die AfD?

Rechtsaußen-Politiker Björn Höcke kommentierte: "Das ist pragmatische Politik." Es gebe eine "bürgerliche Mehrheit" im Landtag, sagte der thüringische Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD. Er sei froh, dass die "CDU heute den Mut aufgebracht hat", den Gesetzentwurf "durchzuhalten". Die Bundesvorsitzende Alice Weidel schreibt auf der Plattform X: "Merz' Brandmauer ist Geschichte - und Thüringen erst der Anfang."

Wurde die viel zitierte Brandmauer tatsächlich zum Einsturz gebracht?

Um diese Frage dreht sich im Kern die Kritik bundesweit - und sie kommt von vielen Seiten. Die "Brandmauer" dürfe nicht durchbrochen werden, heißt es immer wieder. Also: keinerlei Kooperation mit der AfD.

CDU-Politiker Voigt verweist in der ARD auf eine Aussage von Kanzler Olaf Scholz (SPD), der im August in der Thüringer Allgemeinen gesagt hatte: "Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt." Wenn die AfD am Ende also dafür sorge, dass ein Antrag einer anderen Partei eine Mehrheit bekomme, dann sei das "doch keine Zusammenarbeit", schließt Voigt.

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Die Empörung nach dem Merz-Interview war groß, jetzt scheint man sich darauf geeinigt zu haben: Es gibt keine Zusammenarbeit zwischen AfD und CDU auf lokaler Ebene. Tatsächlich? Mal hören, was man in Sachsen dazu sagt.

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In Thüringen ist es nicht das erste Mal, dass sich Christdemokraten und Rechtspopulisten einig sind und mit ihren Stimmen zusammen Tatsachen schaffen. Bereits im November vergangenen Jahres haben sich die beiden Parteien mit einem Antrag erfolgreich gegen gendergerechte Sprache eingesetzt. Landtag, Landesregierung, Behörden, Schulen und Hochschulen in Thüringen dürfen demnach in ihrer öffentlichen Kommunikation nicht gendern. Ein Erfolg für CDU und AfD.

Welche Rolle spielt die FDP?

Laut Parteichef Christian Lindner spielt die FDP in dem Fall keine Rolle. "Jetzt wollen wir Ursache und Wirkung nicht verwechseln", sagte der Bundesfinanzminister der Augsburger Allgemeinen. Es sei ein Antrag der CDU-Landtagsfraktion gewesen. "Deshalb ist das jetzt die Verantwortung der CDU."

Auch die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, richtet den Hauptvorwurf an die CDU, sieht ihre Partei aber zumindest in der Mitverantwortung: "Bürgerliche Politik muss ohne die AfD gemacht werden. Punkt. Diesen Grundsatz zu vertreten und zu verteidigen, liegt in besonderem Maße in der Verantwortung von Union und der FDP als bürgerlichen Parteien - in Thüringen, wo das heute nicht funktioniert hat und über Thüringen hinaus", sagt sie in einem Interview mit der ARD.

Wie geht es weiter?

Was das Gesetz zur Grunderwerbsteuer betrifft: Die Landesregierung prüft nun eine Verfassungsklage, wie Finanzministerin Heike Taubert (SPD) ankündigt. Offenbar, weil unklar ist, ob die konkrete Gesetzesänderung überhaupt vom Land beschlossen werden kann und nicht eigentlich beim Bund liegt.

Was die Arbeit im Landtag betrifft: Voigt bekräftigt wie CDU-Chef Merz, dass die CDU bei ihrem Grundsatz bleibe, keine Zusammenarbeit mit der AfD zu suchen. Denn schließlich habe es im aktuellen Fall keine Absprachen vor der Abstimmung gegeben. Die Linke befürchtet dennoch eine Art "kleine Regierung" in der Opposition. Die CDU weist wiederum darauf hin, dass auch Rot-Rot-Grün bereits mit der AfD gestimmt hat: bei einer Änderung der Kommunalordnung und der Änderung eines Untersuchungsausschussauftrags zur Personalpolitik der Regierung.

Klar ist also nur: Die Verhältnisse in Thüringen bleiben kompliziert.

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