Thüringen:Merz rechtfertigt sich, SPD sieht "Tabubruch", Höcke freut sich

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Gemeinsam für eine Steuersenkung abgestimmt: CDU und AfD im Thüringer Landtag. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Gegen den Willen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung in Erfurt setzt die Opposition eine Steuersenkung durch - mit den Stimmen der AfD. Während Union und FDP ihr Abstimmungsverhalten verteidigen, beklagt etwa SPD-Generalsekretär Kühnert eine neue Qualität im deutschen Parlamentarismus.

Die Opposition hat in Thüringen erstmals gegen den Willen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung eine Steuersenkung durchgesetzt. Ein Gesetzentwurf der CDU für eine niedrigere Grunderwerbsteuer bekam am Donnerstag im Landtag in Erfurt eine Mehrheit, weil neben der FDP die AfD die entscheidenden Stimmen beisteuerte.

Die Koalition unter Führung des Linken-Politikers Bodo Ramelow hat seit ihrem Amtsantritt 2020 keine eigene Mehrheit - ihr fehlen vier Stimmen im Parlament. Sie ist bei Entscheidungen stets auf Kompromisse angewiesen, bisher vor allem mit der CDU.

Beschlossen wurde nun mit 46 zu 42 Stimmen eine Senkung der Grunderwerbsteuer. Erbauer von Eigenheimen und Immobilienkäufer müssen danach nur 5,0 statt 6,5 Prozent Steuer zahlen. Der Einnahmeverlust des Landes liegt nach Prognosen bei 48 Millionen Euro jährlich.

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Die CDU-Initiative sorgte für Wirbel und für Fragen bei der politischen Konkurrenz, wie es die größte Oppositionsfraktion im Thüringer Landtag mit der Brandmauer zur AfD halte, die in Thüringen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft ist.

Dass FDP und CDU gemeinsam mit der AfD für die Steuersenkung stimmten, kritisierten Vertreter der Regierungskoalition von Linken, SPD und Grünen als "einzigartigen Vorgang" und, so der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow, als "Pakt mit dem Teufel". Die CDU gebe damit der AfD einen Gestaltungsspielraum und Einfluss auf den Landeshaushalt, sagte Linken-Fraktionschef Steffen Dittes. Die größte Oppositionspartei fange an, "eine kleine Regierungskoalition in der Opposition unter Einschluss der AfD tatsächlich in Gang zu setzen".

Ramelow hatte CDU-Fraktionschef Mario Voigt kurz vor der Abstimmung eingeladen, über Alternativen zur Förderung von Familien zu reden. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken zu Passagen des CDU-Gesetzes wurde die Landtagssitzung zeitweise unterbrochen.

Lindner sieht Verantwortung allein bei der CDU

Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz hatte das Agieren der Thüringer CDU-Fraktion vor der Abstimmung verteidigt. "Wir machen das, was wir in den Landtagen wie auch im Deutschen Bundestag diskutieren, nicht von anderen Fraktionen abhängig", hatte Merz am Donnerstagmorgen im Sender RTL gesagt. Eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es auf Bundes- und Landesebene nicht geben. "Dabei bleibt es auch." Ähnlich argumentierte Voigt, der die Steuersenkung mit Familienförderung beim eigenen Heim und Impulsen für die kriselnde Bauwirtschaft und das Handwerk begründete. "Wir können die Lösung von Problemen nicht davon abhängig machen, dass die falsche Seite mit Zustimmung droht", hatte er wiederholt gesagt.

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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder verteidigt Merz in diesem Punkt. "Ich glaube, da hat er recht", sagte der CSU-Chef bei RTL. Die Senkung der Grunderwerbsteuer habe die Union bereits in mehreren Bundesländern angeregt. "Entlastung für Bürger ist ja nichts Extremes, sondern sinnvoll", so Söder, daher obliege es anderen demokratischen Parteien, derartigen CDU-Anträgen in den Parlamenten zuzustimmen.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner weist eine Mitverantwortung seiner Partei für das gemeinsame Abstimmungsverhalten von CDU, AfD und FDP in Thüringen zurück. "Jetzt wollen wir Ursache und Wirkung nicht verwechseln", sagte der Bundesfinanzminister auf einer Veranstaltung der Augsburger Allgemeinen. Es sei ein Antrag der CDU-Landtagsfraktion gewesen, deshalb sei diese in der Verantwortung. "Dem guten Anliegen, die Grunderwerbsteuer zu senken, damit Menschen leichter Eigentum leichter erwerben können, ist kein Gefallen getan worden", sagte Lindner.

Kevin Kühnert: "Neue Qualität im deutschen Parlamentarismus"

Vertreter von SPD und Grünen sind entsetzt über die Abstimmung in Thüringen. "Das ist eine neue Qualität im deutschen Parlamentarismus, die es so noch nicht gegeben hat", sagt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in der ARD. Die Abstimmung sei kein Unfall gewesen, die CDU habe sich sehenden Auges darauf eingelassen. Katja Mast, die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, sprach, wie der Spiegel berichtet, von einem "Tabubruch". Und Grünen-Bundesgeschäftsführerin Emily Büning beklagt in der ARD eine "drastische Verschiebung", die weit über die Landesgrenzen Thüringens hinauswirke. Merz müsse sich fragen lassen, ob sein Wort noch etwas gelte.

Zufrieden mit der Entscheidung zeigte sich AfD-Fraktionschef Björn Höcke. "Das ist einfach ein guter Tag für Thüringen, das ist pragmatische Politik", sagte Höcke nach der Abstimmung. Seine Fraktion habe bereits 2018 einen ähnlichen Antrag ins Parlament eingebracht, damals sei er abgelehnt worden. Er sei froh, dass die CDU nun "den Mut aufgebracht habe".

AfD-Bundeschefin Alice Weidel sagte, die strikte Abgrenzung der CDU zu ihrer Partei habe sich nun erledigt. "Merz' Brandmauer ist Geschichte - und Thüringen erst der Anfang", schrieb sie auf Twitter, das jetzt X heißt. Es werde "Zeit, dem demokratischen Willen der Bürger überall in Deutschland zu entsprechen".

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