Thüringen:CDU und AfD gemeinsam gegen Gendern

Thüringen: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte: Die CDU war bei der Durchsetzung ihres Antrags auf die Fraktion von AfD-Chef Björn Höcke angewiesen.

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte: Die CDU war bei der Durchsetzung ihres Antrags auf die Fraktion von AfD-Chef Björn Höcke angewiesen.

(Foto: Martin Schutt/dpa)

Landesbehörden in Thüringen sollen künftig keine geschlechtergerechte Sprache mehr verwenden. Das hat der Landtag mit knapper Mehrheit beschlossen - auch weil Christdemokraten und Rechtsextreme sich einig waren.

Von Ulrike Nimz, Leipzig

Zehn Uhr abends ist normalerweise nicht die Zeit, in der Plenardebatten ihren Höhepunkt erreichen. Im Thüringer Landtag aber, dem Parlament ohne feste politische Mehrheiten, laufen die Dinge gern mal ein bisschen anders, manchmal auch aus dem Ruder. Zu später Stunde versanken die Fraktionsränge am Donnerstag in Unmutsbekundungen und Zwischenrufen. Grund war der Tagesordnungspunkt 79, ein Antrag der oppositionellen CDU-Fraktion mit dem eindringlichen Titel "Gendern? Nein Danke! Regeln der deutschen Sprache einhalten - keine politisch motivierte Verfremdung der Sprache!"

Der CDU-Abgeordnete Christoph Zippel, bekennender "Freund des generischen Maskulinums", begründete den Antrag seiner Fraktion damit, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland die "Gendersprache" ablehne. Sie sei eine "willkürliche Kunstsprache", "ein Eliteprojekt einer kleinen Minderheit". "Die Menschen haben ein Recht darauf, dass ihr Parlament und ihre Verwaltung mit ihnen in klarem, verständlichen Deutsch kommuniziert", sagte Zippel und verwies auf Sachsen, wo das CDU-geführte Kultusministerium bereits im vergangenen Jahr den Verzicht auf geschlechterneutrale Sonderzeichen an Schulen durchgesetzt hatte.

Die Linke beklagt Stimmungsmache und einen rechten Kulturkampf

Nun sollen auch in Thüringen der Landtag, die Landesregierung und staatliche Behörden in ihrer Kommunikation auf Sterne, Doppelpunkte und Unterstriche verzichten sowie dafür Sorge tragen, dass dies alsbald auch an Schulen, Hochschulen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gilt.

Bei Linken, SPD und Grünen traf der Vorstoß auf heftigen Widerspruch. Laura Wahl, gleichstellungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, warf der CDU die Übernahme von AfD-Positionen vor. "Dabei zeigt sich immer wieder, dass, wenn man beim rassistischen, wissenschaftsfeindlichen und antifeministischen Original die Positionen kopiert, am Ende nur dieses Original stärkt." Der Linke-Abgeordnete Christian Schaft warf der CDU vor, mit ihrem Antrag Stimmungsmache und einen rechten Kulturkampf zu betreiben.

Schon vor der Abstimmung im Landtag hatten AfD-Fraktion und die vierköpfige parlamentarische Gruppe "Bürger für Thüringen" Unterstützung für das Anliegen der Union signalisiert. "Nach Jahren der Mitläuferei im 'Sprach-Panscher-Sumpf' fällt der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag plötzlich ein, Umfrageergebnisse ernst zu nehmen und unsere Anträge zu kopieren", erklärte Corinna Herold, Sprecherin für Gleichstellung der AfD-Fraktion.

Der Vorstoß der CDU sei ein "Schlag ins Gesicht", sagt die Bildungsgewerkschaft

Am Ende stimmten 38 Abgeordneten für den Antrag, 36 dagegen. Die Thüringer CDU muss sich nun einmal mehr den Vorwurf gefallen lassen, statt Sachpolitik gemeinsame Sache mit der AfD gemacht zu haben. Der Beschluss sei "ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die sich bemühen, inklusiv zu handeln und auch sprachlich niemanden auszugrenzen", erklärte Thomas Hoffmann, stellvertretender Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW in Thüringen, "es ist eine Bevormundung aller im Bildungswesen und im Landesdienst Beschäftigten." Auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) verurteilte den CDU-Antrag. "Wer Journalisten vorschreiben will, wie sie zu schreiben haben, greift in die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Medien ein", sagte Sebastian Scholz, Geschäftsführer des DJV Thüringen.

Seit der Landtagswahl 2019 hat die rot-rot-grüne Regierungskoalition keine Mehrheit im Thüringer Landtag. Was das für Folgen haben kann, zeigte der 5. Februar 2020, als der FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten gekürt wurde. Seither wird gern die Metapher vom "Dammbruch" bemüht, immer dann, wenn sich Unionsfraktion und das Lager um AfD-Chef Björn Höcke inhaltlich näherkommen. Zuletzt war es der sogenannte Windstreit, der an das Trauma rührte. Die CDU wollte gegen den Willen der Landesregierung durchsetzen, dass sich Windräder künftig nur noch einen Kilometer entfernt von Wohnhäusern drehen dürfen. Die AfD bot großmütig Unterstützung an. Am Ende fand man einen Kompromiss, der die ganz großen Schlagzeilen verhinderte.

Wenn nichts dazwischenkommt, wird in Thüringen 2024 ein neuer Landtag gewählt. An den komplizierten politischen Verhältnissen hat sich bislang kaum etwas geändert. Jüngste Umfragen sehen Linke und AfD etwa gleichauf, die CDU kommt nur auf den dritten Platz. Und doch will die einstige Regierungspartei unter dem neuen Partei- und Fraktionschef Mario Voigt an vergangene Erfolge anschließen und Bodo Ramelow (Linke) als Ministerpräsidenten ablösen. Die oft mehr durch Emotionen als Fakten getriebene Debatte um genderneutrale Sprache ist für die Konservativen ein dankbares Wahlkampfthema.

Nach der umstrittenen Abstimmung im Erfurter Landtag gab Mario Voigt sich versöhnlich. Thüringer seien nun einmal "freiheitsliebend und direkt": "Jeder soll so reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. In unseren öffentlichen Einrichtungen soll es aber eine klare und verständliche deutsche Sprache geben." Auf dem Parteitag der sächsischen Union in Schkeuditz hatte das noch anders geklungen. In einem Grußwort geißelte Voigt die Politik der Bundesregierung als "ideologiegetrieben". Man dürfe "die deutsche Sprache nicht so verschandeln, dass sie das Denken verschandelt", sagte er und behauptete: "Da wird aus Oma und Opa Ompa." Sogar in Sachsen bekam er für diesen Schenkelklopfer nur Höflichkeitsapplaus.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusRechtsextremismus
:"Dann wird die Systemfrage gestellt"

Jede Woche gehen im Osten Zehntausende gegen die Politik der Bundesregierung auf die Straße. Nun brennen wieder Flüchtlingsheime. Lagebild aus einem aufgeheizten Teil der Republik.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: