Die mithilfe von CDU, FDP und AfD beschlossene Steuersenkung im Thüringer Landtag sorgt bundesweit weiter für heftigen Streit. Die Staatskanzlei von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) warf vor allem der CDU am Wochenende vor, sie habe mit der AfD gezielt Absprachen getroffen. Die Christdemokraten wiesen die Anschuldigungen erneut zurück. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verteidigte derweil das Abstimmungsverhalten der Liberalen in Erfurt. "Wenn eine demokratische Partei wie die CDU einen Antrag stellt, der zu 100 Prozent den Parteibeschlüssen der FDP entspricht, und wir dem zustimmen, kann man das nur schwer skandalisieren", sagte er den Zeitungen der VRM-Mediengruppe.
Die CDU hatte am Donnerstag im Landtag eine Senkung der Grunderwerbsteuer beim Immobilienkauf durchsetzen können, weil die rechtsextreme AfD, die FDP sowie fraktionslose Abgeordnete ihrem Antrag zustimmten. Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung konnte die Abstimmungsniederlage nicht verhindern, weil sie im Parlament über keine eigene Mehrheit verfügt. Seither gibt es Kritik von und an allen Seiten: an CDU und FDP, weil sie vor einer Unterstützung durch die AfD und deren Fraktionschef Björn Höcke nicht zurückschreckten, und an Ramelows Regierung, weil diese im Vorfeld keinen Einigungsversuch mit den Christdemokraten unternommen hatte. Der AfD-Landesverband Thüringen wird vom dortigen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft und beobachtet.
Der Chef der Erfurter Staatskanzlei, Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), bejahte im Berliner Tagesspiegel die Frage, ob er Hinweise auf konkrete Absprachen der beiden Parteien habe. "CDU, FDP und AfD haben sich am Donnerstag gezielt abgestimmt." Alle drei Parteien hätten gemeinsam dafür gesorgt, dass das Thema Grunderwerbsteuer überhaupt im Landtag behandelt werden könne. Zudem habe die AfD im Vorfeld öffentlich klargestellt, dass sie das Vorhaben unterstützen wird. Christ- und Freidemokraten hätten also gewusst, was sie tun. "Es gibt seit geraumer Zeit Absprachen, die augenfällig sind", sagte Hoff. Thüringens CDU-Generalsekretär Christian Herrgott warf dem Staatskanzleichef daraufhin vor, Lügen zu verbreiten.
In den Meinungsumfragen liegt die Thüringer AfD mit weitem Abstand vorn
Das Verhalten des Thüringer Landesverbands ist allerdings auch in der Bundes-CDU keineswegs unumstritten. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther sprach im ZDF von einer "schwerwiegenden Fehlentscheidung" der Erfurter Parteifreunde. Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz konterte in einem Interview mit den Sendern ProSieben und Sat.1, Günthers Äußerungen stellten eine "Einzelmeinung" dar: "Wir richten uns nicht danach, wer zustimmt, sondern wir richten uns danach, was wir in der Sache für richtig halten". Der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker schrieb im Kurzmitteilungsdienst X (vormals Twitter): "Verstößt das gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU und damit das Ende der ,Brandmauer' zur AfD? Ich finde: Ja, das gestrige Verhalten war falsch." Der stellvertretende Parteivorsitzende Jens Spahn drang dagegen auf ein Ende der Diskussion. "Den größten Gefallen, den man gerade der AfD tun kann, ist, diese Debatte noch drei Wochen so zu führen, dann hat sie noch mal zwei Prozent mehr", sagte er der Frankfurter Rundschau.
Justizminister Buschmann betonte: "Mit der AfD arbeitet man nicht zusammen." Das habe die FDP in Thüringen aber auch nicht getan, sie habe einem CDU-Antrag zugestimmt. "Man kann sich fragen, ob die CDU diesen Antrag hätte stellen sollen. Aber das waren nicht wir", so Buschmann. Es müsse möglich sein, Anträge zur Entlastung der Bürger zu beschließen. "Wer der AfD die Macht gibt, darüber zu bestimmen, worüber man reden und diskutieren darf, macht sie nur stärker."
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Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa liegt die Thüringer AfD in der Wählergunst derzeit mit 32 Prozent klar in Front. Auf den Plätzen zwei und drei folgen mit 22 beziehungsweise 21 Prozent die Linke und die CDU. Die SPD verharrt bei zehn, die Grünen legen um einen Punkt auf sechs Prozent zu. Die FDP würde mit vier Prozent den Wiedereinzug in den Landtag verpassen.
Sollte die Landtagswahl im kommenden Jahr tatsächlich so ausgehen, stünde insbesondere die CDU vor einem Dilemma: Sie bräuchte für eine parlamentarische Mehrheit entweder die AfD oder die Linke - zwei Parteien, mit denen sie erklärtermaßen nicht koalieren will. Rot-Rot-Grün hätte dagegen zusammen nur 38 Prozent, selbst eine Koalition von CDU, SPD und Grünen läge in Thüringen nur bei 37 Prozent.