CSU und Freie Wähler in Bayern:Eine stark abgekühlte Koalitionsliebe

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Richtig gute politische Freunde? Markus Söder (li.) und Hubert Aiwanger, nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen im Jahr 2018. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

SZ-Leser analysieren die Landtagswahl, deuten die "Flugblattaffäre" als wichtigen Faktor und sehen ein paar Probleme auf Markus Söder zukommen.

"Große Freude bei den Freien Wählern", Reportage "Wo weder Bitten hilft noch Flehen" und Kommentar "Abrechnung folgt" vom 9. Oktober:

Söders strategischer Fehlgriff

In der SZ vom 11. Oktober ist zu lesen, dass Markus Söder von den Freien Wählern bei der ersten Sondierung ein Bekenntnis verlangt, ob die FW "fest im demokratischen Spektrum verankert" seien. Ernsthaft jetzt? Ein Ministerpräsident, der vor Monaten in einer strategischen Entscheidung, deren Klugheit sich nicht unmittelbar erschließt, einem gnadenlosen Populisten Narrenfreiheit (der Begriff ist bewusst gewählt) gewährt hat, will jetzt vor den Koalitionsverhandlungen wissen, ob das ein lupenreiner Demokrat ist?

Es mag naiv von mir sein, aber mein Verständnis eines verantwortungsbewussten Regierungschefs wäre, dass eine Partei, bei der ich in dieser Hinsicht auch nur die leisesten Zweifel hege, als zukünftiger Teil der Regierung von vorneherein ausgeschlossen ist.

Im Übrigen scheint es außerdem so zu sein, dass diejenigen CDU-Ministerpräsidenten, die ihre Politik klar in der Mitte positionieren, anstatt am rechten Rand fischen zu wollen, in der Gunst der Wähler deutlich besser ankommen.

Monika Gamperling, Friedberg

Fragwürdiger Ideengeber

Auch nach der Landtagswahl bleibt in der bayerischen Politik Hubert Aiwanger das Problem Nummer eins. Dieser Mann, der als Erwachsener seit August 2023 seinen wahren Charakter zeigt, hat in der Regierung nichts verloren. Es wird einem übel, wenn man liest, dass er - wie er sagt - mit seiner Partei Ideengeber (!) und Akzentsetzer sei.

Dr. Jürgen Harbich, Feldkirchen-Westerham

Aiwanger überschätzt sich

37 Prozent für die CSU sind nicht schlecht in Anbetracht der allgemeinen Zerfaserung der Parteienlandschaft. Der Zuwachs der Freien Wähler ist beeindruckend und Hubert Aiwanger wird jetzt mit breit geschwellter Brust Forderungen an die CSU stellen. Er sollte aber verschiedene Punkte beachten, bevor er zu fordernd auftritt. Erstens verdanken die FW ihren Zuwachs zum größten Teil der "Wahlhilfe" durch die SZ. Dieser Effekt wird nicht von Dauer sein.

Zweitens deckt eine größer gewordene FW-Partei ein weiteres Spektrum an politischen Meinungen ab als bisher. Es werden Flügelkämpfe entstehen zwischen eher "beigen" und eher liberalen, bürgerlichen Mitgliedern.

Drittens wird Aiwanger seine Popularität außerhalb Bayerns überschätzen und auf eine gefährliche bundesweit organisierte Ausweitung abstellen. Dort kann er aber nur Stimmen einfangen, wenn er sich als die bessere Alternative zur AfD darstellt, was wiederum Konflikte mit dem liberalen, regional verwurzelten Flügel der Partei hervorrufen wird.

Kurzum, der zukünftige Erfolg der Freien Wähler unter Hubert Aiwanger ist keineswegs ausgemachte Sache. Für die CSU kommt es jetzt darauf an, mit kühlem Kopf und strategischem Denken die Auseinandersetzung mit einer kraftstrotzenden Freie-Wähler-Partei zu führen.

Werner Geissler, München

Der Politiker-Cleverness unterlegen

Für mich als Jahrzehnte langer Abonnent der SZ ist es diesmal besonders interessant, wie die Redakteure versuchen, ihr gigantisches Eigentor, die Flugblattaffäre Aiwanger, als Erfolg zu verkaufen. Natürlich muss als Erster Söder herhalten, er habe ja so viel verloren, heißt es. Inzwischen sind es aber nur mehr 0,2 Prozent.

Was von den betreffenden Redakteuren als Bombe vor der Wahl geplant war, war ein gewaltiger Rohrkrepierer, der zu großen Verlusten bei den Grünen, Roten und Gelben geführt hat. Man hat das bayerische Naturell gründlich verkannt: Das "Jetzt erst Recht-Gefühl", das gegen die rot-grüne Meinungsmache der SZ geweckt wurde, hat zu einem fulminanten Erfolg der Freien Wähler geführt. Mit den nun bekannten Folgen: Die SPD ist eine Splitterpartei, die FDP aus dem Landtag verschwunden, und selbst die Grünen haben mit mehr als drei Prozentpunkten minus deutlich verloren. Insoweit hat sich die SZ als Steigbügelhalterin der Freien Wähler erwiesen, und so rächt sich eben der massive Versuch einer Wahlkampfbeeinflussung.

Interessanter wäre gewesen, die Flugblattaffäre erst nach der Wahl zu veröffentlichen. Aber man wollte ja die Wahl beeinflussen und hat gründlich gegen die Cleverness der Zielpersonen Aiwanger und Söder verloren.

Dr. Rainald Meier, Tutzing

Anm. d. Red.: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung war nicht "geplant"; die Redaktion erfuhr Anfang August vom Flugblatt, sie hat intensiv dazu recherchiert, Aiwanger konfrontiert damit - und umgehend berichtet. Damit bis nach der Wahl zu warten, verbietet sich, weil die Redaktion dadurch die distanzierte Berichterstatterrolle verlassen hätte und zur Akteurin geworden wäre.

Erfolgreiche Täter-Opfer-Umkehr

Es ist erschreckend, wie Aiwanger es geschafft hat, mit seiner Täter-Opfer-Umkehr in den Bierzelten im Wahlkampf in Bayern einen Riesenerfolg am Wahltag für die Freien Wähler einzufahren. Er wurde letztlich dafür gefeiert, dass nun bekannt wurde, dass er mit 17 Jahren mutmaßlich ein überzeugter Nazi war. Statt sich davon zu distanzieren und sein Verhalten in der Jugend als schweren Fehler zu bezeichnen, spielt er die Rolle als Opfer, das vernichtet werden soll. Mit seinem Auftritt in Erding, wo er forderte, das Volk müsse sich die Demokratie zurückholen, machte er die AfD salonfähig. Söder und Merz haben mit ihrer Hetze im Wahlkampf die Wähler animiert, das Original AfD zu wählen, die nun in Bayern und Hessen die Opposition anführen kann. In Thüringen bereitet die CDU durch Verabschiedung respektive Einbringung eines Gesetzentwurfs gemeinsam mit der AfD eine CDU-Minderheitsregierung, die sich von der AfD tolerieren lässt, vor. Das schlägt ausgerechnet der Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission Rödder vor.

Haben CDU/CSU und Freie Wähler nichts aus der Geschichte gelernt? Ist es so schwer zu erkennen, dass die AfD die demokratischen Rechte nutzt, um die Demokratie abzuschaffen? Von einer sich christlich nennenden Partei erwarte ich, dass sie gerade in Zeiten schwerer Krisen (Überfall Putins auf die Ukraine, Krieg in Israel, Energiekrise, Klimawandel) ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht wird.

Winfried Wolf, Hamburg

Fünf Ministerien

Die FW haben circa 30 Prozent der Gesamtstimmen der Koalition, macht nach Adam Riese circa fünf Ministerien für Aiwanger. Die wird er wohl mit Recht einfordern.

Gert Maschek, Sengenthal

Erlahmende Demokratie

Rund doppelt so viele Menschen, wie München Einwohner hat, sind in Bayern nicht zur Wahl gegangen. Mehr als drei Millionen Menschen. Das muss man sich mal vorstellen, und darüber sollte mal geredet werden.

Reiner Dunkl, München

Solidarisierungseffekt

Der Schuss gegen Aiwanger und seine Freien ist offensichtlich nach hinten losgegangen. Im Landkreis Traunstein haben die FW beim Direktkandidaten den Stimmenanteil fast verdoppelt. Offenbar hat die SZ als Großstadtzeitung ignoriert, dass es auf dem Land häufig keine SPD-Gemeinderäte mehr gibt. Die Freien haben neben den Grünen diese Nische besetzt. Über den von der SZ verursachten falschen Eindruck, die Freien Wähler stünden alle rechts von der CSU, waren viele entsetzt und haben sich solidarisiert, auch wenn sie vorher noch nie FW gewählt haben. Mir jedenfalls sind die Freien Wähler als zweitstärkste Partei lieber als die AfD. Und die Grünen haben als viertstärkste einen Denkzettel erhalten, der dazu führen könnte, ihre Bundespolitik zu überdenken.

Hans Rentz, Waging am See

Söder setzt aufs falsche Pferd

"Jedes bayrische Dorf hat mehr Verstand wie das Berliner Regierungsviertel", tönte Ministerpräsident Markus Söder im Wahlkampf lautstark in den Bierzelten und Promillehochburgen des Freistaats. Und wie schaut es mit seinem Verstand aus? Sich schon im Vorfeld bedingungslos an die Freien Wähler und dessen irrlichternden Vorsitzenden zu ketten, war ein schwerer strategischer Fehler, der einem ausgebufften Politprofi wie ihm nicht hätte passieren dürfen. Er, der sich vor vier Jahren noch für Bienen stark machte und Blühstreifen aussäte, hätte sich wenigstens die Option offenhalten können, mit den Grünen nach der Wahl Koalitionsgespräche zu führen. Stattdessen hat er eine Partei der demokratischen Mitte hetzerisch in Grund und Boden geredet. Damit bescherte er nicht nur dem rechten Rand noch weiteren Zulauf. Er hält die Koalition des politischen Stillstands mit den zu AfD-Light mutierten Freien Wählern jetzt fünf weitere Jahre am Leben. Dabei haben sechs andere Bundesländer (inklusive Hessen) bereits vorgemacht, dass eine Zusammenarbeit der Union mit den Ökos sehr wohl funktioniert.

Fazit: Es gibt Menschen, die sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen. Markus Söder hat gleich den ganzen Baum gefällt, den er vor nicht allzu langer Zeit noch umarmte.

Manfred Jagoda, Ismaning

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