Leserbriefe:Wer ist schuld am Rechtsrutsch?

Lesezeit: 5 min

SZ-Zeichnung: Denis Metz (Foto: Denis Metz)

Landtagswahlen in Bayern und Hessen: Leser sehen Verantwortung bei der FDP, die gegen die eigene Regierungsarbeit schießt - teils aber auch bei Union, SPD und Freien Wählern.

"Es war einmal: eine linke Mehrheit" vom 11. Oktober, "Aufräumen nach der Landtagswahl", "Ampel sucht Gründe für die Niederlage", "Verzicht muss man sich leisten können", alles vom 10. Oktober, sowie "CSU und CDU vorn, Ampelparteien stürzen ab" vom 9. Oktober:

Destruktive FDP-Regierungsarbeit

Die Wähler haben emotional abgestimmt und sind den populistischen Marktschreiern und ihrem Lieblingsthema "Migration" gefolgt. Im wärmsten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnung scheint das Thema "Erhalt der Lebensbedingungen für kommende Generationen" den Menschen in den beiden Bundesländern nicht wichtig zu sein. Die AfD hat es geschafft, dass alle anderen Themen verblasst sind.

Der Grund liegt vor allem in der Arbeit der FDP in den letzten zwei Jahren: Sie hat durch ihr ständiges Querschießen in der Arbeit der Koalition, ihre massive Selbstüberschätzung bezüglich der Akzeptanz ihrer Positionen und durch die damit verbundene kommunikative Selbstdemontage der Regierungsarbeit das Feld für massive Kritik und Lächerlich-Machen der Ampelarbeit durch entsprechende Medien bereitet. Und damit hat sie die Ampelparteien quasi "unwählbar" gemacht - der Rechtsruck ist die Folge. Jetzt ist diese kleine Splitterpartei zumindest aus einem der Landtage herausgeflogen. Wenn es nicht schon zu spät ist, dann ist es jetzt höchste Zeit, dass die FDP kleine Brötchen in der Koalition bäckt, denn ihre Positionen haben keinen Rückhalt in der Bevölkerung, und sie machen die faktisch gute Arbeit der bürgerlichen Parteien SPD und Grüne kaputt - und bereiten so den Boden für mehr und mehr rechtsextreme Positionen in Landtagen und in der Gesellschaft.

Anette Nierhoff, Bochum

Lindner hat AfD gestärkt

Die Ampel erhielt in Bayern und Hessen die Quittung dafür, dass sie sich selbst geschadet hat. Der Entwurf für die Kindergrundsicherung wurde von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) verzögert und stark verwässert, ebenso das Heizungsgesetz. Durch das wochenlange öffentlichkeitswirksame An-der-Nase-Herumführen der Grünen wollte Lindner die Wahlchancen für die FDP erhöhen. Er erhöhte jedoch, da er den Unmut über den Staat schürte, primär die Wahlchancen der AfD. Vernünftiger und auch förderlicher für die FDP wäre es gewesen, hätte die FDP am Gelingen der Koalition konstruktiv und geräuscharm mitgewirkt. Denn gutes Zusammenarbeiten heißt sich gegenseitig erfolgreich machen.

Wolfgang Maucksch, Herrieden

Ampel-Niederlage hat Gründe

Mit normalem Menschenverstand fallen Bürgerinnen und Bürgern, falls sie gehört würden, sofort Gründe für die Niederlage der Ampel ein, ohne dafür Finderlohn für die erfolgreiche Suche zu beanspruchen: die Migrationspolitik, die Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln (Inflation), der Verzicht auf eine Vermögensteuer (Steuergerechtigkeit), nicht durchdachte Gesetzesvorstöße (zum Beispiel Heizung), Wohnungsmangel und hohe Mieten, Armut, anhaltende Defizite im Bildungssektor (Lehrermangel, Jugendliche ohne Schulabschluss), kaputte Infrastruktur (Bahn, Brücken, Straßen, öffentliche Gebäude), Gendern und eine Missachtung der Befindlichkeit von Menschen (Zukunftsangst).

Rolf Sintram, Lübeck

Anbiedern nach rechts hilft nicht

Kostenlose Kitaplätze, bezahlbares Wohnen und kein billiger Populismus: Das waren nach meinem Empfinden die Kernthemen der Bayern-SPD bei den Landtagswahlen, während CSU, FW und AfD eigentlich nur auf "Berlin" schimpften und vor allem auch hetzten. Das "Flüchtlingsthema" war das alles bestimmende Thema. Ich frage mich allerdings, warum keiner bei der SPD auf die naheliegende Idee kam, den Menschen Folgendes mitzuteilen: "Das Heizungsgesetz, die Politik der Ampel und das Flüchtlingsthema haben mit Landespolitik nichts zu tun. Es gibt hier wenig bis keinen Gestaltungsspielraum."

Stattdessen wird nun festgestellt, dass man nun auch dem "Volk aufs Maul schauen" müsse. Anders kann ich die Aussagen führender Sozialdemokraten nicht werten. Kernthemen der SPD (Solidarität mit Schwachen/Umweltschutz) werden zugunsten eines Anbiederns an die rechte Mehrheit noch weiter preisgegeben.

Thomas Zachmayer, München

Medien tragen Mitschuld

Die Wahlen in Hessen und Bayern haben deutlich gezeigt, dass eine große Koalition aus Union, FDP, AfD und den meisten großen Medienhäusern wie Springer, Ippen, Funke und Co. erfolgreich den Fokus der Bürger darauf gelenkt hat, alles zu verteufeln, was den gemütlichen Status quo auch nur ansatzweise infrage stellt.

Es scheint, als würde jede noch so kleine Anstrengung der Grünen und anderer Bürger, den Klimaschutz voranzutreiben, als gleichbedeutend mit einer grünen Diktatur dargestellt. Diese Haltung geht sogar so weit, dass friedliche Bürger präventiv ins Gefängnis gesteckt werden, als wären sie eine Bedrohung für unsere Demokratie.

Solange die großen Medienhäuser mit ihrer enormen Reichweite in Print, TV, Radio und Social Media über grüne Politik ausschließlich negativ berichten, als wäre sie Teufelszeug, obwohl sie nur versucht, das absolut Notwendige umzusetzen, um unseren Enkeln ein lebenswertes Deutschland zu hinterlassen, werden Populisten in der Politik leichtes Spiel haben, die Wähler weiter aufzuhetzen. Die Medien tragen somit eine erhebliche Mitschuld daran, dass rechtsextreme und nationalistische Parteien in Deutschland so stark werden, dass eine Wiederholung von 1933 nicht ausgeschlossen scheint.

Es ist höchste Zeit, dass die Medien ihre Verantwortung erkennen und eine ausgewogene Berichterstattung über die Politik liefern, die nötig ist, unsere Gesellschaft auf den Pfad zu bringen, der als nachhaltig zu bezeichnen ist. Nur so können wir verhindern, dass Populisten weiterhin von der Unzufriedenheit der Bürger profitieren und unsere Demokratie gefährden. Es liegt an uns allen, eine lebenswerte Zukunft für kommende Generationen zu sichern.

Stefan Bluemer, Essen

Populistische Migrationsdebatte

Die AfD und die Freien Wähler haben nun geerntet, was Merz, Söder und Aiwanger gesät haben. Sicher: Politik und vor allem die offen ausgetragenen Konflikte der Ampel sind oft mehr als unglücklich. Letztlich war es aber vor allem die Wahlkampf-"Strategie" der Union, die die AfD in Bayern und auch in Hessen so gestärkt hat. Statt sich ernsthaft mit den Problemen dieses Landes auseinanderzusetzen und kreative Lösungsansätze anzubieten, wurden emotionale und populistische Scheindebatten losgetreten, zuerst mit der verlogenen Kampagne gegen das Heizungsgesetz, dann mit dem - weitgehend unter tätiger Mithilfe der Union selbst geschaffenen - "Migrationsproblem".

Dabei ist die Zahl der Asylsuchenden noch nicht einmal so hoch wie 2015; die Aufnahmekapazitäten sind aber vielerorts erschöpft, da Deutschland (richtigerweise) auch eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen hat, die Länder jedoch kurzsichtiger Weise nicht rechtzeitig vom Abbau der Kapazitäten auf deren Aufbau umgeschaltet haben.

Das wahre Problem ist hier aber, dass nach dem Flüchtlingszustrom 2015 immer nur davon geredet wurde, dass sich "2015 nicht wiederholen" dürfe, in Wahrheit aber nichts an der Politik geändert wurde - weder was die Bekämpfung von Fluchtursachen angeht, noch beim Aufbau besserer Kapazitäten und Fähigkeiten zur Aufnahme von Flüchtlingen und schnelleren Bearbeitung von Asylanträgen. Stattdessen wurde - wie vor 2015 - auf Abschottung gesetzt und den EU-Staaten am Mittelmeer die notwendige Solidarität verweigert.

Und den Unionsspitzen fällt nichts Besseres ein, als erneut eine Politik zu fordern, die ja nicht nur schon 2015 krachend gescheitert ist, sondern in Wahrheit auch nie ganz beendet wurde. Die stationären Grenzkontrollen an der Grenze zu Österreich haben effektiv nichts gebracht außer mehr Staus. Das wird bei Kontrollen an anderen Grenzen auch nicht anders sein, zumal eine Rückweisung nur in Ausnahmefällen möglich ist.

Andererseits wäre die deutsche Wirtschaft dringend auf mehr Zuwanderung angewiesen, doch die Union wehrt sich mit Händen und Füßen gegen jeden Ansatz des Bürokratieabbaus in diesem Bereich. Und statt der destruktiven AfD gemeinsam entschieden entgegenzutreten, werden die bekämpft, die sich zumindest um Lösungen der multiplen Probleme des Landes in Sachen Wirtschaft, Energie, Klimawandel und Innovation bemühen.

Willkommen in der Weimarer Republik von 1932, als das Zentrum, die Vorgängerpartei der CSU, zum Steigbügelhalter der Nazis wurde.

Michael Ecker, Ravensburg

Wehret den Anfängen

Erich Kästner hat 1958 in Hamburg gesagt: "Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf."

1928 hatte die NSDAP 2,6 Prozent der Stimmen bei den Reichstagswahlen errungen, 1930 waren es dann 18,3 Prozent, und so ging es weiter. Die Nazi-Höcke-AfD kam nun auf 16 bis 18 Prozent. Sie wurde hinter der Union zweitstärkste Kraft in Hessen. Bürgerliche hatten versucht, sie rechts zu überholen. Aiwanger wurde trotz Naziflugblatt-Affäre direkt gewählt. Der Schneeball wird zur Lawine - treten wir ihn aus.

Ulrich Sander, Dortmund

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion, sie dürfen gekürzt und in allen Ausgaben und Kanälen der Süddeutschen Zeitung , gedruckt wie digital, veröffentlicht werden, stets unter Angabe von Vor- und Nachname und dem Wohnort. Schreiben Sie Ihre Beiträge unter Bezugnahme auf die jeweiligen SZ-Artikel an forum@sz.de . Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Postalisch erreichen Sie uns unter Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserdialog, Hultschiner Str. 8, 81677 München, per Fax unter 089/2183-8530.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: