Befristung:Der SPD-Vorstoß gegen befristete Verträge ist scheinheilig

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Kommen und Gehen: Gut vier von zehn Neueinstellungen in Deutschland sind befristet. (Foto: Reuters)

Ein Job auf Zeit gibt Jugendlichen zu wenig Sicherheit, schimpfen die Sozialdemokraten. Sie wollen die Wirtschaft maßregeln. Dabei ist der Staat Befristungsmeister.

Kommentar von Henrike Roßbach

Wenn nach Überschriften gesucht wird, um eine bestimmte Generation zu beschreiben, fällt beim Blick auf die jungen Erwachsenen häufig der Begriff der Unverbindlichkeit. Online-Dating über Tinder statt fester Beziehung, "Mal sehen" statt "Ich bin dabei", Weltenbummeln statt Kinderkriegen, Projektarbeit statt fester Job, Teilen statt Kaufen.

Manche dieser Verhaltensmuster haben ihren Ausgangspunkt in der digitalisierten Gegenwart. Ein dicker Brocken aber, der vielen jungen Leuten den Weg zu finalen Lebensentscheidungen und einem verbindlicheren Lebensentwurf versperrt, stammt aus Mitte der Achtzigerjahre und damit aus den Tiefen der analogen Arbeitswelt: die sachgrundlose Befristung.

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Das klingt nicht nur hässlich, sondern fühlt sich für viele, die es trifft, auch so an. Von zehn Neueinstellungen in Deutschland sind derzeit gut vier befristet. Ein Unding, findet die SPD und will zumindest der Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund in den Koalitionsverhandlungen ein Ende bereiten. Das klingt überaus ehrenwert. Und ist doch scheinheilig.

Vor allem Berufseinsteiger werden befristet eingestellt

Ja, ein Zwölfmonatsvertrag führt, wenn Paare auf dem Ikea-Sofa der WG sitzen, wohl eher nicht zu ernsthaften Unterhaltungen darüber, wie viele Kinderzimmer die neue, gemeinsame Wohnung haben soll. Doch so unerfreulich eine solche Bremse für den Start ins Leben jenseits von Hörsaal oder Berufsschule ist: Ein Massenphänomen auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind befristete Arbeitsverträge nicht.

Insgesamt sind nur 8,5 Prozent der Arbeitnehmer befristet beschäftigt. Und von denen, die es sind, hätte es nur ein gutes Drittel gerne anders. Der Rest befindet sich zum Großteil in der Probezeit oder in einer Ausbildung, und eine kleine Gruppe hat bewusst einen endlichen Vertrag gewählt.

Wenn die Sozialdemokraten nun auf die Arbeitgeber zeigen, die der Jugend den Eintritt ins Arbeitsleben und damit irgendwie auch ins richtige Leben verbauen, dann ist das vor allem deshalb frech, weil der Arbeitgeber, der das besonders gerne tut, der Staat ist. Im öffentlichen Dienst sind fast elf Prozent aller Beschäftigten befristet angestellt; am gravierendsten ist die Lage in der Wissenschaft mit - je nach Statistik - bis zu 44 Prozent befristeten Arbeitnehmern.

Auch bei den Neueinstellungen gibt es nirgends so viele befristete Verträge wie in der öffentlichen Verwaltung, in Wissenschaft, Bildung und Erziehung. Eine besondere Spielart ist die Entlassung von Lehrern vor den Sommerferien, um sie danach wieder einzustellen. Spitzenreiter im öffentlichen Dienst sind in Sachen Befristung übrigens die Länder, von denen bekanntermaßen das ein oder andere sozialdemokratisch regiert ist.

Im Einflussbereich der öffentlichen Hand sind befristete Verträge deshalb so einfach durchzusetzen, weil der Gesetzgeber sich selbst eine Klausel gönnt, die der Privatwirtschaft verwehrt ist. Das Zauberwort heißt "Haushaltsbefristung". Weil der Staat nie weiß, wie viel Geld er demnächst zur Verfügung haben wird, darf er seine Mitarbeiter nach Kassenlage befristet einstellen. In der Wissenschaft funktioniert es ähnlich, heißt aber Wissenschaftszeitvertragsgesetz.

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Dass Unternehmen gleichfalls oft nicht wissen, wie die Auftragslage im übernächsten Jahr sein wird, ist zwar eine naheliegende Analogie, nutzt ihnen aber nichts. Für sie gibt es keine Haushaltsbefristung, um auf wirtschaftliche Unwägbarkeiten reagieren zu können, nur die sachgrundlose. Und die möchte die SPD verbieten. Der Treppenwitz ist: Ausgerechnet im öffentlichen Dienst, wo ja schon ein Befristungshintertürchen existiert, steigt zusätzlich der Anteil sachgrundlos befristeter Verträge. Sie gelten als rechtssicherer.

Die nächste Regierung muss vor der eigenen Tür kehren

Man kann über vieles streiten. Etwa darüber, welchem Chef allen Ernstes sechs Monate Probezeit nicht reichen, um sich von der Fähigkeit oder Unfähigkeit eines Mitarbeiters zu überzeugen. Oder darüber, ob es nicht ziemlich dumm ist, in Zeiten des Fachkräftemangels überhaupt irgendjemanden mit solider Ausbildung nicht dauerhaft binden zu wollen. Streiten aber sollte man, bitte schön, mit offenem Visier und nicht bloß mit ausgestrecktem Zeigefinger. Sonst wird's peinlich.

Es ist ja schön, dass die SPD die Jugend noch nicht völlig vergessen hat. Aber der Feldzug gegen die befristeten Arbeitsverträge alleine macht sie noch lange nicht zum Anwalt der Jungen. Er bleibt ein armseliges Projekt, wenn die nächste Regierung nicht auch vor der eigenen Tür kehrt - und wenn sie gleichzeitig Rentenpakete schnürt, die ausgerechnet die Jungen noch teuer zu stehen kommen könnten.

© SZ vom 24.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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