Prozess in Traunstein:Ein kleiner Ton aus der Einkaufstasche

Lesezeit: 3 min

Die Angeklagte im Landgericht Traunstein. (Foto: Matthias Köpf)

Eine 27-Jährige steht vor Gericht, weil sie im März ihr Neugeborenes auf einem Rosenheimer Hinterhof ausgesetzt haben soll. Der Fall hat viele Menschen in der Region erschüttert, nun richtet das RoMed-Klinikum eine Babyklappe ein.

Von Matthias Köpf, Traunstein

Von ihrer Wohnung in die Klinik wären es wohl gute 20 Minuten gewesen, eine halbe Stunde höchstens, einfach zu Fuß Richtung Innenstadt. Die Frau hat an jenem Morgen im März aber einen anderen Weg durch Rosenheim genommen, Richtung Bahnhof und dann in diesen Hof hinter einem Hotel. Dort bei den abgestellten Autos hat sie das Bündel zurückgelassen. Eine dunkle Einkaufstasche aus Kunststoff mit einem großen hellen Schal darin, und eingewickelt in diesen Schal und in ein weißes Taufkleid ihre kleine Tochter.

Sie hatte das Mädchen ein paar Stunden zuvor zur Welt gebracht und die Nabelschnur mit einer Schere durchtrennt, irgendwann am sehr späten Abend, allein in ihrer Wohnung. Als "vermüllt und verwahrlost" beschreibt der Staatsanwalt vor dem Landgericht Traunstein diese Wohnung, unhygienisch und zu kalt für eine Geburt. Doch das Kind hat überlebt, zum Glück auch für seine Mutter. Die muss sich vor Gericht nun nur wegen Aussetzung und gefährlicher Köperverletzung verantworten.

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Der Fall hat die Rosenheimer entsetzt, auch weil erst drei Monate zuvor hinter einem Holzstoß auf einem Wandererparkplatz in der Nähe von Ruhpolding im Landkreis Traunstein ein offenbar gewaltsam getötetes Neugeborenes gefunden worden war. Die Polizei ermittelt in dem Fall weiterhin, hat aber bisher keine Spur von den Tätern oder auch nur den Eltern jenes kleinen Jungen. In Rosenheim, wo sie unter anderem Spürhunde einsetzte und Aufzeichnungen etlicher Videokameras in der Stadt auswertete, war die Polizei erfolgreicher.

Wenige Tage, nachdem das Mädchen im Hinterhof des Hotels gefunden worden war, nahmen Zivilfahnder die Frau fest, die nun als Angeklagte im Landgericht Traunstein sitzt. Ihr Verteidiger trägt eine kurze Erklärung vor, mit der die 27-Jährige einräumt, spätabends ganz alleine ihre Tochter geboren und sie am Morgen danach hinter dem Hotel ausgesetzt zu haben. Sie habe noch gewartet, bis sie dort ein Geräusch gehört habe und damit rechnen konnte, dass das Kind gleich gefunden wird, trägt der Verteidiger vor, während der Staatsanwalt die Situation als "Ablegen - zack weiter" beschreibt und sich dabei auf Videoaufzeichnungen stützt.

Eine Außendienstlerin, die in dem Hotel übernachtet und kurz zuvor schon die ersten Koffer zu ihrem Auto gebracht hatte, entdeckte das Kind bei ihrem zweiten Gang mit dem restlichen Gepäck. "Einen kleinen Ton" habe sie an diesem sehr stürmischen Morgen aus der schwarzen Tasche gehört, und dann noch mal einen, sagt sie als Zeugin vor Gericht. Sonst hätte sie kaum in die Tasche geschaut. So aber lief sie schnell ins Hotel, holte Hilfe, und der Rettungswagen, der Notarzt, der Kindernotarzt und die Polizei waren dann schnell zur Stelle. Das Gericht müht sich bei den entsprechenden Zeugen um ein klares Bild, in welchem genauen Zustand der Säugling da war und ob die Köpertemperatur des Kindes tatsächlich schon so niedrig gewesen ist, wie es der Staatsanwalt vorgetragen hat.

Viel wird auf die Sachverständigen ankommen

Da wird es auch auf die Sachverständigen ankommen, die das Gericht an den weiteren drei Verhandlungstagen bis zu einem möglichen Urteil in der kommenden Woche hören will. Auch über die näheren Verhältnisse und über den damaligen körperlichen und seelischen Zustand der Mutter werden wohl Sachverständige Auskunft geben müssen. Seine Mandantin, die zu der Zeit als Filialleiterin in einem Supermarkt gearbeitet hat, bedauere die Tat zutiefst, sagt der Verteidiger. Sie habe niemandem von ihrer Schwangerschaft erzählt und sei völlig überfordert gewesen, habe keinen anderen Ausweg aus ihrer verzweifelten Situation gewusst und "Angst vor den Reaktionen der Leute" gehabt.

Denn die Frau habe schon zwei Kinder zur Welt gebracht und sie nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Von diesen Kindern habe in ihrem Umfeld doch gar niemand etwas gewusst, merkt die Vorsitzende Richterin an, sondern nur Mitarbeiter in Jugendämtern und Klinikpersonal mit Schweigepflicht. Aus polizeilichen Vernehmungsprotokollen wird klar, dass die Schwangerschaft ungewollt war und der damalige Freund der Frau nicht der Vater des Kindes ist. Irgendwelche Fragen zu beantworten, dazu ist die Angeklagte nach Angaben ihres Verteidigers nicht in der Lage.

An einen möglichen Ausweg allerdings will die Frau laut der Erklärung ihres Anwalts durchaus gedacht haben. Sie habe noch am Nachmittag vor der Geburt im Internet nach einer Babyklappe gesucht, in der sie das Kind anonym ablegen könnte - doch eine solche Babyklappe habe es in und um Rosenheim nicht gegeben. In wenigen Wochen soll es sie geben, als Reaktion auf genau diesen Fall und an genau jener Klinik, die gar nicht so weit von der Wohnung der Frau entfernt in der Rosenheimer Innenstadt liegt.

Voraussichtlich im November werde die Babyklappe einsatzbereit sein, heißt es vom RoMed-Klinikverbund. Eingerichtet werde sie im Erdgeschoss des Ostflügels, "gut abgeschirmt vom Besucherverkehr und mit Sichtschutz zu den benachbarten Gebäuden". Werde ein Neugeborenes darin abgelegt, laufe drei Minuten später der Alarm auf den Mobiltelefonen der diensthabenden Ärzte auf der durchgängig besetzten Kinderintensivstation auf. Bayernweit gibt es nur rund ein Dutzend solcher Babyklappen, die allererste im südöstlichen Oberbayern wurde erst im Juni dieses Jahres am Klinikum in Traunstein eingerichtet - dies als Reaktion auf den Fund des toten Säuglings bei Ruhpolding.

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