Politischer Gillamoos:Schulz kann besser Bierzelt als TV

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Bei seinem Auftritt auf dem Gillamoos-Volksfest bringt der SPD-Kanzlerkandidat die Themen unter, für die im Fernsehduell kein Platz war.

Von Elisa Britzelmeier, Abensberg

Es kann nicht viel Schlaf gewesen sein für Martin Schulz in der vergangenen Nacht. Gestern Abend stand er noch mit Angela Merkel in Berlin im Fernsehstudio, zum TV-Duell, das für viele mehr ein Duett war. Und nun läuft er in Niederbayern im Bierzelt auf, zum politischen Frühschoppen auf dem Gillamoos. Nebenan reden Cem Özdemir von den Grünen und Christian Lindner von der FDP, die AfD ist erstmals auch vertreten - und die CSU bietet ihren Liebling Karl-Theodor zu Guttenberg auf.

Wenig Schlaf dürfte Schulz gewohnt sein aus seiner politischen Karriere. Und er sollte sich erst recht daran gewöhnen, wenn er den Job als Kanzler haben will. Doch will er ihn wirklich haben? Das ist die Frage, die sich mancher Fernsehzuschauer am Sonntagabend gestellt hat. Merkel kam besser weg im TV-Duell, das sagen zumindest die Umfragen. Wie also wird Schulz sich im Bierzelt machen?

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Die Zuschauer auf dem Volksfest in Abensberg, das muss schon vorab gesagt werden, sind ihm wohlgesonnener als das Fernsehpublikum. SPD-Ortsverbände in Reihe eins und zwei, SPD-Unterbezirke in Reihe drei. Man hört hier Sätze wie diesen: "Als ich die Umfragen danach gesehen hab, hab ich mir dacht, ich hätt' ein anderes Duell gesehen - er war doch gar nicht so schlecht". So geht der Tenor hier: Schulz habe klare Kante gezeigt. Nach diesem Duell werde er erst recht Kanzler. Nun denn.

Es ist 10.18 Uhr, als Schulz das Zelt betritt. Er ist kein großer Mann, und er wird von so vielen Begleitern umgeben, dass ihn nicht einmal die gut sehen können, die am Gang sitzen. Erste zaghafte "Martin, Martin"-Rufe und mäßiger Applaus, dann steigt Schulz kurz auf eine Bierbank, er winkt in die Menge, jetzt wird gejubelt. Schulz nimmt erst einmal Platz.

Es sollte noch 50 Minuten dauern, bis er auf die Bühne darf, davor sprechen Johanna Uekermann, Bundesvorsitzende der Jusos, und Florian Pronold, bayerischer Spitzenkandidat, es fallen Begriffe wie "Kooperationsverbot" und "Städtebauförderung". Uekermann sagt, dass Merkel an den jungen Leuten vorbeiregiere. Die Jusos sind stark vertreten an den vorderen Tischen, manche tragen zu den sehr jungen Gesichtern rote Fahnen als Umhang. Sie sind es auch, die Schulz bejubeln, als er dann dran ist. Weiter hinten, beim normalen Publikum, werden keine Fahnen geschwenkt. Stattdessen dringt Gemurmel nach vorne, während der gesamten Rede des Kanzlerkandidaten.

Dass er unter dem Eindruck und dem Druck des TV-Duells auf der Bühne steht, ist Schulz klar. Gleich am Anfang greift er die Aussage auf, die er gestern Abend als Schlusswort sagte: eine Krankenschwester verdiene in einer Minute weniger als 40 Cent. Damit leitet er über auf eines der Themen, die beim TV-Duell zu kurz oder gar nicht erst vorkamen: die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen. Er wendet sich an die Väter im Zelt: Wenn die Töchter weniger bekämen als die Söhne, wo bestehe da die Gerechtigkeit?

Schulz ist bei seinem zentralen Wahlkampfthema angekommen, der Gerechtigkeit. Er gestaltet die Rede so, wie ein zweites TV-Duell hätte aussehen können, es geht um Bildung, Arbeitsmarkt, fehlende Wohnungen, Kita-Gebühren. "Ich weigere mich, mich darauf auszuruhen, dass die Bundesrepublik Deutschland ein blühendes Land ist", sagt er. Nur weil Deutschland ein reiches Land sei, seien noch lange "nicht alle Menschen in diesem Land reich". Die Luft im Bierzelt ist da schon so gut brathendldurchzogen, dass man sich im Publikum selbst wie geräuchert fühlt.

Nach fünf Minuten erwähnt Schulz zum ersten Mal seine Heimatstadt Würselen. Nach zehn Minuten krempelt er die Ärmel hoch. Ganz klar: Hier steht einer von euch. Kein Abitur, keine akademische Bildung. Normal arbeitende Menschen, sagt Schulz, bräuchten einen Staat, der mit für die Kinder sorgt. Reiche Leute dagegen könnten sich einen armen Staat leisten, sagt er, und er meint den gleichzeitig redenden Guttenberg ein paar Meter weiter.

Hier der hemdsärmelige Würseler, einer der normalen Bürger. Dort der Baron im CSU-Zelt. Schulz zeigt, dass er - ganz anders als im TV-Studio neben Merkel - durchaus witzig sein kann. Man kritisiere ihn für seine billigen Anzüge, sein altes Brillenmodell, seine Glatze. "Stimmt, die ist da, kann man sehen, steh ich auch zu", sagt Schulz. Und aus der Frisurenfrage wird ein weiterer Seitenhieb auf Guttenberg: "Ich habe kein gegeltes schwarzes Haar, das geht nicht mehr bei mir".

Angriffslustiger wirkt er als im Fernsehstudio, und jetzt, da Merkel nicht da ist, attackiert er sie. "Was gestern klar geworden ist: Es gibt jemanden, der will die Vergangenheit verwalten, der heißt Angela Merkel. Und es gibt jemanden, der will die Zukunft gestalten, und der heißt Martin Schulz." Wo er sich gestern noch im Konjunktiv präsentierte, spricht er hier im Futur. Wo es gestern noch hieß, er wolle etwas ändern, vorausgesetzt, die Bürger würden ihm das Mandat erteilen und er würde Kanzler werden, sagt er nun: "Wenn ich Kanzler werde". In dieser Rede geht es um Langzeitarbeitslose und Altenpfleger, um Studenten auf Wohnungssuche, um ein vereintes Europa, weniger um Flüchtlingspolitik, nicht um Diesel, nicht um die Maut. Danach glaubt man ihm schon eher, dass er Kanzler werden will, und dass er durchaus auch Gründe dafür hat. Nur scheinen sich längst nicht alle im Bierzelt sicher, dass er es auch wirklich wird.

Schulz scheint aus dem TV-Duell mitgenommen zu haben, dass zu wenige Unterschiede zwischen Merkel und ihm deutlich wurden - und hebt sie darum nochmal deutlich hervor. Die Rente. Die Rüstungspolitik. Er erinnert daran, wie es im Krieg war, findet klare Wort gegen rechts und sagt den Satz, für den er am meisten Applaus bekommt: "Die AfD ist keine Alternative für Deutschland, sie ist eine Schande für unsere Nation!"

Nach einer knappen Stunde endet er mit einem Appell: "Macht Deutschland gerechter. Lasst es uns für die Zukunft fit machen. In einem gerechten Deutschland, in einem vereinten Europa."

Zum Abschied bekommt er keine Schokolade, keine Flasche Sekt, sondern ein paar neue SPD-Mitglieder geschenkt. Alle singen gemeinsam die Bayernhymne, deren Text vorher verteilt wurde. Am Schluss spielt wieder die Blaskapelle, die sie hier schon frohgemut zur Bundeskanzlerblaskapelle ausgerufen haben. In den vorderen Reihen stehen sie und schwenken Fahnen. In den hinteren Reihen stehen sie nicht.

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