Mittelfranken:Nürnberger Tiergartenchef im Sturm

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Seit der Zoo-Chef laut darüber nachgedacht hat, ein wahrscheinlich steriles Löwenmännchen töten zu lassen, ist richtig was los. Zahlreiche Reaktionen sind schlicht widerlich.

Kommentar von Olaf Przybilla

Es ist nicht das erst Mal, dass Nürnbergs Tiergartendirektor Dag Encke in die Schlagzeilen gerät. "Es ist pervers, auf welche Weise man plötzlich bekannt werden kann", hat er einmal gesagt und dabei auf Vorfälle angespielt, die ihn unfreiwillig zum Gegenstand öffentlichen Interesses gemacht hatten. Da war etwa die Entscheidung Enckes, die Eisbärenmutter Vera von ihrem vier Wochen alten Nachwuchs zu trennen. Die Bärin hatte ihr Kleines wohl deshalb aus der Höhle geschleppt, weil sie sich im Angesichts des Rummels vor ihrem Gehege nicht mehr sicher war, ob sie ihren Nachwuchs würde durchbringen können. Fernsehsender in aller Welt jubelten, endlich eine neue Handaufzucht, ein neuer Fall Knut also! Encke aber, wäre er nicht Chef gewesen, "hätte losheulen können".

Zwei Jahre zuvor war er vor dem Tiergarten in eine Situation geraten, die mit Horror nur unzureichend beschrieben ist. Ein Mann war gerade dabei, seine frühere Partnerin zu erschießen. Encke war zufällig hinzugekommen und versuchte, dem Mann in den Arm zu fallen. Eine Kugel traf Encke, er musste notoperiert werden. An jenem Tag war der einmillionste Zoobesucher des Jahres geehrt worden.

Zu schaffen gemacht hat dem nachdenklichen Westfalen hernach vor allem die Medienprominenz. Es gibt Menschen, die von sich behaupten, nicht prominent werden zu wollen. Und es gibt solche, die das offenkundig tatsächlich nicht wollen. Encke gehört zu Letzteren.

Er zählt aber auch zu jenen, die nicht der Ansicht sind, dass ein ethischer Konflikt sich von selbst klärt, wenn man sich nur lange genug diskursiv wegduckt. Offenbar deshalb hat er nun ein Gedankenexperiment öffentlich gemacht: Wenn ein alter Löwe zeugungsunfähig wäre; und wenn es keinen Platz gäbe, ihn anderweitig unterzubringen - wäre es dann ethisch vertretbar, dessen Leben zu beenden, um eine bedrohte Spezies zu retten?

Zahlreiche Reaktionen in sogenannten sozialen Netzwerken, man muss das so sagen, sind schlicht widerlich. "Dieser Zoodirektor sollte dem Löwen ins Gehege gesperrt werden", fordert einer, eine andere erörtert das noch etwas deutlicher. Und natürlich nehmen die Kommentatoren für sich in Anspruch, voll auf der Seite des moralisch Korrekten und ethisch Einwandfreien zu stehen. Beneidenswert.

© SZ vom 11.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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