Seit seiner Eröffnung 1926 galt der "Schocken" in der Südstadt als wohl bekanntestes Kaufhaus Nürnbergs. Das kubusartige Gebäude von Erich Mendelsohn markierte nicht nur den architektonischen Beginn der Moderne in der Stadt. Es war auch von gesellschaftlicher Relevanz, wurde hier doch kein Konsumpalast für die oberen Zehntausend ins Zentrum geklotzt - sondern ein Haus für alle mit großer Fläche und Sortimentsbreite in Betrieb genommen. Und das außerhalb der Altstadt, in einer Stadtregion, Nürnbergs Süden, die für das Industriezeitalter wie kaum eine andere in Bayern steht.
Das alles ist in Nürnberg vergleichsweise präsent und das schon deshalb, weil der signifikante Schocken und dessen Zukunft im 21. Jahrhundert zum kommunalpolitischen Zankapfel wurde. Woher aber der Name stammt? Dürfte den wenigsten bewusst sein, zumal der Komplex 2013 vorerst geschlossen und vor zwei Jahren mit dessen Abbruch begonnen wurde. Grübeln dürften Passanten seither nicht so sehr über einen Namen, mehr noch über eine großkariöse Stelle in einem wuchtig ausgefallenen Stadtteilzentrum.
Newsletter abonnieren:Mei Bayern-Newsletter
Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.
Über die Geschichte des Ortes informieren können sie sich künftig per interaktivem Stadtplan des Forums für jüdische Geschichte und Kultur. Das Projekt heißt MEKOMOT-Nürnberg.de, nach dem hebräischen Wort für "Orte". Zugänglich gemacht werden darin Orte jüdischen Lebens, jüdischer Geschichte und Kultur. Das Projekt versteht sich als Work in Progress, soll also noch wachsen, erklärt Sprecherin Brigitte Wellhöfer. Über die Eröffnung des Schocken ist aber bereits nachzulesen, wie es dort am 11. Oktober 1926 zum Massenauflauf kam. Der jüdische Unternehmer und Intellektuelle Salman Schocken hatte den Architekten Mendelsohn, ebenfalls mit jüdischen Wurzeln, beauftragt, eine funktionale Verkaufsstätte zu bauen. Diese wurde auch als "Proletarierkaufhaus" bezeichnet - und kam in der Südstadt gut an.
Der erläuternde Text stammt von Alexander Schmidt, Historiker am Dokuzentrum Reichsparteitagsgelände, Mitautor des Buches "Geschichte der Juden in Nürnberg" und Initiator des Stadtplanprojekts. Schmidt notiert, wie sich der Schocken von Beginn an einer Hetzkampagne ausgesetzt sah, angeleiert von Streichers Stürmer. Ab 1933 folgten Boykottaktionen, Kunden wurden fotografiert und verfolgt, der Geschäftsführer verhaftet, der Kaufhauskonzern schließlich durch "Arisierung" enteignet. Salman Schocken gab in jener Zeit Schriften zur jüdischen Kultur in einer preiswerten "Bibliothek des Schocken-Verlags" heraus, um Juden in der Diktatur zu stützen. Nach dem Krieg wurde das schwer getroffene Haus verändert wiederaufgebaut und zunächst von verschiedenen Besitzern weitergeführt. Als Altbau gibt's den "Schocken" inzwischen nicht mehr, der Begriff aber lebt weiter.
Nichts übriggeblieben - aus anderen Gründen aber - ist auch von der repräsentativen Synagoge am zentralen Hans-Sachs-Platz, wo heute die "Kinderweihnacht" des Christkindlesmarktes ihre Heimat hat. Als das Gotteshaus 1874 eingeweiht wurde, umfasste die Gemeinde bereits 2500 Menschen, mit der Synagoge im maurischen Stil schienen die Juden angekommen zu sein. Bis die Nazis 1937 ihr "Gesetz zur Neugestaltung deutscher Städte" erließen und kurz darauf der Stürmer gegen die Synagoge als "Schande von Nürnberg" schäumte. Wenig später, nach öffentlicher Kundgebung samt NS-Reden, wurde mit dem Abriss des Gotteshauses begonnen.
Erinnert wird auf dem von Stadt und Bezirk mitfinanzierten Digitalplan natürlich auch an Menschen. An Julie Meyer etwa, die über die "Entstehung des Patriziats in Nürnberg" promoviert hat und nicht nur eine Führungsfigur der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei war, sondern auch Mitbegründerin des Bayerischen Landesverbands deutsch-demokratischer Jugendvereinigungen, Mitherausgeberin der Zeitschrift Das Echo und Lehrbeauftragte an der neu gegründeten Sozialen Frauenschule. Oder an Lucie Adelsberger, in Nürnberg geborene Fachärztin für Kinderheilkunde und Innere Medizin, die am Robert-Koch-Institut forschte, der 1938 die Approbation entzogen und die 1943 nach Auschwitz deportiert wurde. Kurz vor Kriegsende wurde sie in einem Außenlager des KZ Ravensbrück befreit. Nach dem Krieg war sie in New York als Ärztin und Wissenschaftlerin in der Krebsforschung tätig.
Und vorgestellt werden mit dem Projekt auch jüdische Nürnbergerinnen und Nürnberger der Gegenwart. Darunter die Studentin Lena Prytula, 21, die in einem Porträtvideo beklagt, dass Judentum in ihrer Wahrnehmung heute nahezu ausschließlich mit "Antisemitismus" oder der "Shoa" in Verbindung gebracht werde - und man darüber mitunter vergesse, dass es so viel mehr gebe. Judentum sei für sie nicht zuletzt: "gutes Essen, gute Gesellschaft, eine super fröhliche Religion".