Robert Habeck in Nürnberg:Draußen "Hau-ab-Sprechchöre" und Pfiffe, drinnen Selfies mit CSU-Mitgliedern

Lesezeit: 3 min

Was er aus Nürnberg mitnehme, wird Habeck gefragt. "Unruhe und Sorge, wohin das Land geht", antwortet er. (Foto: Daniel Vogl/dpa)

Nach der Eskalation von Biberach am Aschermittwoch bleiben die Proteste beim Besuch des grünen Bundeswirtschaftsministers in Nürnberg überschaubar. Und beim Dialog gibt es sogar Zuspruch von den ausgelosten Bürgern.

Von Uwe Ritzer

Der Protest war laut. Aber gemessen daran, dass mit dem Bauern-, dem Gastroverband und der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) gleich drei große Organisationen dazu aufgerufen hatten, blieb er überschaubar. Etwa 350 Demonstranten begrüßten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Donnerstagabend am Nürnberger Hauptmarkt mit entschiedenen "Hau ab"-Sprechchören und Pfiffen.

Als wenig später im Lichthof der angrenzenden Industrie- und Handelskammer (IHK) der Bürgerdialog mit dem Grünen-Politiker begann, empfing ihn dort distanzierte Stille. Keine Hand rührte sich zum Beifall, als Habeck den Saal betrat. Anderthalb Stunden später holten sich sogar einige CSU-Mitglieder unter den Unternehmern ihr Selfie mit dem Minister und Vizekanzler.

Etwa 350 Menschen hatten sich laut Polizei zu der Kundgebung am Hauptmarkt versammelt. (Foto: Daniel Vogl/dpa)

120 Plätze waren über die Nürnberger Nachrichten verlost worden, hinzu kamen geladene Granden der IHK. Fragen stellen und Kritik üben konnte jede und jeder; die Gelegenheit nutzten vor allem Unternehmer. Hohe Energiepreise, Fachkräftemangel, ausufernde Bürokratie, Vereinbarkeit von Familie und Beruf - nur selten kamen überraschende Themen auf, wie die Klage eines Gemüse- und Gartenbauern über die seit anderthalb Jahren im Wirtschaftsministerium unbearbeitete Teilsektorenanerkennung für die Rückerstattung der CO₂-Steuer. "Das Thema ist noch nie an mir vorbeigelaufen", sagte Habeck offen, bat den Mann um seine Mailadresse und versprach ihm, sich gleich nächste Woche zu kümmern.

Das setzte den wechselseitigen Ton des Abends: ruhig, sachlich, argumentativ, respektvoll, dem anderen zuhören, ihn aussprechen lassen. Ein bewusstes Kontrastprogramm zu den aufgeregten, hitzigen und verächtlichen politischen Umgangsformen, die um sich greifen. Genau das habe ihnen gefallen, sagten im Anschluss Ulrike und Matthias Richter, zwei der für den Dialog ausgelosten Bürger. "Immer dieses wilde Losschießen von Herrn Söder und anderen - das ist doch nichts. Ich fand die Sachlichkeit von Herrn Habeck sehr gut und dass er seine Sicht ruhig erklärt hat", sagte Matthias Richter.

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Das Misstrauen, mit dem Wirtschaftsvertreter dieser Regierung und dem für sie zuständigen Minister begegnen, war indes greifbar. Gleich zu Beginn verpackte IHK-Präsident Armin Zitzmann seine "großen Sorgen" mit einem Geschenk an Habeck, einer silberfarbigen Figur von Ludwig Erhard, "unserem Lieblingswirtschaftsminister". Die Reminiszenz an Erhard war nicht nur Lokalpatriotismus angesichts seiner Herkunft aus Nürnbergs Nachbarstadt Fürth. Sie war als Fingerzeig gedacht: Habeck, schau her, so geht es! Der nutzte die Spitze als Steilvorlage und dozierte über das Prinzip hinter Erhards viel gepriesener sozialer Marktwirtschaft: Eine Gesellschaft mit "weniger Polemik und mehr friedensstiftendem Diskurs". Diese "eigentliche Leitidee ist uns etwas abhandengekommen". Da setzte es erstmals größeren Beifall im Saal.

Habeck war nach seiner Tour durch ostdeutsche Städte und Firmen in einen im Rest der Republik gerne unterschätzten Wirtschaftsraum gekommen. Die Metropolregion Nürnberg prosperiert; sie erwirtschaftet mit 130 Milliarden Euro Bruttoinlandsprodukt mehr als Ungarn oder alle baltischen Staaten zusammen. Die Zahl der Patentanmeldungen sei doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt, rechnete Zitzmann vor. Ein dichtes Netz an Hochschulen und Forschungseinrichtungen präge heute die einstige Industrieregion Nürnberg.

Weil Franken auch freundlich sein können, dankte gleich im ersten Wortbeitrag eine Frau Habeck für die nun schon im zweiten Winter sichergestellte Energieversorgung. Apropos Energie: Die Preise seien am Sinken, rechnete Habeck vor, bald käme das auch bei den Unternehmen an. Und ja, es stimme, dass es nach wie vor europäische Länder gebe, die russisches Gas, Erdöl und sogar Uran für ihre Kernkraftwerke kaufen würden, was im Übrigen nicht per Sanktion verboten sei. "Die Deutschen machen das definitiv nicht".

Habeck spielte Bälle auch scharf zurück. Wie an jenen Gastronomen, der klagte, er könnte "auf einen Schlag zehn Ukrainer" beschäftigen, würde deutsche Bürokratie das nicht verhindern. Das sei falsch, antwortete der Minister, natürlich könne er die Leute von jetzt auf gleich einstellen. Und noch etwas: Es gebe große Unternehmen, die von der Regierung ultimativ Subventionen als Belohnung verlangten, wenn sie nicht in den USA investieren. Habeck wörtlich: "Was ist das für ein Scheiß?"

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Und die Demos draußen vor der Tür? Die Absage einer Grünen-Veranstaltung am Aschermittwoch aus Sicherheitsgründen in Biberach? Demonstrationen müsse ein Politiker aushalten können, sagte Habeck. Aber es sei "etwas ins Rutschen gekommen. Wenn Demonstrationen ein Gespräch verhindern und Veranstaltungen abgebrochen werden, geht das am demokratischen Sinn vorbei."

Was er aus Nürnberg mitnehme, wird Habeck im Hinausgehen gefragt. "Unruhe und Sorge, wohin das Land geht", antwortet er. Wie er den Abend empfunden habe? "Neugierige Zugewandtheit" habe er gespürt, "ein gemeinsames Nachdenken und einen Austauschprozess". Sprach's und verließ das IHK-Gebäude. Da waren die Demonstranten bereits nach Hause gegangen.

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