Wer den bayerischen Dschungel erleben will, muss in die Auwälder bei Neuburg an der Donau fahren. In das Naturwaldreservat Mooser Schütt zum Beispiel, im Westen von Neuburg, wo die Friedberger Ach erst in die Kleine Paar und dann in die Donau mündet. Auf dem sumpfig-nassen, von Wassergräben durchzogenen Gelände wuchert ein schier undurchdringliches Dickicht aus Weißdorn, Schlehen, Heckenkirschen und allen möglichen anderen Sträuchern.
Aus ihnen heraus ragen Eschen, Ulmen und knorrige Eichen in den Himmel. Immer wieder trifft man auf mächtige Schwarzpappeln, man erkennt sie an den krumm gewachsenen bizarren Stämmen. Noch haben längst nicht alle Büsche und Bäume ihr Blattwerk ausgetrieben, sodass man gut in den wilden Auwald hineinsieht. Mit etwas Glück kann man dieser Tage dort Bachen beobachten, wie sie ihre Frischlinge säugen.
Mitten im Dickicht stehen Roland Weigert und Siegfried Geißler. Der eine ist Landrat des Landkreises Neuburg-Schrobenhausen, der andere Landschaftspfleger und Chef der Naturschutzbehörde am Landratsamt. "Unsere Auwälder hier zählen zu den ökologisch wertvollsten Lebensräumen nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland", sagt Landrat Weigert, 49, mit weit ausladender Geste. "Wenn es der Staatsregierung ernst ist mit ihrer Initiative für einen dritten Nationalpark im Freistaat, dann darf sie unsere Region nicht außen vor lassen." Geißler, der sich seit Jahrzehnten für den Erhalt der Neuburger Auwälder einsetzt, nickt energisch. "Wir haben nur noch ganz wenige Auwald-Relikte hier in Mitteleuropa", sagt Geißler, der zehn Jahre älter ist als sein Landrat. "Die bei uns hier zählen zu den weitläufigsten und artenreichsten."
Vor einem Dreivierteljahr hat Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) versprochen, zusätzlich zu den Nationalparken im Bayerischen Wald und in Berchtesgaden einen dritten einzurichten. Rein fachlich gesehen ist und bleibt der natürliche Anwärter darauf der unterfränkische Spessart mit seinen urtümlichen Buchenwäldern. Da sind sich Experten und Naturschutzverbände einig. Allein in den Dörfern in Unterfranken ist der Widerstand gegen einen Nationalpark Spessart so wütend und lautstark, dass sich Seehofer höchstwahrscheinlich hüten wird, ausgerechnet dort sein Versprechen einzulösen. Schließlich hat er fest zugesagt, das neue Großschutzgebiet auf keinen Fall gegen den Willen der ortsansässigen Bevölkerung einzurichten. Und so rücken jetzt plötzlich die Auwälder bei Neuburg an der Donau in den Fokus der Nationalpark-Diskussion. Bisher galten sie als zweite Wahl.
"Mit Natur hat die Donau hier überhaupt nichts mehr zu tun"
Natürlich verwahren sich Weigert und Geißler gegen das Urteil "zweite Wahl". Aber es gibt schon einen triftigen Grund dafür: die Donau. Mit dem Jahrtausende lang wild mäandernden Naturstrom, der jedes Frühjahr aufs Neue über die Ufer trat, das Land weit überschwemmte, mächtige Kiesbänke und Inseln formte und sie wieder abtrug, hat die bayerische Donau nämlich nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Wie beinahe alle Bäche und Flüsse im Freistaat ist auch sie seit Jahrzehnten fast auf gesamter Länge begradigt und kanalisiert, zwischen mächtige Dämme und Deiche eingezwängt und alle paar Kilometer mit Wehren und Staustufen verbaut. Die vormaligen Überschwemmungsgebiete sind seit dem 19. Jahrhundert trockengelegt für Ackerland und Siedlungen.
Das ist auch an den ungefähr 31 Flusskilometern zwischen der Einmündung des Lechs und Ingolstadt der Fall, an denen die Neuburger Auwälder liegen. Vier Staustufen reihen sich dort aneinander. An jeder hängt ein Wasserkraftwerk, ein jedes produziert um die 120 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr. Bei Bertoldsheim und vor Ingolstadt ist die Donau zu gigantischen Seen zurückgestaut. Im Sommer tummeln sich an ihnen Tausende Ausflügler, auch bei Ruderern und Seglern sind sie sehr beliebt. "Mit Natur hat die Donau hier überhaupt nichts mehr zu tun", räumt der Naturschützer Geißler ein, "selbst die Angler würden aus ihr kaum noch Fische herausholen können, wenn ihre Vereine nicht jedes Jahr Zigtausende einsetzen würden."