München/Passau/Bamberg (dpa) - Der frühere Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter, hat sich für seine „falsche Entscheidung“ in einem prominenten Missbrauchsfall entschuldigt. Der betreffende Pfarrer hätte nicht mehr in der Seelsorge eingesetzt werden dürfen, hieß es in einer Erklärung, die das Erzbistum am Dienstag in Wetters Auftrag veröffentlichte. „Es tut mir von Herzen leid“, sagte er. „Hätte ich anders entschieden, hätte es zu diesen Missbräuchen nicht kommen können.“ In anderen Fällen bestreitet er ein ihm vorgeworfenes Fehlverhalten allerdings vehement.
„In 6 Fällen liegt kein Missbrauch vor“, schreibt Wetter etwa, oder: Ein Name war mir völlig unbekannt. Die Fakten der 21 Fälle belegten „keinesfalls pauschal ein „Fehlverhalten in 21 Fällen“. Das wirft ihm das von seinem Nachfolger, dem aktuellen Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx in Auftrag gegebene Gutachten vor, das in der vergangenen Woche vorgestellt wurde.
Auch Marx wird in dem Gutachten formales Fehlverhalten vorgeworfen, bei ihm geht es um zwei Fälle. Er will am Donnerstag ausführlich zu den Ergebnissen des Gutachtens Stellung nehmen. Von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern sprechen die Gutachter, sie gehen aber von einem deutlich größeren Dunkelfeld aus.
Schlagzeilen machte vor allem die Rolle Joseph Ratzingers, des heute emeritierten Papstes Benedikt XVI. Ihm werfen die Gutachter als ehemaligem Erzbischof von München und Freising Fehlverhalten in vier Fällen vor - und dass er die Unwahrheit gesagt haben soll. Das hat Benedikt inzwischen eingeräumt - und von einem „Versehen“ gesprochen.
Benedikt hatte im Dezember zu dem Missbrauchsgutachten eine 82-seitige Erklärung beigesteuert. Darin bestritt er vehement, als Erzbischof von München und Freising über die Vorgeschichte eines als Missbrauchtäter verurteilten Priesters etwas gewusst zu haben. Am Montag gab er an, an einer wichtigen Stelle eine falsche Aussage gemacht zu haben. Diese gehe aber auf ein „Versehen bei der redaktionellen Bearbeitung“ seiner Stellungnahme zurück, wie sein Privatsekretär Georg Gänswein mitteilte. Benedikts Verhalten löste international Kritik aus.
Der Passauer Bischof Stefan Oster sagte der „Passauer Neuen Presse“, er wundere sich über Benedikts Erklärung. „Ich frage mich natürlich, wie diese 82-seitige Stellungnahme, die seine Unterschrift trägt, entstanden ist.“ Er habe Benedikt als grundehrlichen Menschen kennengelernt, der auch seinen bischöflichen Wahlspruch, „Mitarbeiter der Wahrheit“ sein zu wollen, sehr ernst nehme.
Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick richtete sich in einem Brief an die Mitarbeiter seines Bistums. „Ich fühle und leide mit Ihnen“, schrieb er. Er spüre, dass ihnen „durch Schuld und Versagen anderer die Arbeit erschwert wird und ein kalter Wind ins Gesicht schlägt“.
Sexueller Missbrauch und Gewalt gegen Kinder und Jugendliche seien Verbrechen, die geahndet werden müssten - ganz besonders in der Kirche. „Zum Christsein gehört, sich der eigenen Schuld und dem Versagen - die bewusst oder unbewusst geschehen sind - zu stellen“, schreibt Schick. „Wahrheit ist dabei ein hohes Gut, das niemals aus opportunistischen Gründen, aus Feigheit oder Selbstgerechtigkeit durch Unwahrhaftigkeit, Verschleierung oder Vertuschung gebeugt oder missachtet werden darf.“
Der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz in Würzburg konnte sich nicht zu einer Stellungnahme zu der Falschaussage des emeritierten Papstes durchringen. In einer am Dienstag verbreiteten Presseerklärung heißt es lediglich, das am Donnerstag veröffentlichte Münchner Missbrauchsgutachten habe die Bischöfe tief erschüttert. „Dadurch, dass auch das Wirken des früheren Papstes Benedikt XVI. als Erzbischof von München und Freising Untersuchungsgegenstand war, und durch dessen Einlassungen hat das Gutachten eine besondere Aufmerksamkeit erfahren.“
In die Amtszeit des früheren Erzbischofs Wetter fällt die Versetzung eines wegen sexuellen Missbrauchs rechtskräftig verurteilten Priesters in eine andere Gemeinde in Garching an der Alz - wo er erneut Jungen missbraucht haben soll. Für diesen Fall gilt die Entschuldigung, die Wetter formulierte. Er erklärte aber auch: „Diese Entscheidung lag Jahre vor dem Jahr 2010, in dem mir die fatalen und zerstörerischen Folgen faktisch erst wirklich bewusst wurden, die durch Missbrauch Kindern und Jugendlichen zugefügt werden“, sagt er über seinen Umgang mit jenem bekannt gewordenen Fall H.
„Eine ernsthafte und eingehende Auseinandersetzung hatte es bis dahin bei mir nicht gegeben. Eine Folge davon war, dass ich mit den Tätern nicht mit der gebotenen Strenge umgegangen bin.“ Sein „Problembewusstsein“ sei „nicht genügend ausgebildet“ gewesen, sagte Wetter - und damit sei er damals nicht allein gewesen. „Dass dies damals bei vielen in der Gesellschaft, nicht nur in der Kirche, so war, macht mein unangemessenes und objektiv falsches Verhalten von damals zwar für mich verständlicher, kann es aber nicht rechtfertigen.“ Er sei ein „Kind meiner Zeit“.
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