Filmgespräch am See:"Jeder sollte jede Geschichte erzählen können."

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Ihre Filme sind besonders: Zuletzt verfilmte Maria Schrader beeindruckend die Harvey-Weinstein-Recherche zweier New-York-Times-Journalistinnen. Beim Filmgespräch in Tutzing berichtete die Schauspielerin von ihren ersten Schritten im Regiefach. (Foto: Nila Thiel)

Haben Filme ein Geschlecht? Was die Regisseurinnen Maria Schrader und Julia von Heinz von dieser Frage halten, erzählen sie auf dem Fünf Seen Filmfestival.

Von Julie Bäßler, Tutzig

Das Drama um die Recherchen über den Filmproduzenten und Sexualverbrecher Harvey Weinstein, verfilmt in "She said" (2022). Zuvor der hochgelobte Film "Ich bin dein Mensch" (2020) über eine Frau, die sich in eine Künstliche Intelligenz mit Männerkörper verliebt. Oder die Netflix-Serie "Unorthodox", die von der Flucht einer jungen Frau aus einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde in Brooklyn erzählt. Es ist diese präzise Perspektive auf ihre Protagonistinnen, die die Regiearbeiten von Maria Schrader so faszinierend macht. Jetzt war die Filmemacherin, Drehbuchautorin und Schauspielerin zu Gast beim zehnten Filmgespräch auf dem Fünf Seen Filmfestival. In der Akademie für politische Bildung in Tutzing diskutierte sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Regisseurin Julia von Heinz ("Hannas Reise", "Und morgen die ganze Welt") über die Frage, ob Filme ein Geschlecht haben. Es moderierte Sylvia Griss von Bayrischen Rundfunk.

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Beide Frauen führen nicht nur Regie, sondern schreiben auch ihre Drehbücher selbst. Für Schrader ist dieses Schreiben eine Art Ermächtigung. "Manchmal glaube ich, ich bin der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der diese Person, diese Rolle wirklich versteht. Manche Rollen muss man einfach selbst schreiben", sagt Maria Schrader. "Frauen haben kein Talent zum Größenwahn. Man wird direkt als unsympathisch oder arrogant gespiegelt", hat Julia von Heinz die Erfahrung in der Film- und Fernsehbranche gemacht.

Maria Schrader erinnert sich an ihre Anfänge als Regisseurin. Mit all ihren Dreherfahrungen als Schauspielerin, so erzählt sie, habe sie per se keine Angst gehabt, am Set zu stehen. Trotzdem habe sie zu Beginn Misstrauen bei einigen gespürt. Ein Augenrollen hier, ein komischer Kommentar dort. Unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf die Umsetzung einzelner Szenen. Vielen männlichen Kollegen sei es egal, was andere von ihrer Arbeit oder ihrer Vision denken würden. Maria Schrader verunsicherten kritische Reaktionen jedoch durchaus.

Julia von Heinz ist Regisseurin, Drehbuchautorin und Kamerafrau. Über ihren Spielfilm "Und morgen die ganze Welt" beschwerte sich die AfD im Bundestag. (Foto: Nila Thiel)

Die Frage, ob der Regieführende immer stark und selbstsicher auftreten müsse, kann Julia von Heinz mit einem klaren Nein beantworten: "Ich weine am Set. Sei es aus Freude oder weil mich etwas überfordert. Ich kann meine Emotionen währen der unglaublich anstrengen Drehphasen sowieso nicht verstecken." Sie sieht dies nicht als Führungsschwäche, es gehe vielmehr darum authentisch zu sein.

Das Gespräch schwenkt auf Maria Schraders hochgelobten Film "Vor der Morgenröte" (2016) über Stefan Zweigs Exil-Zeit in Südamerika vor seinem Suizid. Das Thema der Flucht finden beide Regisseurinnen, gerade angesichts Ukraine-Kriegs, brennend aktuell. Und auch beim Thema "Quote" sind sich die Filmschaffenden einig. So ist Julia von Heinz Mitbegründerin des gemeinnützigen Vereins "ProQuote Film", der fordert, dass 50 Prozent der Projekte und Fördergelder an Regisseurinnen gehen.

Lange Zeit lag jede filmisch erzählte Geschichte in männlicher Hand. Eine interessante Frage an Maria Schrader, und die Erinnerung an einer ihre schönsten Filmrollen: Ob "Aimée und Jaguar" (1999) von Max Färberböck, das die dramatische Liebesgeschichte zweier Frauen in der Zeit des Nationalsozialismus erzählt, nicht eigentlich von einer Frau hätte gedreht werden müssen? Maria Schrader findet nicht: "Jeder sollte jede Geschichte erzählen können. Das ist auch Gleichberechtigung". Schließlich habe nicht jede männliche Person den "Male gaze" (männlicher Blick). Der Begriff beschreibt, wie männliche Filmemacher die Darstellung von weiblichen Charakteren umsetzen. Oft würden Frauen sexualisiert oder objektiviert. Im Umkehrschluss habe aber auch nicht jede Frau den feministischen Blick, "Female gaze". Am Ende komme es auf eine Sensibilität und ein Verständnis für die Figur an, ergänzen die Filmemacherinnen.

Den abschließenden Rat, den Julia von Heinz jungen Regisseurinnen mit auf den Weg geben kann: Keine Angst davor haben, Mutter zu sein, denn eine Familie zu haben mache einen nicht zu einer schlechten Regisseurin und sollte vor allem kein Thema sein, das verheimlicht werden muss.

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