Landtag:Warum die Opposition in Bayern so blass ist

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CSU, Flüchtlinge und sonst nichts: Selten haben sich SPD, Grüne und Freie Wähler so schwer getan wie in den vergangenen Wochen.

Von Wolfgang Wittl

Ein paar halbwegs bekannte Gesichter sind dann doch gekommen zum Kommunalgipfel der bayerischen SPD, immerhin: der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung. Brigitte Meier, die Münchner Sozialreferentin. Natürlich Ulrich Maly, Präsident des bayerischen Städtetags und Nürnberger OB.

Es ist später Freitagvormittag, aus dem sechsten Stock eines Altbaus bietet sich ein hübscher Blick auf das verregnete München. Gleich wird Maly über die "Kernfelder der Flüchtlingspolitik" referieren. SPD-Generalsekretärin Natascha Kohnen kündigt ihn mit den Worten an, dass man heute über ein Thema spreche, "das uns vor sehr große Herausforderungen stellt".

Die Sozialdemokraten kennen das Dilemma

Sehr große Herausforderungen? Uns? Kohnen meint die Gesellschaft, noch viel mehr aber trifft dieses "uns" auf die bayerische Opposition zu. Seit Monaten beherrscht die Flüchtlingsdebatte das Land, seit Wochen dominiert das unionsinterne Gezanke zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Horst Seehofer die Schlagzeilen.

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Im Moment schlage die Stunde der Exekutive, wird dann oft als Erklärung bemüht, warum die Opposition sich kein Gehör verschaffen könne. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum die bayerische SPD, die Freien Wähler und auch die Grünen mit ihren Ansichten noch schwerer durchdringen als sonst - so sehr sie sich auch abmühen.

Die SPD erlebt das Dilemma nicht zum ersten Mal. Es begegnet ihr immer dann, wenn sie wie jetzt in Berlin am Regierungstisch sitzt und in Bayern in der Opposition. Merkel stützen und Seehofer angreifen: Zumindest diese Taktik ließ sich zuletzt anwenden. Doch was geschieht, wenn die Chefs von CDU und CSU sich einig sind, zeigt das Beispiel Transitzonen.

Manchmal misslingt der SPD der Spagat

"Natürlich ist das eine Inhaftierung", sagte SPD-Landeschef Florian Pronold diese Woche. Wie die CSU zu glauben, man könne durch Abschreckung etwas bewirken, sei ein Trugschluss. "Nur zu mehr Chaos und Belastungen in den Grenzregionen" würden Transitzonen führen, wetterte SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher nach Seehofers Regierungserklärung: "Solche Masseninternierungslager wird es mit den Sozialdemokraten nicht geben." Nicht immer gelingt der Spagat: Während die SPD beim Kommunalgipfel in München mehr Kita-Plätze und Wohnungen fordert, sickert aus Berlin die Nachricht durch, dass sich Union und SPD im Grundsatz just auf solche Transitzonen geeinigt haben.

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Apropos Regierungserklärung: "Wir müssen Recht und Gesetz wieder herstellen", betont der Mann am Rednerpult an jenem Tag im Landtag. Europaministerin Beate Merk (CSU) sei zu loben für ihre Worte im Balkan, dass sich eine Flucht nach Deutschland mangels Aussicht auf Anerkennung ohnehin nicht lohne. Und dass man nicht nur über eine Rückkehr zum Sachleistungsprinzip, sondern auch über eine Reaktivierung der Residenzpflicht nachdenken müsse. Es ist nicht etwa Seehofer, der diese Sätze spricht, sondern Hubert Aiwanger, der Chef der Freien Wähler.

Bei landespolitischen Themen - der Abschaffung der Studiengebühren, der Abkehr vom G 8 - haben die Freien Wähler der CSU mehr zugesetzt, als der lieb sein konnte. Doch in großen politischen Fragen, wie jetzt in der Flüchtlingsdebatte, sei der Unterschied eben marginal, räumt ein FW-Mann ein - wenn er überhaupt erkennbar ist.

Das schlägt sich bei den Umfragen nieder. Auch wenn Aiwanger sagt, dass er darauf nichts gebe, so steuert der Sinkflug gefährlich auf die Fünf-Prozent-Marke zu. Den FW fällt es schwer, wahrgenommen zu werden. Am ehesten gelingt es ihnen, wenn Aiwanger die CSU in ihren Forderungen sogar übertrifft. Seehofer solle der Frau Merkel endlich zeigen, wo der Hammer hänge, rief Aiwanger - und traf damit wohl die Gefühlslage einiger CSU-Abgeordneter. Aber bei den Wählern?

Die CSU blickt mit Sorge auf die AfD

Die orientieren sich lieber gleich noch mehr nach rechts. Auch die Zustimmungswerte der CSU bröckeln, aber nicht die Freien Wähler profitieren, sondern die AfD. In der CSU wird mit Sorge beobachtet, dass das Mantra von Franz Josef Strauß, rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, wie zu Zeiten der Republikaner in Gefahr gerät.

Dabei hat die AfD nicht einmal einen profilierten Kopf an ihrer Spitze zu bieten. Täglich gingen in der CSU-Zentrale Briefe ein, die zwar grundsätzliche Zustimmung zur eigenen Politik ausdrückten, andererseits aber Enttäuschung, dass zu wenig davon umgesetzt werde. Ein Problem, das nicht zu unterschätzen sei, warnt ein Parteisprecher, siehe Österreich und die FPÖ.

Schon klarer ist das Verhältnis von CSU und Grünen. Die brauchen weder Rücksicht auf die Koalition in Berlin zu nehmen, wie die SPD, noch fühlen sie sich der CSU-Flüchtlingspolitik nahe. Die Grünen bieten der CSU am meisten Kontra, sie attackieren sie, wo sie nur können: Die Integrationsbemühungen? Nicht ausreichend! Obergrenzen für Flüchtlinge? Unvorstellbar! Transitzonen? Menschenverachtend! Klare Kante also, wäre da nicht dieser grüne Wunsch, endlich einmal in der Regierung das Land mitzugestalten. Auch in der Opposition müsse man Verantwortung zeigen, verteidigten die bayerischen Grünen die Entscheidung, warum die Bundestagsfraktion einer Verschärfung der Asylgesetze zustimmte.

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Das Ergebnis war letzte Woche beim Parteitag zu betrachten. Nur mit knapper Mühe konnte die gesamte Landesspitze einen Antrag abschmettern, der den Berliner Beschluss missbilligen sollte. Das Ringen um Gestaltungsanspruch und Grundwerte dürfte die Grünen noch länger beschäftigen - nicht erst seit der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer aus dem grünen Musterland Baden-Württemberg um Obergrenzen für Flüchtlinge wirbt.

Auch in Bayern ist die Politik zwischen grünen Kommunalpolitikern und den Gremien nicht immer deckungsgleich. Das spricht für eine gepflegte Debattenkultur, offenbart aber auch unterschiedliche Wahrnehmungen. Auf der einen Seite die Vertreter der Großstädte, die versichern, nicht die Größe der Zahlen entscheide darüber, wie viele Flüchtlinge verkraftbar seien, sondern das Tempo der Integration.

Auf der anderen Seite die Landkreise und Gemeinden, die sich überfordert fühlen. Auch der SPD fällt es schwer, Kurs zu halten. Während der Nürnberger OB Maly beteuert, "wir können das", stöhnt sein Parteifreund Heinrich Trapp, Landrat von Dingolfing-Landau, zur gleichen Zeit, "wir kriegen das nicht hin". Natürlich müsse man sich bemühen, dass weniger Menschen ins Land kämen, fordert Trapp. Und zwar schnell.

Genau darüber - über die Begrenzung von Flüchtlingen - will der Ministerpräsident mit SPD, Freien Wählern und Grünen nächsten Freitag in der Staatskanzlei diskutieren. Mancher aus der Opposition wittert schon Morgenluft. Seehofer sei offenbar verzweifelt, sagt einer aus der SPD. Er komme allein aus seiner verfahrenen Situation nicht mehr heraus, mutmaßt die grüne Fraktionschefin Margarete Bause. Das kann man so sehen.

Als Opposition muss man es wahrscheinlich sogar so sehen. In der CSU denkt man anders. Wenn es Seehofer gelinge, in Bayern ein breites Bündnis zu schmieden, habe er den Berlinern wieder etwas vorgemacht. Und wenn nicht, habe die Opposition sich eben verweigert. "Die werden wieder mal schön in den Schwitzkasten genommen", freut sich ein CSU-Mann.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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