Landtagsdebatte über Flüchtlinge:"Menschen sind keine Naturkatastrophen"

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Schräge Töne: In der ersten Landtagsdebatte nach der Sommerpause waren die Worte nicht immer feinfühlig. (Foto: Andreas Gebert/dpa)
  • Die erste Landtagsdebatte nach der Sommerpause beginnt emotional: Als Landtagspräsidentin Stamm den Flüchtlingshelfern dankt, klatschen alle Fraktionen.
  • Trotzdem bleiben inhaltliche Differenzen: Während die Grünen Solidarität fordern, will die CSU alle Möglichkeiten prüfen, den Zuzug zu begrenzen.
  • Unterdessen sieht eine Umfrage die AfD seit langem wieder bei fünf Prozent.

Von Daniela Kuhr und Wolfgang Wittl, München

Um es vorsichtig auszudrücken: Die erste Sitzung nach der Sommerpause beginnt ungewöhnlich. Zum Auftakt gibt Landtagspräsidentin Barbara Stamm von der CSU erst einmal eine persönliche Erklärung ab. Es sei ihr "ein dringendes Bedürfnis", sagt Stamm. Tausende Flüchtlinge seien in den vergangenen Wochen "zu uns nach Bayern gekommen - mit der Hoffnung auf ein sicheres Leben und auf eine Perspektive für sich und ihre Familien". Die Not dieser Flüchtlinge habe die Menschen in Bayern berührt. Eine "großartige Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft" habe das Land erfasst. Und deshalb wolle sie "im Namen des bayerischen Landtags" den "vielen, vielen Helfern für ihr Engagement bei der Aufnahme von Flüchtlingen" danken, sagt Stamm.

In diesem Moment beginnen sämtliche Abgeordnete laut und lang zu klatschen. Quer durch alle Fraktionen. Für einen kurzen Moment könnte man glauben, der Ernst der Lage hätte über die Sommerpause alle dazu gebracht, versöhnlicher aufeinander zuzugehen - um die Probleme gemeinsam in den Griff zu bekommen. Doch lange hält dieser Eindruck nicht an. Zwar ist viel passiert in den vergangenen Sommermonaten. Das Hauptthema ist aber das gleiche: die Flüchtlinge. Nur die Dimensionen sind mittlerweile völlig andere. Das zeigt ein kurzer Blick zurück.

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Vor zehn Wochen kamen 1200 Flüchtlinge am Tag an

Auf den Tag genau zehn Wochen ist es her, dass die Abgeordneten das letzte Mal im Plenum debattierten. Damals hatte Seehofer eine Brandrede gehalten. Es gebe Tage, hatte Seehofer damals gesagt, an denen mehr als 1200 Flüchtlinge in den Freistaat kämen. "Niemand kann davor die Augen verschließen." Kein Tag vergehe mehr, an dem ihm nicht Landräte und Bürgermeister "sehr emotional ans Herz legen: Wir können nicht mehr". Was damals bereits dramatisch klang, ist längst weit übertroffen worden: Inzwischen sind es nicht mehr 1200 Flüchtlinge, die täglich in Bayern ankommen, sondern 10 000. So viele erreichten Montag und Dienstag jeweils den Freistaat.

Und so stellt CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer am Mittwoch im Landtag denn auch aufgebracht fest: Bayern habe mittlerweile in seinen Erstaufnahmeeinrichtungen "mehr Menschen aufgenommen als alle anderen Bundesländer zusammen". Von versöhnlicher Stimmung zwischen den Fraktionen ist in dem Moment bereits nichts mehr zu spüren. Den Grünen und der SPD wirft Kreuzer vor, keine Lösungsvorschläge zu unterbreiten, sondern nur zu betonen, dass all diese Flüchtlinge willkommen geheißen werden müssten.

Dabei müsse jetzt die vordringliche Aufgabe sein, den Zuzug zu begrenzen. Es sei "ein Damm gebrochen", sagt Kreuzer. "Dann hat es keinen Sinn, hinter dem Damm zu fragen, wie man das Wasser am besten verteilt, sondern wir müssen diese Flut in den Griff bekommen." Eine Wortwahl, die von der Opposition mit empörten Zwischenrufen quittiert wird. "Es geht um Menschen", sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Margarete Bause. "Und Menschen sind keine Naturkatastrophen."

Die Grünen fordern Solidarität, die CSU will den Zuzug begrenzen

Bause erinnert daran, dass man am Dienstag im Landtag 25 Jahre deutsche Einheit gefeiert habe. "Sie", sagt sie mit Blick auf die CSU-Abgeordneten, "sollten sich nicht einen Tag später dafür stark machen, dass wir an unseren Grenzen wieder neue Zäune, neue Mauern errichten." Die Lösung liege in mehr Solidarität und nicht in weniger Solidarität. "Wir sollten nie vergessen: Die wirklichen Probleme, die existenziellen Probleme, die haben nicht wir - die haben die Flüchtlinge." Großer Beifall von der Fraktion der Grünen, während die CSU-Abgeordneten verärgert grummeln.

Am Morgen hatten die Fraktionen bereits separat getagt. In der CSU-Fraktion ging es auch hier zweieinhalb Stunden lang nur um Flüchtlinge. Seehofer legte seine Positionen dar - und erntete wie so oft derzeit großen Beifall: etwa für Transitzonen oder die Idee, den Familiennachzug für Flüchtlinge auf den Prüfstand zu stellen. Seehofer lässt kaum ein Gedankenmodell aus, wie sich der Zuzug begrenzen ließe. Die Fraktion folgt ihm derzeit wie lange nicht.

Doch ob Seehofers Politik der CSU tatsächlich nützt? Eine Forsa-Umfrage zeigt: Wenn am Sonntag der Bundestag neu gewählt würde, hätte die rechtspopulistische AfD gute Chancen, im Parlament vertreten zu sein. Erstmals seit Monaten kommt sie wieder auf fünf Prozent, ein Prozentpunkt mehr als in der Vorwoche. In Bayern wären es sogar sechs Prozent - und das CSU-Dogma, rechts von ihr dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, wäre dahin.

Verschiedene Umfragen mit verschiedenen Ergebnissen

Für Forsa-Chef Manfred Güllner gibt es für diese Entwicklung einen Schuldigen: "Mit seinen Attacken gegen Kanzlerin Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik hat der bayerische CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer offenbar die Ausländerfeindlichkeit - und damit das Kernthema der AfD - wieder salonfähig gemacht." Seehofer entgegnet: Güllner mache seit vielen Jahren Politik und keine Meinungsforschung, egal gegenüber welcher Partei. Es gibt auch Umfragen, die Seehofers Werte steigen und die von Merkel sinken sehen.

Am kommenden Mittwoch will sich der Ministerpräsident in Ingolstadt vier Stunden mit Landräten, Oberbürgermeistern und Vertretern der Bezirke treffen, um weitere Eindrücke von der Basis zu bekommen. Begleitet wird er von den Ministern Markus Söder (Finanzen), Joachim Herrmann (Innen) und Emilia Müller (Soziales). Seine Teilnahme an der Fraktionsreise nächste Woche nach Schottland hat Seehofer kurzfristig abgesagt, weil er sich erneut mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen treffen will - wie er es derzeit nahezu täglich macht. So verpasste er auch den Auftakt des Plenums am Mittwoch, weil er mit hochrangigen Kirchenleuten sprach. Seine Erkenntnisse will er am 15. Oktober in einer Regierungserklärung bündeln.

© SZ vom 01.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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