Kunsthalle Schweinfurt:Von einem, der viel zu viel konnte

Lesezeit: 5 Min.

1980 malte Hans Platschek in Mischtechnik auf Papier "Über die moderne Kunst". (Foto: Stiftung van de Loo, VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Hans Platschek war chronisch erfolglos, verschuldet, machte sich gerne unbeliebt - und hatte damit kein Problem. In Schweinfurt ist nun eine längst überfällige Werkschau des vielleicht ein bisschen wahnsinnigen Künstlers zu sehen.

Von Willi Winkler, Schweinfurt

Auch die Avantgarde war früher besser. In seinem Tagebuch erzählt der Maler HP Zimmer, wie er 1960 Hans Platschek in dessen Mansarde besuchte. "Dort malt er auch, düster grafische Bilder auf dunkelblauen und dunkelbraunen Gründen. Wenn er das Bild, an dem er arbeitet, sehen will, zieht er die Schuhe aus und steigt aufs Bett. Das Bild liegt auf der Erde, er macht schwarze Striche drauf, träufelt Terpentin drüber und druckt alles mit Zeitungspapier ab. Zwischendurch telefoniert er auf Spanisch, Englisch und Französisch...."

Die Avantgarde wohnte damals in der Dachkammer, aber wenigstens in Schwabing. Im Biergarten wurde sie gründlich befeuchtet und ärgerte den Bürger, dem dabei der Trachtenhut vom Kopf flog. Im günstigen Fall setzte ihr der Galerist eine monatliche Rente für abstrakte Kunst aus, beschwerte sich dann aber, wenn sich auf dem Bild womöglich doch etwas Gegenständliches vom dunkelbraunen Hintergrund abhob.

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Hans Platschek hatte keine Bedenken, das La-vie-de-Bohème-Klischee überzuerfüllen, also bis auf die vorgeschriebene Vielweiberei chronisch erfolglos zu sein, notfalls von Wasser, Brot und Selbstlob zu leben, bei allen Schulden zu haben und sich überhaupt unbeliebt zu machen. Der Kunsthistoriker Claus Mewes erzählte bei der Ausstellungseröffnung, wie Platschek einmal den Neujahrsempfang, den das Hamburger Abendblatt jedes Jahr für die ortsansässigen Honoratioren gibt, dazu nutzte, drei tragende Säulen dieser Gesellschaft genüsslich anzupissen. Ob sie wissen wollten, wie er sich die Hölle vorstelle, fragte er in die Feierrunde und sagte es ihr gleich ins Gesicht. "Freddy Quinn spielt Gitarre, Siegfried Lenz liest, und ich muss die Schauspielerin Helga Feddersen küssen." Lenz, Hamburgs größter Autor, war selbstverständlich anwesend.

Auch mit dem bewährten Enfant terrible wäre dieser Platschek nicht zu fassen. Die Ausstellung "Höllenstürze. Hahnenkämpfe. Nette Abende" in der Kunsthalle Schweinfurt versucht es mit der überfälligen Werkschau des vor hundert Jahren in Berlin geborenen Künstlers. Es ist zugleich ein Blick zurück in die Rauch- und Trinkzeit der Bohème, auf die karge Ära vor dem Kunstmarktgeraune, den Millionendeals und den zahllosen Malerfürsten. Die Bilder sind zum Teil hier zum ersten Mal zu sehen. Sie stammen aus der Sammlung Otto van de Loo und der Hans-Platschek-Stiftung. Aus dem Lenbachhaus kommt ein in jeder Hinsicht gewaltiges Porträt von Heimrad Prem, aus Privatbesitz ein nicht weniger einnehmendes von Helmut Heißenbüttel.

Der Maler und Autor Hans Platschek wurde 1923 geboren und starb 2000. Das Foto zeigt ihn 1998 vor ausgestellten Werken in der Münchner Galerie van de Loo. (Foto: Stephan Rumpf)

Dieses nicht ohne Weiteres zu fassende Werk zwischen Surrealismus und Gesellschaftssatire zeigt jemanden, der viel zu viel kann, als dass er sich einer Richtung zuordnen ließe. Platschek beginnt mit Karikaturen, malt dann zum Verwechseln ähnlich wie Paul Klee, wird Teil der abstrakten Entsühnungsmalerei der Fünfziger, nähert sich in München der Gruppe Spur, gibt die Abstraktion auf und wird mit Tafelbildern sozialkritisch wie George Grosz, malt Erich Fried als Hegelianer und das Bürgermeisterehepaar Weichmann als Tanzpaar bei einem Ball der einsamen Herzen, malt sich selber erinnerungsschwer im Hafen von Montevideo.

Dort, im Exil in Uruguay, zeichnete er 1943 den Judenhasser Julius Streicher reif fürs Gefängnis, am Fuß eine Kette, statt der Bleikugel das Hakenkreuz. Platschek hat ihn überlebt, weil er rechtzeitig geflohen war, während ein Teil seiner Familie ermordet wurde. 1953 kehrte er nach Deutschland zurück, wo das Leben weiterging, als wenn nichts geschehen wäre. Er war umgeben von Mitmachern und Mittätern; sein treuer Galerist Otto van de Loo war Jagdflieger gewesen.

Seine lieben Mitbürger ärgerte Platschek nicht nur zum Spaß. Ihn störte die Veredelung des nordischen Nazis Emil Nolde zum Nazi-Opfer, die Siegfried Lenz in seiner "Deutschstunde" gelungen war. Der Roman gehörte für Platschek zur Täterliteratur; der ehemalige Soldat Lenz vergleicht in seinem Roman die Möwen mit dem Sturzkampfbomber JU 87.

Hans Platschek malte "Die Führungskraft". Das Acrylgemälde stammt aus dem Jahr 1970. (Foto: bpk/Nationalgalerie, SMB/Jörg P. Anders, VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

1957 schreibt er den Eltern in maßloser Übertreibung nach Uruguay: "Ich hatte durchschlagenden Erfolg endlich, man rechnet mich mit meinem Freund Emil Schumacher zu den jungen deutschen Malern mit internationaler Gültigkeit." Aber er wurde 1958 auf die Biennale eingeladen, im Jahr darauf zur Documenta, in Gruppenausstellungen kam er sogar bis nach Minneapolis, der große Erfolg bleibt dennoch aus.

Natürlich war es nicht frei von Missgunst, als er sich 1964 in der Süddeutschen Zeitung anlässlich der Documenta III über den "Wagemut des Kleingärtners, der in seinem Schrebergarten Expeditionen unternimmt" lustig machte. Der Kleingärtner war der Leiter der Documenta, der Kunsthistoriker Werner Haftmann, von dem inzwischen bekannt ist, dass er in Italien an der Folterung von Partisanen beteiligt war. Platschek wusste es durch seinen Freund Emilio Vedova, der bei den Partisanen gegen die deutsche Besatzung gekämpft hatte. Als Platschek dann auch noch in der Zeit Ernst Wilhelm Nay angriff, den Lieblingsabstrakten der Nachkriegszeit, und behauptete, Nay sei "Denken ein Greuel", seine angeblich abstrakte Kunst, die berühmten bunten Scheiben, seien bloß "fern geraunte Fabeln", war er erledigt.

Es war ihm ernst, aber mit seiner Malerei nie ernst genug, als dass er damit hätte erfolgreich sein können. "Ich hoffe, man hat sich geärgert", schrieb er an van de Loo. Mewes, der die Ausstellung zusammen mit Selima Niggl kuratiert hat, schätzt die Zahl der weitgehend auf Sammlungen und im Privatbesitz verstreuten Platschek-Bilder auf 180. Daneben gibt es die unsichtbaren Bilder, die der Maler selber zum Verschwinden gebracht hat. "Die meisten derer, die Du in London sahst", meldete er seinem Galeristen, "habe ich übermalt."

Das Bild "Wunschkind" entstand 1970. In dieser Zeit war Hans Platschek mit der Schriftstellerin Gisela Elsner verheiratet. (Foto: Peter Vopelius, VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Wegen Platschek verließ die Schriftstellerin Gisela Elsner Mann und ihr kleines Kind. Es hätte eine nach allen Regeln der Kunstlegende ideale Beziehung werden müssen, wurde aber vermutlich auch wieder nur eine künstlerische Ehehölle. Mit Elsner ging er, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd, von München erst nach Italien, dann nach London, schließlich nach Hamburg, wo sie sich trennten. Nur im Katalog tauchen die Bilder auf, die Platschek für die Frau malte, die er 1967 heiratete, weil sie das Sorgerecht für ihren Sohn, den heutigen Regisseur und Autor Oskar Roehler, erstreiten wollte. Platschek war, wie die Literaturwissenschaftlerin Christine Künzel in ihrem Katalogbeitrag zeigt, vor Elsners Satire nicht sicher. In ihrem Roman "Abseits" (1982) nennt sie ihn Fred Meichelbeck und höhnt über seinen mangelnden Erfolg - etwas, was sie beide verband.

"In seiner ganzen Wohnung hingen dicht nebeneinander bis zu zwei Meter große Leinwände voller schwarzer brezelförmiger Kringel." Sie schonte ihn nicht, spottete über seine hohen Absätze, die ihn größer machen sollten, und über seine extracurricularen Umtriebe: "Dafür, dass seine künstlerischen Produkte weitgehend ignoriert wurden, rächte sich Fred Meichelbeck mit seinen kunstkritischen Essays, in denen er bald gallenbitter, bald hohnstrotzend über die prominenten Kunstkritiker des Landes und über seine erfolgreichen Kollegen herzog."

Aber genau so war er: Mit größter Freude machte sich Platschek Feinde. Verlässlich ist seine Abneigung gegen die Weltmarktführer Andy Warhol und Joseph Beuys, aber das war ihm auf Dauer doch zu wenig. Wer behauptet, für Franz Marc interessierten sich heute nur noch "Backfische und Tierschützer", hat nicht nur die Kunstposterindustrie gegen sich, sondern den guten Geschmack, der sich seinen blauen Reiter nicht nehmen lassen will. Wer Kunstkritiker wegen ihrer Rezensionsprosa als Werbetexter beschimpft und bestenfalls Handlangerdienste für den Kunstmarkt erkennen kann, hat nichts mehr zu lachen und auch nicht übermäßig zu beißen. Er kenne niemanden, der ein Bild von Platschek besitzt, behauptet Fritz J. Raddatz in seinen Tagebüchern, lässt sich aber von dem brotlosen Künstler regelmäßig zum Essen ausführen.

Sein berühmtester Aufsatz trägt den Adorno angenäherten Titel "Über die Dummheit in der Malerei" (1983). Vielleicht, ein schrecklicher Gedanke, war Platschek für die Malerei nicht dumm genug. Wie restaurativ die heutige Kunstwelt funktioniert, bewies die Hamburger Kunsthalle, als sie im vergangenen Jahr eine Werkschau von Ernst Wilhelm Nay zeigte. 2023 fand sich in Hamburg kein Museum für die Wiederentdeckung des unfassbaren, vielleicht ein bisschen wahnsinnigen und in jedem Fall einmaligen Platschek, der 2000 gestorben ist. Die Avantgarde ist tot, aber sie lebt und zwar in Schweinfurt.

Hans Platschek. Höllenstürze. Hahnenkämpfe. Nette Abende , bis 11. Juni, Kunsthalle Schweinfurt, Katalog 29 Euro

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