Fünf Kameras samt Teleobjektiven für einige Tausend Euro lauern hinter der Sichtschutzwand, doch der Hauptdarsteller ziert sich. Er lässt sich hinten im Gebüsch erahnen, sein markanter Schnabel zeichnet sich wie eine Pinzette im Gegenlicht ab. Nett wäre es, wenn er jetzt zu seinem Lieblingsplatz am Tümpel rüberflöge, wo er sich einen Fisch angeln könnte. Hinter der Sichtschutzwand hätten sie dann endlich ihre Fotos vom Eisvogel. Denn er ist der Star hier draußen in der Moosmühle. Aber seine Auftritte folgen keinen erkennbaren Regeln. Manchmal posiert er förmlich auf seinem Ast, dann ist er wieder für Stunden verschwunden.
In solchen Pausen zeigen die Fotografen gerne mal die Jagdtrophäen von früher her: Instagramfotos, zum Beispiel, wie ein Sperber eine Fledermaus verzehrt. Nun gut, das will vielleicht nicht jeder im Detail sehen. Aber so sei halt die Natur, sagt Pater Karl Geißinger mit Blick aufs Handy eines Fotografen, der hier schon viele Stunden verbracht hat. Der Salesianer Geißinger fährt regelmäßig die eineinhalb Kilometer vom Kloster Benediktbeuern zum Holzstadel im Moos, um für Nachschub an Futter zu sorgen und mit den Besuchern zu plaudern, die sich hier vor allem im Winter einfinden.
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Sie alle eint die Begeisterung für ein Hobby, das Geduld und Ruhe erfordert, aber auch eine warme Kleidung: Das Beobachten von Vögeln, sagt Geißinger, bringe die Menschen zu sich selbst. Er kennt hier quasi jeden Spatz, denn Geißinger hat das Zentrum für Umwelt und Kultur in Benediktbeuern mit aufgebaut. Etwa 400 Hektar Flächen des Klosters werden seit drei Jahrzehnten extensiv bewirtschaftet - die Voraussetzung dafür, dass es an der Vogelstation vor Getier nur so wimmelt. 35 Arten haben Geißinger und seine Mitarbeiter hier gezählt - von der Meise bis hin zur Wasserralle und Wacholderdrossel. Alle nur wenige Meter vom Unterstand entfernt, bloß Schwarzmilan und Bussard holen sich weiter draußen auf der Wiese ihre Schlachtabfälle vom Futtertisch.
Zu den regelmäßigen Besuchern der Beobachtungsstation zählt auch Manfred Siering. Der vormalige Banker und langjährige Vorsitzende der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern lebt in Grünwald bei München, umgeben von einem weitläufigen Garten mit alten, hohen Bäumen. "Die Leidenschaft für das Vogel-Beobachten hat mich mit drei gepackt", sagt der 76-jährige Siering. "Und noch heute erfreue ich mich an den Gimpeln, den Tannenmeisen, den Kleibern und den vielen anderen Arten, die bei uns im Garten von den Bäumen herab oder aus den Hecken pfeifen."
Siering ist bekannt für seine vogelkundlichen Führungen, nicht nur im Benediktbeurer Moos, sondern auch an den Seen in der Umgebung der Landeshauptstadt, am Ismaninger Speichersee etwa, einem internationalen Vogelschutzgebiet. Gerade jetzt, in der kalten Jahreszeit. "Der Winter ist die beste Jahreszeit fürs Vogel-Beobachten, vor allem für Anfänger, die sich noch nicht so gut auskennen", sagt Siering. "Auf der Schneedecke sind die Kontraste schärfer als auf der grünen Wiese, und in den kahlen Hecken und Bäumen sind Tiere viel sichtbarer als im Laub."
Den Zaunkönig zum Beispiel, der sich vorzugsweise in Sträuchern und Stauden aufhält, bekommt man in der warmen Jahreszeit kaum zu Gesicht. "Jetzt kann man ihn sehr gut beobachten und an seinem aufgestellten Schwänzchen erkennen", sagt Siering. "Im Sommer dagegen merkt man nur, dass einer da ist, wenn er singt."
Einsteigern empfiehlt Siering vogelkundliche Führungen, wie sie zum Beispiel die Volkshochschulen oder die Naturschutzverbände landauf landab anbieten. "Man muss raus an die Seen und in die Parks, und zwar auch dann, wenn's morgens um sieben Uhr ist und schlechtes Wetter hat", sagt er. Natürlich gibt es Hilfen. "Ein gutes Bestimmungsbuch zum Beispiel", sagt Siering, "am besten eines mit gemalten Bildern, denn sie zeigen die Merkmale der jeweiligen Arten plastischer als Fotografien das können."
Ein Muss ist aus seiner Sicht außerdem ein Fernglas, am besten eins mit zehnfacher Vergrößerung und 42 Millimetern Objektivöffnung. "Auch wenn's bisweilen beschwerlich ist, schon allein wegen des Gewichts", sagt Siering "Aber nichts ist ärgerlicher, als wenn oben in einem Baum ein Schwarzspecht sitzt und man ihn nicht richtig beobachten kann, weil man das Fernglas daheim gelassen hat."
Siering selbst nimmt meist auch noch ein Spektiv mit auf Exkursion, "allerdings braucht es schon etwas Übung, wenn man damit einem Habicht im Flug folgen will". Für Tierfotografen gilt: Unter 500 Millimeter Brennweite macht selbst der schönste Eisvogel wenig her, weil er auf dem Bild viel zu klein erscheint.
Und dann sind da die vogelkundlichen Apps, die man sich aufs Handy laden kann. "Die meisten sind inzwischen ganz gut", sagt Siering. "Aber sie sind alle nicht hundertprozentig sicher, gerade bei Arten, die sich sehr ähneln." Die Sumpfmeise und die Weidenmeise etwa kann man von ihrem Aussehen her kaum unterscheiden. Sicher erkennt man sie eigentlich nur an ihren Rufen. "Und da hilft einem eine App nicht weiter", sagt Siering. "So wie sie auch nicht unterscheiden kann, ob eine Art läuft oder hüpft oder mit dem Schwanz zuckt." Das Wichtigste ist aus Sierings Sicht Geduld, viel Geduld.
Das kann Pater Geißinger nur bestätigen. Wobei er findet, dass das Benennen und Bestimmen der Vögel gar nicht so wichtig ist. Entscheidend sei gerade für Kinder, dass sie einen emotionalen Zugang zur Tierwelt bekommen und eigene Naturerfahrungen machen.
Er selbst setzt sich hin und wieder auch noch hin, um seinen Vögeln zuzuschauen. Unter all den Arten hat er einen Liebling: die Goldammer. Sie leuchtet nicht nur in wunderschönem Gelb, sondern lässt sich auch nicht lange bitten. Ganze Schwärme flattern hier um die Futterstelle.
Die Beobachtungsstation Moosmühle ist vom Benediktbeurer Bahnhof und vom Parkplatz am Kloster in 20 Minuten zu Fuß erreichen.