Ingolstadt:Klare Entscheidung gegen Theater und Schule

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So hätten Ingolstadts neue Kammerspiele aussehen können - beim Bürgerentscheid war die Mehrheit dagegen. (Foto: Visualisierung Staab Architekten)

Per Bürgerentscheid stimmen die Ingolstädter gegen den Bau der Kammerspiele sowie einer Mittelschule - und damit auch gegen den ursprünglichen Willen einer Rathausmehrheit. Kulturschaffende und Politiker sind fassungslos.

Von Johann Osel und Sabine Reithmaier, Ingolstadt

Klar, das "bittere" Ergebnis sei zu akzeptieren, sagte Christian Scharpf (SPD) am Sonntagabend im Ingolstädter Rathaus, "so sind unsere demokratischen Spielregeln". Doch zweifelsohne war in den Sätzen des Oberbürgermeisters vor der Presse blanker Unmut zu hören. Bei einem Bürgerentscheid haben sich die Ingolstädter gegen den Bau eines neuen Theaters entschieden, 60,2 Prozent stimmten dagegen. Unweit des Stadttheaters sollten Kammerspiele gebaut werden, um zunächst bei der Sanierung des Haupthauses einen Ausweichort zu haben; danach sollte das "kleine Haus" als zweite Spielstätte dienen. Doch daraus wird erst mal nichts.

Es blieben jetzt drei Optionen, sagte der OB. Ein Zelt als Interim, eine neue Standortsuche - wobei vielleicht "namhafte Architekten" gar nicht mehr zu gewinnen wären angesichts des Hickhacks. Oder "man hört das Theaterspielen auf während der Zeit der Generalsanierung". Eine Stadt ohne Theater? Unvorstellbar für ihn, sagte Scharpf und schob nach: "Ich habe den Eindruck, dass man in der heutigen Zeit mit Fakten offenbar nur schwerlich durchdringt."

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Was ist geschehen in Bayerns fünftgrößter Stadt? Die Wahlbeteiligung lag bei nur 25,6 Prozent, das Quorum ist aber erreicht. Rund 15 000 Personen haben also das Projekt gestoppt. Damit ist vom Tisch, was schon beschlossene Sache war. Dass das Stadttheater, 1966 eingeweiht und heute denkmalgeschützt, dringend saniert und dazu geschlossen werden muss, bestreitet niemand. Den Bau des Zweithauses hatte der Stadtrat Ende 2021 mit 38 zu elf Stimmen beschlossen. Scharpf, der 2020 der CSU nach 48 Jahren den OB-Sessel abgenommen hatte, führte die Entscheidung herbei - die Idee war aber viel älter. Die im Stadtrat unterlegenen Freien Wähler initiierten mit Mitstreitern ein Bürgerbegehren. Am Sonntag lehnten die Bürger übrigens gleichzeitig den Bau einer Mittelschule ab. Auch dort müssen nun alle Planungen von vorne beginnen.

"Die da oben"

Die Gegner des Theaters boten eine breite Palette auf: Geplant sei ein "monströser Bau" mit schlechter Klimabilanz; zudem gingen Parkplätze verloren, die Luftschneise zur Donau werde gestört. Es brauche kein "Millionengrab" - und das Projekt sei ein "Palast", während ansonsten der Rotstift regiere. Entstanden ist daraus eine seltsame Stimmung gegen "die da oben", wie es kundige Beobachter beschreiben, ein vermeintlicher Kampf: Hochkultur kontra einfache Bürger. Das lässt sich auch nachlesen in den Facebook-Schlachten der vergangenen Monate. "David gegen Goliath", so nannten es die Freien Wähler, die wiederum als "populistische Kulturfeinde" attackiert wurden.

OB Scharpf hatte noch kurz vor dem Entscheid davor gewarnt, sich "im Klein-Klein zu verfangen". Es gehe auch um die "weichen Standortfaktoren". Die Unternehmen suchten Fachkräfte im Wettbewerb mit München oder Regensburg. Nur Audi, der FC Ingolstadt und das Factory Outlet reichten "halt nicht als Standortvorteil, die Stadt muss sich weiterentwickeln". Beistand kam von prominenten Theaterfreunden. Und vom Ingolstädter und früheren Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU). Die Stadt müsse "Schritt halten in der Kultur", sagte er, "es geht nicht um ein Haus für die Großkopferten, wie manche sagen, sondern um ein Haus für alle in der Bevölkerung." Es stehe bei einer Ablehnung zu befürchten, dass "wir zum Gespött für die übrige Republik werden".

Kein Plan B

Stadttheater-Intendant Knut Weber ist am Montag immer noch fassungslos. Ein Schlag ins Gesicht des Theaters sei das Ergebnis und eine Missachtung des Engagements seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. "Schließlich arbeiten die schon lang unter eigentlich nicht mehr akzeptablen Bedingungen." Unverständlich, findet es er auch, "ein Geschenk des Freistaats so einfach auszuschlagen." Das Land hatte 2016 zugesichert, Theatersanierung und Bau der Kammerspiele mit 75 Prozent zu fördern - nach letztem Stand hätte die Stadt nach eigenen Angaben fürs Zweithaus 19 Millionen Euro selbst bezahlt. Weber weiß nicht, wie es weitergeht. "Einen Plan B haben wir nicht in der Tasche." Einen Umzug in ein Zelt lehnt er ab, das sei ökologischer und ökonomischer Irrsinn. Doch der Druck zur Sanierung des Hauses wachse stetig. "Das hält nicht mehr lang", sagt er und erinnert an das Staatstheater Augsburg, das sein Großes Hauses 2016 wegen Brandschutzmängeln unerwartet schnell schließen musste.

Falls nun nach einem neuen Standort gesucht werde, dauere das wieder Jahre, fürchtet Weber. Und egal für welchen Standort man sich entscheide, es werde wieder Kritiker geben. Den Initiatoren des Widerstands attestiert er eine "widerliche Kampagne", in der sie kulturfernere Schichten gegen eine angebliche Elite ausgespielt hätten. "Ein Desaster, in das uns diese Initiative gestürzt hat. Und ein Schaden für die repräsentative Demokratie."

Heimstatt von Banausen

"Das Ergebnis spricht für sich", schrieb Bürgerentscheid-Mitinitiator Ralf Bauernfeind, ein Ex-CSU-Stadtrat, auf Facebook. "Reichen wir uns wieder die Hände und suchen nach der besten Lösung." Ob das so leicht möglich ist, wird sich zeigen, es bleiben wohl Narben. Da war zum einen die plakative Kampagne der Gegner, "Jugend auf der Straße, Theater im Palast?", solche Slogans. Die verleitete einen SPD-Stadtrat gar zum Vergleich mit dem "Stürmer", dem Hetzblatt der Nazis. Generell erinnerte der Streit nicht selten eben an Theater: an ein saftiges Boulevardstück. Zum anderen ist völlig offen, was der Stadtrat nun genau beschließen könnte.

Fragt man am Tag danach herum, haben viele den Eindruck: der Theater-Entscheid war für manche "Blitzableiter" für Sorgen aller Art, wohl bis hin zu verbliebenem Corona-Groll. Diskutiert wird indes schon, wann Seehofers These mit dem "Gespött" eintrete - dass man als Heimstatt von Banausen dastehe im Konzert bayerischer Großstädte.

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