Gymnasien:Ansturm auf die Mittelstufe Plus zeichnet sich ab

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  • An 47 Gymnasien wird die Mittelstufe Plus getestet - etwa 60 Prozent der Schüler entscheiden sich für das neunstufige Gymnasium.
  • Die Schulleiter gehen davon aus, dass sich zum kommenden Schuljahr noch mehr Schüler dafür anmelden werden.
  • Durch die Pilotphase zeigt sich aber auch, dass der Parallelbetrieb kompliziert ist.

Von Anna Günther, München

Der Ansturm auf das neunjährige Gymnasium geht ungebrochen weiter. Davon gehen die meisten Schulleiter der 47 bayerischen Gymnasien aus, die seit September probeweise wieder neun Jahre bis zum Abitur anbieten. Einige Direktoren schätzen sogar, dass sich heuer noch mehr Kinder für die Mittelstufe Plus entscheiden, und fürchten gar um die Existenz ihrer G-8-Regelklassen.

Statt drei Jahre haben die Schüler in der Mittelstufe Plus vier Jahre Zeit für denselben Stoff und deutlich weniger Nachmittagsunterricht. Das ist besonders an ländlichen Gymnasien mit weiten Schulwegen und schlechten Busverbindungen ein entscheidender Punkt.

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Die große Nachfrage von Eltern und Schülern hatte Bildungspolitiker sowie Schulleiter im vergangenen Jahr zum Start des zweijährigen Pilotprojekts überrascht. Das Ministerium war davon ausgegangen, dass höchstens ein Viertel der Achtklässler den Plus-Zweig besuchen würde. Letztlich meldeten sich an den 47 Pilotgymnasien dafür aber im Schnitt 60 Prozent der Kinder an.

Schulleiter gehen davon aus, dass der Ansturm bleiben wird

Schulleiter mussten mitunter offensiv für das G 8 werben, um überhaupt eine Regelklasse zu erhalten. Für das nächste Schuljahr zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Die verbindlichen Anmeldungen zur Mittelstufe Plus werden zwar erst in ein paar Wochen vorliegen, aber aus Vorwahlen, Informationsabenden und Elterngesprächen schließen viele Schulleiter, vor allem auf dem Land: Der Ansturm wird bleiben.

Die Zwischenbilanz an den Pilotschulen nach dem ersten Halbjahr fällt überwiegend positiv aus: Mehr Zeit für Wiederholungen des alten Stoffs, für Übungsaufgaben oder individuelle Förderung zu haben, empfinden alle als sinnvoll, wie eine Umfrage der SZ ergeben hat. Das Klima in den Klassen sei gut, Faulenzer unter den Plus-Schülern, die die zusätzliche Zeit nicht zum Lernen, sondern zum Rumhängen nutzen wollen, sind pädagogisch gut in den Griff zu kriegen - und offenbar die Ausnahme.

An allen 47 Schulen haben sich auch engagierte Jugendliche mit guten Noten für die Mittelstufe Plus entschieden, um ohne Nachmittagsunterricht wieder mehr Zeit für Hobbys zu haben. Vereine, Musikschulen und auch die Theatergruppen oder Orchester an den Schulen spüren das. Am Frankenwald-Gymnasium in Kronach sei das besonders deutlich, sagt Schulleiter Klaus Morsch, "die jungen Leute brauchen einfach Zeit, um zu reifen und erwachsen zu werden". Das findet auch Bernd Amschler, der Schulleiter des Traunsteiner Annette-Kolb-Gymnasiums.

Mittelstufe Plus
:Ansturm auf das neunstufige Gymnasium

Es soll nur ein Modellversuch sein. Doch schon vor Ablauf der Bewerbungsfrist an den Projektschulen ist klar: Mehr als die Hälfte aller Siebtklässler will ein Jahr mehr auf dem Weg zum Abitur. An einigen Schulen ist deshalb sogar das G 8 in Gefahr.

Von Anna Günther

Der Parallelbetrieb ist kompliziert

Es hat sich im ersten Halbjahr des Pilotprojekts aber auch deutlich gezeigt, wo die Probleme der Mittelstufe Plus liegen: Die Stundenplanung ist sehr kompliziert, wenn zusätzlich zu verschiedenen Zweigen auch noch beide Lerngeschwindigkeiten kombiniert werden müssen. Und mit jedem Jahrgang wird der Parallelbetrieb von G 8 und Plus-Zweig komplizierter.

Bisher müssen die Pilotschulen ohne zusätzliches Budget auskommen. Auf Dauer sei das nicht machbar, ohne dass anderswo gestrichen wird, sagt Heinz-Peter Meidinger, der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes. Auch an seiner Schule, dem Robert-Koch-Gymnasium in Deggendorf, lernen 60 Prozent der Achtklässler im langsameren Tempo.

Ob von 2017 an alle bayerischen Gymnasien die Mittelstufe Plus anbieten dürfen, halten sich die Politiker im Landtag und in der Staatsregierung offen - auch wenn in inoffiziellen Gesprächen viele davon ausgehen, dass es so kommen wird. So wie das Konzept jetzt angelegt ist, könne es aber nicht auf ganz Bayern ausgedehnt werden, sagt Meidinger. Ideen, wie das klappen könnte, gibt es viele: Der Philologenverband fordert zum Beispiel, das Gymnasium gleich wieder auf neun Jahre anzulegen.

Müssten sich die Eltern schon bei der Anmeldung zwischen acht und neun Jahren entscheiden, wäre die Planung leichter und der Stoff könnte auf die gesamten neun Jahre verteilt werden. Auf die Grundschule würde nicht die Unterstufe mit Nachmittagsunterricht folgen, die von der vergleichsweise bequemen Mittelstufe abgelöst wird, bevor es in die Hochleistungsphase zum Abitur geht. Der Nachmittagsunterricht der Kleinen könnte in die 9 Plus und in die 10. Klasse verschoben werden.

"Je länger die Dehnung, desto strukturierter wäre das System", sagt auch Kurt Ritter, der Schulleiter des Dillinger Johann-Michael-Sailer-Gymnasiums. Für ihn wäre die Entscheidung nach der 5. Klasse ideal. Der Übertritt aufs Gymnasium wäre geschafft und Eltern sowie Lehrer könnten beurteilen, wie die Kinder zurecht kommen. Am Informationsabend für die Eltern zum Übertritt habe sich an seiner Schule folgendes Stimmungsbild ergeben: Per Handzeichen favorisierten 90 Prozent neun Jahre Gymnasium, erzählt Ritter.

Auf Vorzüge des G 8 wie die Intensivierungsstunden oder die Praxisseminare in der Oberstufe wollen aber weder Ritter noch seine Kollegen verzichten. "Aber die Staatsregierung muss sich überlegen, was der Regelzweig ist, wenn mehr als die Hälfte der Jugendlichen länger lernt als die andere", sagt Günter Jehl. Der Schulleiter des Ortenburg-Gymnasiums in Oberviechtach zieht ein neunjähriges Gymnasium für alle vor, dann könnten die sprachlich talentierten Schüler wieder länger ins Ausland gehen und die Begabten mit spezieller Förderung Klassen überspringen. Im G 8 sei das quasi unmöglich.

Wann die Entscheidung fallen soll, ist unklar

Kultusminister Ludwig Spaenle will von all diesen Plänen noch nichts hören. Die Pilotphase sei auf zwei Jahre angelegt, nach sechs Monaten gebe es noch lange nicht genügend Erkenntnisse, um eine Entscheidung zu treffen, sagt der CSU-Politiker. Wann diese fallen soll, will er nicht sagen.

Dabei ist klar, dass die CSU nicht erst in einem Jahr entscheiden kann. Soll die Mittelstufe Plus vom Herbst 2017 an, also nach dem Ende der Pilotphase, tatsächlich an allen bayerischen Gymnasien möglich sein, brauchen die Schulen und auch die Politik Vorlaufzeit. Das Schulgesetz muss möglicherweise geändert, Budgets müssen verhandelt und Konzepte für die Umsetzung an den einzelnen Gymnasien erarbeitet werden. Für eine frühere Entscheidung dürfte auch sprechen, dass Bildungsstaatssekretär Georg Eisenreich und Gerhard Waschler, der bildungspolitische Sprecher der CSU, jetzt schon Plus-Gymnasien besuchen und sich umhören.

Dass der neunjährige Weg zum Abitur wiederkommt, glauben die meisten Schulleiter ohnehin. Mittlerweile scheint sich nicht einmal mehr die G-8-treue CSU-Fraktion dagegen zu wehren. Ein Zurück zum reinen G 8 könne man sich bei dieser Stimmung in der Bevölkerung nicht leisten, sagt ein Insider. Auch Ministerpräsident Horst Seehofer sei da ganz pragmatisch, sagt einer, der ihn gut kennt.

© SZ vom 26.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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