Grundschulreform in Bayern:Die Kunst des Kürzens

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Die Zusammenlegung von Kunst, Musik und Werken zu einem Verbundfach an Bayerns Grundschulen wird intensiv diskutiert. (Foto: imago images/Shotshop)

Die Kritik an der Zusammenlegung von Kunst, Musik und Werken wächst. Kultusministerin Stolz und Schulleiter verstehen die Aufregung nicht. Sie verweisen auf die neue Entscheidungsfreiheit.

Von Thomas Balbierer und Anna Günther

Die Kritik an der neuen "Pisa-Offensive" Bayerns nimmt zu und entzündet sich am Bereich, der Federn lassen dürfte für mehr Deutsch- und Matheunterricht an den Grundschulen. Die kreativen Fächer Kunst, Werken und Musik sollen von September an zu einem Fächerverbund zusammengelegt werden. Daran erregen sich die Gemüter derzeit mehr als an der Möglichkeit, eine von zwei Stunden Englisch zu streichen. Fachverbände und Eltern laufen Sturm, vonseiten der bayerischen Lehrer- oder Elternverbände hört man dagegen wenig Kritik.

Der Deutsche Musikrat bezeichnete das Verbundfach als "falsche Antwort" auf das schlechte Abschneiden bei der Pisa-Studie. Es handelt sich für Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates, um zentrale Fächer schulischen Erlebens. "Wer die Musik so ins Abseits stellt, wird seiner politischen Verantwortung nicht gerecht und versündigt sich an der Zukunft unserer Kinder." Auch der Bundesverband für Musikunterricht (BMU) griff die geplante Zusammenlegung an. Dies sei zwölf Jahre lang in Baden-Württemberg ausprobiert und 2016 wieder abgeschafft worden. Die Beschlüsse aus Bayern seien "eine Katastrophe".

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Eine Petition gegen die Zusammenlegung von Musik, Werken und Kunst hatte 30 Stunden nachdem eine Mutter und Lehrerin sie initiiert hatte, mehr als 42 000 Unterschriften erreicht. Man konnte der Zahl beim Wachsen zuschauen. Einige der Unterzeichner kritisierten, wieso stattdessen nicht die dritte Religionsstunde gestrichen werde. Das hätte sich Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) durchaus vorstellen können, sie kam aber nicht am Veto der Kirchen und der CSU vorbei.

Insgesamt sollte die Stundenzahl an der Grundschule trotz vier zusätzlicher Stunden Deutsch und zwei Stunden Mathematik nicht ansteigen, also muss woanders reduziert werden. Sport hatte Stolz zum Tabu erklärt, Heimat- und Sachkunde zählt für die Übertrittsnote an weiterführende Schulen. Also bleiben Englisch und die kreativen Fächer. Letztlich können die 2418 Grundschulen individuell entscheiden, wo sie Zeit abknapsen. Diese Flexibilität ist neu bei dieser Grundschulreform und kommt bei den Lehrern gut an. Laut Stolz sind sie die "Profis vor Ort" und wissen am besten, wie sie Mädchen und Buben fördern.

Die Ministerin war am Donnerstag im Bildungsausschuss des Landtags um Klarheit und Deeskalation bemüht: "Es geht um verbesserte Förderung und nicht darum, die Fächer gegeneinander auszuspielen." Sie stehe zu ganzheitlicher Bildung, kein Fach werde gestrichen, sagte Stolz. Jede Schule könne Schwerpunkte setzen und wenn Musik, Kunst und Werken weiterhin fünf Wochenstunden haben sollen, dann könnten Schulleitungen das so machen. "Machen wir uns mal ehrlich, das läuft doch draußen an den Schulen jetzt schon so."

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Derweil verschickte ihr Ministerium einen Terminhinweis: Kommende Woche werde Stolz 140 "musikbegeisterte Grundschulen" ehren. Diese Schulen werden für ihr besonderes Musikprogramm ausgezeichnet und bekommen nun 1000 Euro sowie eine hübsche Tafel fürs Portal. Andreas Fischer leitet so eine Grundschule im niederbayerischen Landau an der Isar. Er versteht die Aufregung nicht. Auch an seiner Schule gebe es keinen Protest. "Bei uns wird Musik nicht gestrichen, wir gehen zum Schwimmen, bei uns ist alles möglich, aber das erfordert ein Umdenken. Wir dürfen nicht immer nur in Fachgrenzen denken und müssen uns ganz anders aufstellen."

Kreativität werde auch in anderen Fächern gefördert

Die zusätzliche, flexible Stunde werde "natürlich in Deutsch" investiert. Das musikalische Profil leide aber nicht: Kunst, Werken und Musik finde auch in anderen Fächern statt, sagt Fischer, wenn sich alle öffnen und zusammenarbeiten. Wichtig sei künftig die Diagnosefähigkeit der Lehrkräfte, "und die wissen, wann sie mit ihrer Klasse Kunst, Musik und Werken machen".

Fischers Beispiel zeigt, wieso aus der bayerischen Schulfamilie quasi keine Kritik zu hören ist: Die Kultusministerin hatte seit Dezember gemeinsam mit Eltern- und Lehrerverbänden sowie Wissenschaftlern am Pisa-Konzept gefeilt. Fischer war als Chef des Schulleitungsverbandes dabei, der Rektoren von Grund-, Mittel- und Förderschulen vertritt. "Endlich ist die Grundschule mal Thema, endlich wird etwas getan nach jahrelangen Diskussionen über G8, G9 und R6", sagt der Schulleiter.

Zwar liefert Pisa nur bundesweite Zahlen, aber in vorangegangenen Ländervergleichen war abzulesen, dass auch die bayerischen Schüler schlechter abschneiden. Am Ende der vierten Klasse erfüllten demnach 14 Prozent der Kinder nicht den Mindeststandard beim Lesen, 20 Prozent erreichten das Niveau nicht beim Rechtschreiben und 13 Prozent nicht in Mathematik. Diese Ergebnisse hätten sie nicht überrascht, erklärte die Kultusministerin im Landtag, "aber sie haben mich alarmiert".

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